Einsatz für die Demokratie in Europa
12.01.2024 BaselbietZwei Europarat-Delegierte sprechen über ihre Arbeit
Franziska Stadelmann und Matthias Gysin sind seit 2020 nebenberuflich als Schweizer Vertreter beim Europarat in Strassburg tätig. Im Interview sprechen sie über ihre Aufgaben im Kongress der Städte und Regionen.
...Zwei Europarat-Delegierte sprechen über ihre Arbeit
Franziska Stadelmann und Matthias Gysin sind seit 2020 nebenberuflich als Schweizer Vertreter beim Europarat in Strassburg tätig. Im Interview sprechen sie über ihre Aufgaben im Kongress der Städte und Regionen.
Paul Aenishänslin
Frau Stadelmann und Herr Gysin, in welchem Europarat-Gremium sind Sie genau tätig?
Franziska Stadelmann: Beide sind wir Schweizer Delegierte im Kongress der Städte und Regionen – dies seit 2020. Im Gesamten gibt es sechs Schweizer Delegierte und ebenfalls sechs Ersatzdelegierte, die jeweils für fünf Jahre gewählt sind. Matthias Gysin vertritt dabei den Schweizer Gemeindeverband, ich den Schweizer Städteverband. Ich bin dem Ausschuss für laufende Angelegenheiten zugeteilt, Matthias Gysin dem Überwachungsausschuss. Daneben gibt es noch den Governance-Ausschuss.
Wie muss man sich den Gesamtaufbau des Europarats vorstellen, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde und dem die seit 1963 angehört?
Matthias Gysin: Der Europarat hat vier Hauptabteilungen: den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die Versammlung nationaler Parlamentarier aus den 46 Mitgliedstaaten, den Ministerrat, in dem die Aussenminister oder je nachdem andere Minister der Mitgliedstaaten vertreten sind, und eben den Kongress der Städte und Regionen.
Wer ist der höchste Vertreter der Schweiz?
Gysin: Für die Schweiz ist momentan Aussenminister Ignazio Cassis Teil des Ministerrats. Zudem unterhält unser Land wie die anderen Mitgliedstaaten des Europarats eine diplomatische Vertretung in Strassburg, mit einem ständigen Botschafter an der Spitze. Aktuell ist dies Botschafter Claude Wild.
Was sind die Schwerpunkte des Europarats?
Gysin: Der Europarat setzt sich seit seiner Gründung vor mehr als 70 Jahren für die Menschenrechte und die Demokratie in Europa ein. Die Erhaltung und Stärkung der Freiheitsrechte ist dabei eine Kernaufgabe.
Und wofür ist der Kongress der Städte und Regionen da?
Gysin: Der Kongress fokussiert sich auf die demokratischen Rechte und die Autonomie der unteren Staatsebenen, sprich Regionen, Städte und Gemeinden. Nur wenn die Freiheitsrechte auch bei ihnen gewährleistet sind – und zwar in der Praxis und nicht nur auf dem Papier –, herrscht Rechtssicherheit in Europa. Dies ist für alle Bürger von Belang. Denn sie müssen auf die Einhaltung demokratischer Rechte zählen können.
Wie häufig trifft sich der Kongress der Städte und Regionen im Jahr?
Stadelmann: Die 306 Delegierten treffen sich zwei Mal im Jahr zur Plenarsitzung, die jeweils eine Woche dauert. Kongress-Präsident ist derzeit der Belgier Marc Cools. Er ist für zweieinhalb Jahre im Amt: noch bis Ende 2025.
Herr Gysin, Sie sind wie erwähnt im Überwachungskomitee des Kongresses der Regionen und Städte aktiv. Was machen Sie da genau?
Gysin: Wir führen Missionen in allen Mitgliedstaaten durch. Diese dauern jeweils eine Woche und wir klären ab, ob das betroffene Land die Charta des Europarats einhält, welche die Rechte und Pflichten der unteren Staatsebenen festschreibt. Es geht um Demokratie und Autonomie in Regionen, Städten und Gemeinden. Jeder Mitgliedstaat sollte alle fünf bis sieben Jahre kontrolliert werden.
Wie läuft eine solche Mission ab?
Gysin: An einer «Überwachungsmission» nehmen normalerweise vier Personen teil: zwei Co-Rapporteure, das ist meine Rolle, die Staatssekretärin des Überwachungsausschusses und ein wissenschaftlicher Experte. Zuerst treffen wir im betroffenen Land jeweils die Verbände der Gemeinden und Städte, um von ihnen zu erfahren, ob sie mit ihrer Situation, Finanzlage und Autonomie zufrieden sind. Auch fragen wir sie, wo der Schuh drückt – insbesondere, was das Verhältnis zur Regional- oder Zentralregierung anbelangt.
