Ein Oberbaselbieter in New York
14.01.2025 Bezirk SissachErnst Wagner wuchs in Wenslingen auf. Nach dem Lehrerseminar in Schiers und Studien in Basel zog er 1974 nach New York. Dort baute er zusammen mit einem berühmten Architekten eine Firma für Beleuchtungen auf. Kurz vor Weihnachten starb er 81-jährig.
Paul ...
Ernst Wagner wuchs in Wenslingen auf. Nach dem Lehrerseminar in Schiers und Studien in Basel zog er 1974 nach New York. Dort baute er zusammen mit einem berühmten Architekten eine Firma für Beleuchtungen auf. Kurz vor Weihnachten starb er 81-jährig.
Paul Aenishänslin
Es gibt «einfache» Lebensläufe und Schicksale und solche, die aussergewöhnlich sind. Ernst Wagners Leben gehört zur zweiten Kategorie.
Wobei: Die ersten 20 Jahre von Wagner, der 1943 in Liestal geboren wurde, waren für damalige Zeiten unauffällig. Sein gleichnamiger Vater war Küfer und Weinhändler in Wenslingen, seine Mutter Klara Hausfrau. Sein um fünf Jahre älterer Bruder Hansruedi liess sich zum Bankkaufmann ausbilden. Der junge Ernst besuchte von 1950 bis 1955 die Primarschule in Wenslingen und bis 1959 die Realschule (heute Sekundarschule) in Gelterkinden. Der Schreibende dieses Artikels lernte Ernst Wagner während der Realschulzeit gut kennen.
Wir wurden bald Schulfreunde. Zusammen mit Hans Leuenberger (Gelterkinden), der in der gleichen Klasse war, erkundeten wir die Oedenburg bei Wenslingen und die Höhle im Eibachtal, wo einst Steinzeitmenschen gewohnt hatten. Hans und ich waren öfters im Elternhaus von Ernst in Wenslingen zu Besuch.
Die musisch-künstlerische Begabung zeigte sich bei Ernst schon früh. Als 15-Jähriger modellierte er während des Schulunterrichts aus Ton meinen Kopf täuschend echt. Er spielte auch gut Klavier. Als es mit 16 Jahren um die Berufswahl ging, entschloss sich Ernst, das Lehrerseminar in Schiers (GR) zu besuchen. Er überzeugte mich, auch Seminarist zu werden. In Schiers bewohnten wir während zwei Jahren die gleiche «Bude» im sogenannten «Olymp». Während der Schulferien baute Ernst in der Werkstatt seines Vaters in Wenslingen Holzsessel eines berühmten Designers nach.
Nach Abschluss des Seminars mit dem Baselbieter Lehrerpatent trennten sich unsere Wege. Er wurde Primarlehrer in Birsfelden, ich unterrichtete in Graubünden. Unser Kontakt verlor sich ein wenig. Ich studierte ab 1966 Wirtschaft an der Universität Basel, was Ernst einige Jahre später auch tat, ohne dass wir uns noch öfter sahen.
Dann passierte 1970 etwas, das dem Leben von Ernst eine völlig neue Richtung gab: Er kam als Austauschstudent zum ersten Mal nach New York, wo es ihm sofort sehr gut gefiel. Die Stadt war damals noch viel lebendiger, aufregender – und gefährlicher als heute.
Über 50 Jahre im «Big Apple»
Nach dem Studienabschluss in Basel im Frühling 1974 entschloss sich Ernst, im Sommer eine Stelle bei der Handelsfirma Philipps in New York anzutreten. Von da an bis zu seinem Tod im Dezember vergangenen Jahres lebte er in der US-amerikanischen Metropole, also mehr als 50 Jahre lang – und das zeitlebens als Schweizer Bürger ohne amerikanischen Pass.
Ebenfalls 1974 lernte er in New York den damals sehr erfolgreichen amerikanischen Architekten Paul Rudolph kennen. Rudolph war später in Yale als Professor und Dekan der Architekturabteilung tätig. Ernst wurde Freund und Geschäftspartner von Paul Rudolph, der 1918 im Bundesstaat Kentucky auf die Welt gekommen war. Beide bewohnten das Penthouse in den obersten Geschossen eines Gebäudes am Beekman Place in New York mit Sicht auf den East River, das vom Architekten Rudolph selbst gestaltet worden war.
Zusammen mit Paul Rudolph baute Ernst ab 1976 die Firma Modulightor auf, spezialisiert auf handgefertigte Beleuchtungen, die modular aus einigen Grundelementen zusammengesetzt sind und an Architekten geliefert werden. Der Showroom und die Produktion dieser Beleuchtungen befanden sich bereits 1991 – bei meinem Besuch – in den zwei untersten Geschossen und im Keller des Hauses an der 58. Strasse in New York, das von Rudolph gestaltet wurde.
Als ich später die Firma Modulightor, die nach dem Tod von Paul Rudolph 1997 von Ernst weitergeführt wurde, erneut besuchte, stand diese in voller Blüte mit zahlreichen Mitarbeitenden. Ernst lebte nun auch im Haus 246, East 58th Street, in den oberen Stockwerken. Bis 2014 besuchte ich meinen Kollegen ein- bis zweimal im Jahr in New York. Auch kam ich mit der Paul-Rudolph-Stiftung in Berührung, die Ernst nach dem Tod seines Freundes und Geschäftspartners gegründet hatte.
Sowohl bei «Modulightor» wie auch der Stiftung war mein Jugendfreund in seinem Element. Bei «Modulightor» ging es vor allem darum, die bestehenden Beleuchtungskreationen – von Paul Rudolph und Ernst Wagner entworfen und von Lampen bis zu ganzen Kronleuchtern reichend – auf LED umzustellen. Bei der Stiftung ging es um den Schutz und die Erhaltung abbruchgefährdeter Werke von Paul Rudolph. Nach Verlassen der Paul-Rudolph-Stiftung 2014 gründete Ernst die «Paul Rudolph Heritage Foundation» und später das «Paul Rudolph Institute».
Ein Wenslinger geblieben
Ernst kam gerne in die Schweiz, um an Klassenzusammenkünften teilzunehmen, Verwandte zu besuchen oder nostalgische Reisen nach Graubünden und ins Tessin zu unternehmen. Auch empfing er in New York öfter Besuch aus der Schweiz, vor allem Verwandte. Im Mai 2020 erlitt Ernst einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr richtig erholte. 2023 übersiedelte er in ein New Yorker Altersheim.
Im November 2024 wurde Ernst in das «Lenox Hill Hospital» in New York eingeliefert, wo die Ärzte unter anderem einen Darmverschluss feststellten. Von dieser Erkrankung erholte sich Ernst nicht mehr. Er starb am 23. Dezember 2024 in diesem Spital in New York.
Ein aussergewöhnliches Leben hat so seinen Abschluss gefunden. Ernst wurde 81 Jahre und 7 Monate alt. Er hat vieles erlebt und mitgestaltet. Trotz seiner langen Zeit in New York blieb er ein waschechter Oberbaselbieter, der gerne in seine Heimat zurückkehrte und zeitlebens fliessend «Wäisliger»-Dialekt sprach.