Fragmente und Relikte aus Spittelers Leben und Werk
28.12.2024 Bezirk LiestalNeue Einblicke in das Leben und die Beziehungen des Schweizer Nobelpreisträgers
In «Carl Spitteler und sein Netzwerk» beleuchten 14 Autorinnen und Autoren anhand verschiedener Objekte Aspekte vom Leben und Werk des Nobelpreisträgers.
Die kleinen Essays des ...
Neue Einblicke in das Leben und die Beziehungen des Schweizer Nobelpreisträgers
In «Carl Spitteler und sein Netzwerk» beleuchten 14 Autorinnen und Autoren anhand verschiedener Objekte Aspekte vom Leben und Werk des Nobelpreisträgers.
Die kleinen Essays des Sammelbands «Carl Spitteler und sein Netzwerk» befassen sich mit den unterschiedlichen Seiten von Spittelers Schaffen (Epik, Novellen, Feuilletons) und rücken dabei Menschen aus dem Freundes-, Bekannten- und Mitarbeiterkreis des Dichters ins Zentrum. Ausgangspunkt sind jeweils Objekte wie Bücher, Briefe, Manuskripte oder Aufzeichnungen.
Dazu gehört auch die Urkunde, die Spitteler anlässlich der Verleihung des Nobelpreises erhielt. Über diese hat Rea Köppel vom «Dichter:innenund Stadtmuseum Liestal» einen Beitrag beigesteuert.
Zu Spittelers «Netzwerk» zählten Männer wie der Publizist und Hodler-Biograf Carl Albert Loosli, der deutsche Verleger Eugen Diederich und Josef Victor Widman, der Jugendfreund aus Liestal. Hinzu kamen Frauen wie die Schriftstellerin Isabelle Kaiser, die Tochter Anna, die unzählige Texte des Vaters kopierte, und die Luzernerin Griti Sachs. Diese junge Frau war ein grosser Fan des Dichters und hielt die Begegnung mit ihm in zwei Tagebüchern fest.
Die verschwundenen Dokumente
Eine zentrale Rolle kam dem Literaturwissenschaftler Jonas Fränkel (1879–1965) zu. Dieser war seit 1908 der engste Mitarbeiter von Carl Spitteler und wurde mit der Zeit so etwas wie dessen literarisches Gewissen. Spitteler bezog ihn stark in die Überarbeitung seines «Olympischen Frühlings» und seines Alterswerks «Prometheus der Dulder» mit ein. Geplant war auch, dass Fränkel die Biografie Spittelers verfassen und dessen gesammelte Werke herausgeben sollte. Nach Spittelers Tod verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Jonas Fränkel und Spittelers Tochter Anna aber, sodass das Vorhaben unmöglich wurde.
Die Entzweiung ging so weit, dass Anna, die den Nachlass ihres Vaters der Eidgenossenschaft vermachte, die Rückgabe der Dokumente von Fränkel gerichtlich erzwingen wollte. Fränkel versteckte die Dokumente in mehreren Koffern und gab vor, sie vernichtet zu haben, als am 9. Oktober 1948 auf Geheiss von Bundesrat Philipp Etter der Thuner Gerichtspräsident Hans Ziegler und der spätere Spitteler-Biograf Werner Stauffacher in Begleitung zweier Polizisten bei Fränkel anklopften. Die Koffer blieben versteckt. Erst 2021 gelangte ihr Inhalt zusammen mit Fränkels Nachlass ins Schweizerische Literaturarchiv.
Die Beiträge des schön aufgemachten Bandes setzen ein beträchtliches Interesse an Carl Spitteler und seinem kulturellen und historischen Umfeld voraus. Wer dieses hat, wird in den Texten viel Wissenswertes erfahren.
Martin Stohler
Jael Bollag, Stefan Graber, Fredi Lerch u.a.: «Carl Spitteler und sein Netzwerk. Neue Perspektiven in Wort und Bild». Chronos Verlag, Zürich 2024. 167 Seiten.