Und danach?
Gysin: Dann treffen wir Vertreter und Vertreterinnen der Gemeinden und der Regionalregierungen. Schliesslich haben wir in der Regel auch noch ein Treffen mit dem nationalen Innenminister. So können wir uns mit allen drei Staatsebenen austauschen und relevante Informationen sammeln. Dabei wollen wir wissen, ob den unteren Staatsebenen genügend Autonomie und finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
Was passiert mit dem fertigen Länderbericht? Landet er in Strassburg einfach in einer Schublade?
Gysin: Mitnichten. Der Bericht wird zuerst im Überwachungsausschuss besprochen und geht dann in den Kongress der Regionen und Städte zur Verabschiedung. Der Bericht beinhaltet auch Empfehlungen. Deren Umsetzung wird im darauffolgenden Monitoring beurteilt.
Wie schneidet die Schweiz bei diesen «Kontrollen» ab? Gysin: Das letzte Länderexamen für die Schweiz fand 2017 statt. Unser föderales Land schneidet regelmässig sehr gut ab. Die unteren zwei Staatsebenen, also Kantone und Gemeinden, haben viel Autonomie, können selbst Steuern erheben und sind Musterbeispiele der direkten Demokratie, wie übrigens auch die Bundesebene.
Frau Stadelmann, wie sieht Ihr Aufgabenfeld aus?
Stadelmann: Der Ausschuss für laufende Angelegenheiten, in dem ich aktiv bin, ist dafür verantwortlich, die Rolle der Regionen und Gemeinden im Hinblick auf die grossen Herausforderungen unserer Zeit vorzubereiten. Es sind dies der soziale Zusammenhalt, die Bildung, die Jugendbeteiligung, der Schutz der Kinder, die Steuerung der Migration oder die Gleichstellung der Geschlechter, um nur einige Beispiele zu nennen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Stadelmann: Es werden Anhörungen und Veranstaltungen organisiert, Debatten über aktuelle Angelegenheiten und Notsituationen geführt und Berichte an den Europarat zur Empfehlung weitergeleitet. Was mich noch reizen würde, wäre die Einsitznahme in eine Wahlbeobachtungsmission. Diese werden durchgeführt, um zu kontrollieren, ob bei Wahlen in einem Mitgliedsstaat alles mit rechten Dingen zugeht.
Wie lange wollen Sie Ihre Funktion im Europarat noch ausüben? Stadelmann: Wir planen beide, uns für eine zweite Amtsperiode zur Verfügung zu stellen. Diese würde von 2025 bis 2030 dauern.
Was motiviert Sie?
Gysin: In unseren Tätigkeiten haben wir Kontakt mit vielen Delegierten aus anderen europäischen Ländern. Zusammen mit ihnen können wir einen Beitrag leisten zur Sicherung der Menschenrechte und der Demokratie in Europa, und damit zum Frieden auf unserem Kontinent.
Zu den Personen
Franziska Stadelmann ist seit 2019 Gemeindepräsidentin in Muttenz. Sie gehört der «Mitte» an. Von Beruf ist sie Religionslehrerin an der Primarschule Muttenz. Seit 2020 ist sie Schweizer Delegierte im Kongress der Regionen und Städte des Europarats.
Matthias Gysin ist seit 2016 Gemeinderat in Duggingen. Er gehört keiner Partei an, hat eine eigene Beratungsfirma und ist Geschäftsführer des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden. Daneben doziert er an der FHNW. Seit 2020 ist er Schweizer Delegierter im Kongress der Regionen und Städte des Europarats. pae.
Forum für Zusammenarbeit
vs. Der Europarat mit Hauptsitz in Strassburg wurde im Jahr 1949 gegründet – und zwar als Reaktion auf den verheerenden Zweiten Weltkrieg, der Millionen Todesopfer gefordert hatte. Heute kennt er 46 Mitgliedsstaaten, die 676 Millionen Bürger umfassen. Die Schweiz ist seit 1963 Mitglied. Russland dagegen wurde nach seinem Angriff auf die Ukraine aus dem Europarat ausgeschlossen.
Ziel dieser internationalen Organisation ist die Förderung der Menschenrechte, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der wirtschaftlichen Entwicklung. Dabei dient sie hauptsächlich als Forum für Debatten. Der Europarat ist unabhängig von der EU und hat auch eine justizielle Sparte: den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – er wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention.