«Es ist ein seltsamer Wahlkampf»
23.10.2025 BaselbietPatrick Künzle, Chefredaktor des SRF-«Regionaljournals», zur Regierungsratswahl
Kommenden Sonntag wird sich zeigen, wer von den drei Kandidaten den besten Wahlkampf gemacht hat und sich in die Poleposition für den Sitz der abtretenden Bildungsdirektorin Monica Gschwind ...
Patrick Künzle, Chefredaktor des SRF-«Regionaljournals», zur Regierungsratswahl
Kommenden Sonntag wird sich zeigen, wer von den drei Kandidaten den besten Wahlkampf gemacht hat und sich in die Poleposition für den Sitz der abtretenden Bildungsdirektorin Monica Gschwind (FDP) bringt. Chefredaktor des «Regi», Patrick Künzle, sagt, dass niemand herausragte.
Nikolaos Schär
Herr Künzle, wer von den Kandidierenden hat bislang den besten Wahlkampf geführt?
Patrick Künzle: Das finde ich wirklich eine schwierige Frage. Denn das Problem an diesem Wahlkampf ist, dass sich die Kandidierenden kaum unterscheiden – vor allem in Bildungsthemen. Es ist deshalb schwer zu sagen, wer den besten Wahlkampf hingelegt hat. Ich finde, da ragt keiner der drei besonders heraus.
Apropos Bildungsfragen: Ist die Einigkeit der drei Kandidierenden in der Bildungspolitik ein Kompliment an die Arbeit der abtretenden Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) – oder eher Ausdruck von fehlenden Ideen?
Wahrscheinlich beides. Einerseits ist man sich parteiübergreifend einig, dass Monica Gschwind als Bildungsdirektorin einen ordentlichen Job gemacht hat. Vor allem hat sie Ruhe in die Bildungspolitik gebracht. Vorher herrschte ein Tohuwabohu mit all den hängigen Initiativen ihres Vorgängers. Das hat sie beruhigt. Darum wollen die Kandidierenden jetzt natürlich nicht sagen, sie würden alles auf den Kopf stellen – sonst riskiert man, in alte, unübersichtliche Zustände zurückzufallen. Aber man merkt eben auch: Zwei der drei Kandidierenden – Sabine Bucher (GLP) und Markus Eigenmann (FDP) – sind eigentlich keine Bildungspolitiker. Und sie wollen sich entsprechend nicht allzu stark aus dem Fenster lehnen.
Die Plakatflut an den Strassen ist unübersehbar, in den Sozialen zeigen sich alle drei an unzähligen Anlässen. Trotzdem wirkt der Wahlkampf konventionell, ohne kreative Ansätze. Stimmen Sie zu?
Ja, das würde ich so sehen. Wir haben diesmal nichts erlebt wie bei der letzten Gesamterneuerungswahl, als Thomi Jourdan (EVP) einen aussergewöhnlich aufwendigen und präsenten Wahlkampf führte – sehr aktiv in den Sozialen Medien, sehr auffällig als Person. Das ist diesmal völlig anders: sehr konventionell, klassisch.
Woran könnte das liegen?
Ich weiss es nicht. Das ist eine gute Frage. Eigentlich hat man in den vergangenen Jahren gesehen, dass sich ein aufwendiger Wahlkampf lohnt – etwa bei Esther Keller (GLP) in Basel-Stadt. Wenn man, wie die grünliberale Kandidatin, eine Sensation schaffen will, hätte sie einen präsenteren, auffälligeren Wahlkampf führen müssen. Dass die Etablierten das nicht tun, kann ich nachvollziehen. Aber gerade, wenn man überraschen will, müsste man mehr investieren.
Der Wahlkampf startete mit viel Aufregung: dem Kandidatenkarussell der FDP, dem Streit mit der SVP, dem Bündnis von GLP und SP. Inzwischen wirkt er eher zahm. Haben die Parteien eine Art Burgfrieden geschlossen?
Ich weiss nicht, ob das bewusst geschah oder sich einfach ergab. Es ist eine spezielle Konstellation. Im bürgerlichen Lager herrscht eigentlich Streit zwischen FDP und SVP. Da sind im Hintergrund viele Pfeile abgefeuert worden. Aber die beiden Kandidaten selbst scheinen sich nicht wehtun zu wollen. Das ist seltsam, denn sie müssten sich ja voneinander unterscheiden. Warum das so ist, verstehe ich nicht. Es ist ein seltsamer Wahlkampf: In Interviews wirken die Kandidierenden oft kaum unterscheidbar.
Es fühlt sich so an, als wollten alle vermeiden, anzuecken. Der Grundsatz «schlechte Publicity ist auch Publicity» gilt hier offensichtlich nicht.
