Elaiosomen
30.05.2024 BaselbietDas Wort «Ameisentaxi» wäre verständlicher
Haben Sie sich auch schon gewundert, dass Schneeglöcklein oder Krokusse an Stellen wachsen, wo niemand je eine Knolle oder einen Samen in den Boden gesteckt hat? Auch bei anderen Blumen kann man das beobachten, sofern man ...
Das Wort «Ameisentaxi» wäre verständlicher
Haben Sie sich auch schon gewundert, dass Schneeglöcklein oder Krokusse an Stellen wachsen, wo niemand je eine Knolle oder einen Samen in den Boden gesteckt hat? Auch bei anderen Blumen kann man das beobachten, sofern man nicht zu viel «ordnend» eingreift. Ameisen gärtnern besser, dank Elaiosomen.
Heinz Döbeli
Pflanzen sind angewachsen. Um sich trotzdem über grosse Distanzen ausbreiten zu können, haben sie vielfältige Strategien entwickelt. Viele nutzen den Wind.
Damit Samen vom Wind transportiert werden, müssen die Pflanzen in geeignete Organe investieren: Flughaare für leichte, Propeller für schwere Samen. So können grosse Distanzen überwunden werden, aber die Ausbreitung ist eher zufällig. Viele Samen landen an ungeeigneten Stellen.
Selektiver transportieren Tiere. Um diese zur Mithilfe zu gewinnen, müssen die Pflanzen in Samen investieren, die mit Lockmitteln ausgestattet sind. Meist sind das nährstoffreiche Fruchtschalen. Fressen Tiere solche Früchte, wandern die Samen oft über grosse Distanzen. Allerdings ist der Aufwand, den eine Pflanze für solche Früchte treiben muss, grösser und komplizierter. Wandern in einem Darm erscheint auf den ersten Blick einfach, ist es aber nicht. Wenn ein Samen den Verdauungstrakt eines Tieres durchläuft, trifft er unterwegs auf eine aggressive Umgebung. Es beginnt mit einem Säurebad im Magen und geht weiter im Darm, wo viele Verdauungsenzyme wirken. Auf diesem gefährlichen Weg müssen die Samen ihre Keimfähigkeit behalten. Ausserdem braucht es für den Transport im Bauch Tiere, die deutlich grösser sind als die Früchte. Werden diese Tiere selten oder sterben gar aus, kommt die Ausbreitung zum Erliegen.
Ameisen als Gärtner
Viele Pflanzen bilden Samen, deren Verbreitung durch Ameisen erfolgt. Die Samen sind oft viel grösser und schwerer als die Ameisen. Weil aber Ameisen fähig sind, einander beim Transportieren zu helfen, spielen diese Grössenunterschiede keine Rolle.
Ameisen sind soziale Tiere, sie arbeiten für ihr Volk. Arbeiterinnen schleppen Baumaterial oder Futter ins Nest. Dazu gehören auch Samen. Um von Ameisen transportiert zu werden, reicht es, wenn die Samen lediglich ein Anhängsel aus Fett oder Zucker haben. Diese Lockmittel heissen Elaiosomen. Dank dieser Elaiosomen schleppen die Ameisen die Samen ins Nest. Dort wird der Fett- und Zuckeranteil verwertet und der Rest – also der Samen – wird auf die Müllhalde gebracht. Dort keimen die Samen, oft auf einem nährstoffreichen Boden.
Nicht nur Schneeglöcklein und Krokusse bilden Elaiosomen. Auch Winterlinge, Veilchen, Schlüsselblumen, Schöllkraut, Taubnesseln und viele mehr nutzen das «Ameisentaxi». Diese Art von Samenverbreitung darf nicht unterschätzt werden, denn Ameisen kommen fast überall vor. In der Schweiz gibt es etwa 140 Arten, sieben davon sind Waldameisen.
Wenn Sie solche Naturwunder im eigenen Garten erleben möchten, reicht es, wenn Sie auf das intensive Rasenmähen und vor allem auf Insektizide verzichten. Einige der 140 Arten werden sich auch in Ihrem Garten wohlfühlen und Samen transportieren.
Auch wenn wegen des Klimawandels die Temperaturen steigen, müssen wir uns um die «Ameisentaxis» keine Sorgen machen. Ameisen lieben die Wärme, und ihre Artenzahl dürfte deshalb eher zu- als abnehmen. Im Jahr 2000 wurden in der Schweiz bereits fünf gebietsfremde Arten registriert, darunter die berüchtigte Argentinische Ameise (Linepithema humile). Wissenschaftler befürchten, dass diese Art zu einer Abnahme der Artenzahl führen könnte, weil sie konkurrenzstark ist und andere verdrängt.