Ich sehe keine klare Strategie. Gut, Caroline Mall (SVP) versucht, sich als Bildungspolitikerin zu profilieren. Herr Eigenmann inszeniert sich als Staatsmann mit Ideen über verschiedene Bereiche hinweg. Und Frau Bucher merkt man an, dass sie noch wenig vertraut ist mit dem politischen Betrieb. Gerade wer von aussen kommt, müsste versuchen, sich stärker abzugrenzen. Wenn man als Mitte-Links-Kandidatin die Bildungsdirektion einer bürgerlichen Politikerin übernehmen will, sollte man sagen, was man anders machen möchte. Und nicht wie Frau Bucher, die den bisherigen Kurs einfach weiterführen will. Wieso sollte man sie dann wählen? Diese Taktik verstehe ich nicht.
Versucht Sabine Bucher zu stark, die «Mitte» anzusprechen?
Vielleicht. Ich sehe ihre Strategie nicht. Die SP hat eigentlich grosse Mobilisationskraft. Wenn die GLP aber die Mitte-Links-Wählenden gewinnen will, funktioniert das nicht, indem man sagt, man mache alles wie Monica Gschwind. Oder sonst müsste sie andere Akzente setzen, etwa in der Verkehrspolitik. Frau Bucher hat jedoch ein bürgerliches Profil. Sie kann sich nicht als linke Politikerin inszenieren, das wäre nicht glaubwürdig. Deshalb hat sie ein Problem, die Mitte-Links-Wählenden abzuholen.
Ist das auch der Grund, weshalb die Linken nicht euphorisch auf ihre Kandidatur reagieren?
Ja, das spürt man. Ich sehe null Euphorie. Das hat auch mit der Konstellation zu tun. Würde eine grünliberale Kandidatin gewählt, sässen in der Regierung ein Grüner, eine Sozialdemokratin, eine Grünliberale und die EVP. In zwei Jahren stehen die Gesamterneuerungswahlen an, vermutlich mit dem Rücktritt von Isaac Reber (Grüne). Wäre das Mitte-Links-Lager dann schon mit drei Leuten in der Regierung vertreten, wäre es für die Grünen extrem schwierig, ihren Sitz zu verteidigen. Ich glaube, das ist nicht im Interesse der Grünen. Darum fehlt die Begeisterung. Und Frau Bucher ist inhaltlich keine Linke.
Sie ist die einzige Kandidatin aus dem Oberbaselbiet. Das dürfte ihr im oberen Kantonsteil einige zusätzliche Stimmen bringen. Wie einflussreich ist dieser Faktor bei einer Regierungsratswahl, wo bekanntlich Persönlichkeiten gewählt werden?
Das ist schwer einzuschätzen. Die «Mitte» im Oberbaselbiet stellt sich klar hinter Sabine Bucher. Das zeigt, dass man Markus Eigenmann im oberen Kantonsteil misstrauisch begegnet, weil er im Finanzausgleich versucht, Gelder zugunsten des unteren Kantonsteils umzuleiten. Das spielt ihr in die Hände. Aber wie stark der Effekt ist, weiss ich nicht – im Oberbaselbiet ist auch die SVP stark. Es kann also sein, dass auch Caroline Mall davon profitiert.
Der SVP-Parteipräsident Peter Riebli hat angedeutet, die Bürgerlichen könnten nach dem ersten Wahlgang einen neuen, «dritten» Kandidaten bringen. Meint Riebli es wirklich ernst damit, die SVP wieder in die
Regierung zu führen?
Nein, glaube ich nicht. Ich verstehe die Taktik der SVP nicht. Es wäre für sie klüger gewesen, sich hinter die FDP-Kandidatur zu stellen und sich im Gegenzug Unterstützung für die Gesamterneuerungswahlen 2027 zu sichern. Was heisst überhaupt eine «dritte Kandidatur»? Wenn Frau Mall mehr Stimmen holt als Herr Eigenmann, tauscht man sie ja nicht aus. Und wenn Eigenmann vorne liegt, hat die SVP nichts zu melden. Das Szenario ergibt keinen Sinn.
Ist diese Ansage eher ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Personalie Eigenmann beim rechten SVP-Flügel?
Ich denke, die SVP war grundsätzlich unzufrieden damit, wie die FDP ihre Kandidatur evaluiert hat. Man hätte gern mitgeredet, was für ein Profil der FDP-Kandidat haben sollte. Das ist nicht geschehen. Daher wirkt die Kandidatur von Caroline Mall etwas wie eine Trotzreaktion.
Im Komitee von Caroline Mall fehlen wichtige SVP-Vertreter wie Fraktionspräsident Markus Graf. Hat sie ohne den Rückhalt des eher gemässigten Flügels der SVP überhaupt eine Chance, gewählt zu werden?
Ich glaube, die SVP ist weiterhin gespalten – das merkt man von aussen kaum. Am Parteitag sprach sich jedoch niemand der Parteileitung offen für die Kandidatur des gemässigten Matthias Liechti aus. Und trotzdem war die Abstimmung sehr knapp. Es gibt also eine grosse Minderheit in der SVP, die schweigt. Keine ideale Ausgangslage für Frau Mall, wenn sich nicht die ganze Partei hinter ihre Kandidatur stellt. Sie ist zwar eine originelle Kandidatin, keine klassische Parteisoldatin, und bringt in der Bildungspolitik eigene Ideen ein, aber in ihrer Gemeinde Reinach hat sie mässige Resultate erzielt – sie wurde weder in die Exekutive gewählt noch holte sie Spitzenresultate im Einwohnerrat. Wenn die Leute sie kennen, wählen sie sie nicht. Das ist normalerweise kein Vorteil.
Wer wirkt denn am souveränsten von den drei Kandidaten?
Markus Eigenmann tritt auf, wie man sich früher einen klassischen Regierungsrat vorstellte: Mann im mittleren Alter, seriös, rhetorisch stark, breit abgestützt in den Themen. Er ist klassisches Regierungsratsmaterial. Caroline Mall ist eigenwilliger, direkter. Ich habe noch nie erlebt, dass mich eine Politikerin nach einem Interview fragte, ob ich sie wählen würde. Sie sagt, was sie denkt – das ist originell, aber nicht die klassische Regierungsrätin. Frau Bucher finde ich auch eine interessante Persönlichkeit, aber ihr fehlt noch die politische Verankerung – sowohl kantonal wie regional.
Die FDP gibt mit rund 100 000 Franken am meisten Geld im Wahlkampf aus und ist in den Sozialen Netzwerken am präsentesten. Ausdruck dafür, dass sie am meisten zu verlieren hat?
Ja, eindeutig. Die anderen beiden Kandidaten haben nichts zu verlieren. Die FDP ist seit der Kantonsgründung immer in der Regierung. Eine Abwahl wäre ein polithistorisches Ereignis.
Bemerkenswert ist, dass Markus Eigenmann die Unterstützung der Wirtschaftskammer Baselland (Wika) nicht erhielt, obwohl er Unternehmer ist. Was sagt das über die FDP als Wirtschaftspartei aus?
Das zeigt, dass sich die FDP und die Wika in den letzten Jahren entfremdet haben. Die Wika ist mittlerweile auch stark von der SVP geprägt – da wollte man sich wohl nicht auf eine Seite schlagen. Zu deren Klientel gehören beide Parteien. Die Handelskammer beider Basel (HKBB) dagegen hat sich klar für Markus Eigenmann ausgesprochen, weil er ins klassische Unternehmerprofil der HKBB passt.
Die Wahl von Markus Eigenmann würde für Kontinuität sorgen. Würde Sabine Bucher gewählt, wäre die Konkordanz in der Regierung dahin. Gehen die Stimmberechtigten ein solches Risiko ein?
Wir haben bei den letzten Gesamterneuerungswahlen gesehen, dass Überraschungen – wie die Wahl von Thomi Jourdan – möglich sind. Theoretisch könnte das auch Frau Bucher schaffen. Aber ihr Wahlkampf war zu wenig überzeugend. Ich vermute, die FDP wird sich durchsetzen, und die Wählenden entscheiden sich für den konventionellen Weg. Eine Regierung mit vier Mitte-Links-Vertreterinnen hätte es in den kommenden zwei Jahren mit einem mehrheitlich bürgerlichen Parlament schwer.
Würde eine politische Blockade drohen?
Zumindest wäre das Regieren schwieriger, wenn FDP und SVP fehlen. Dann wären etwa 40 Prozent der politischen Kräfte nicht in der Regierung vertreten. Ob man dieses Experiment wagen will, ist fraglich. Ich glaube nicht, dass es so weit kommt.
Ein Blick nach vorn: 2027 stehen die Gesamterneuerungswahlen an, möglicherweise mit Rücktritten von Isaac Reber und Toni Lauber. Was zeichnet sich ab?
Spannend wird sein, ob die Bürgerlichen wieder zusammenfinden – im Moment sind sie nicht geeint. Wenn das gelingt, ist alles offen. Die Grünen müssen ihren Sitz verteidigen, die SVP eine mehrheitsfähigere Kandidatur bringen als zuletzt, und die «Mitte» jemanden mit ähnlicher Ausstrahlung wie Anton Lauber. Es ist alles möglich: eine bürgerliche Dominanz, ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis oder gar eine dritte links-grüne Regierungsbeteiligung, wenn die SP eine starke Figur – jemand vom Format eines Adil Koller – bringt. Es war selten so spannend in der Baselbieter Politik wie jetzt, mit Blick auf die nächsten zwei Jahre.

