Doch keine Zwangsimpfung
22.12.2023 BaselbietDie Kesb verzichtet auf «Vollstreckung» – aus Gründen der Verhältnismässigkeit
Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt: Zwei Kinder sollten auf gerichtliche Anordnung gegen ihren Willen und gegen den Widerstand der Mutter gegen Masern geimpft werden. Die ...
Die Kesb verzichtet auf «Vollstreckung» – aus Gründen der Verhältnismässigkeit
Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt: Zwei Kinder sollten auf gerichtliche Anordnung gegen ihren Willen und gegen den Widerstand der Mutter gegen Masern geimpft werden. Die Kesb Gelterkinden-Sissach hat nun beschlossen, «auf die Vollstreckung der Massnahme» zu verzichten.
tho. Den Beschluss hat die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Gelterkinden-Sissach gestern Donnerstag gefasst: Auf die Vollstreckung der Masernimpfung an zwei Oberbaselbieter Knaben – neun- und elfjährig – werde verzichtet, wie es in einer Medienmitteilung heisst.
Verschiedene Massnahmen zur Umsetzung der Impfung hätten zuvor «nicht die gewünschte Wirkung erzielt». Da die Situation der betroffenen Kinder zunehmend eskaliert sei, habe die Kesb nun beschlossen, nicht weiter auf der Impfung zu beharren. Dies nach «einer umfassenden Interessenabwägung sowie Verhältnismässigkeitsprüfung», wie die Behörde schreibt.
Am Anfang der Auseinandersetzung stand laut der Kebs-Mitteilung die Uneinigkeit eines Vaters und einer Mutter mit gemeinsamem Sorgerecht, ob die beiden Buben gegen Masern geimpft werden sollen oder nicht. Der Vater wollte die Kinder impfen lassen, die Mutter wehrte sich dagegen bis vor Bundesgericht. Der Vater obsiegte: Die Mutter wurde verpflichtet, die Kinder zusammen mit dem Vater zur Masernimpfung zu begleiten und die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfohlene Impfung durchführen zu lassen. Die Mutter allerdings weigerte sich.
Die Kesb Gelterkinden-Sissach habe als zuständige Vollzugsbehörde «verschiedene Mittel zur Umsetzung» eingesetzt «und erhöhte stufenweise deren Intensität». Nachdem keine Lösung auf Vermittlungsbasis habe gefunden werden können, habe sie wiederholt Weisungen erlassen, ferner eine Strafanzeige wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen gegen die Kindsmutter eingereicht und schliesslich auch den Vollzug mit Unterstützung der Polizei angedroht, schreibt die Kesb weiter.
In Mitleidenschaft gezogen
Nachdem der Fall in der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden war, kam es zu erheblichen Reaktionen. In Sissach fand eine grössere Kundgebung vor dem Gebäude der Kesb statt, an der sich die sogenannten «Freiheitstrychler» und weitere schweizweit bekannte Covid-19-Massnahmenkritiker beteiligten. Die folgende Mahnwache vor dem Sissacher Kesb-Gebäude dauerte ganze 40 Tage an; sie wurde gegen Ende Oktober beendet.
Die Proteste hätten zu keiner Zeit Einfluss auf das Funktionieren der Behörde gehabt, schreibt die Kesb in ihrer Mitteilung von gestern. Jedoch seien vor allem die betroffenen Kinder in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie wurden laut Kesb während mehrerer Wochen aus der Schule genommen – offenbar aus der Furcht heraus, in der Schule polizeilich abgeholt und dem Impfarzt vorgeführt zu werden, wie die Mutter dies begründete. Auch der Kontakt zum Vater war laut Kesb abgebrochen worden. Gleichzeitig seien die Kinder «von der Mutter mit vollem Namen in die Öffentlichkeit gestellt» worden, schreibt die Kesb. Damit dürfte ein längeres Interview gemeint sein, das die Mutter zusammen mit ihren Kindern dem Covid- 19-massnahmenkritischen Internet- Sender «Hoch2TV» gegeben hatte (die «Volksstimme» berichtete).
Keine neue Praxis
«Daraus entstand eine Gefährdungssituation, die über die eigentliche Frage der Impfung weit hinausging», kommentiert die Kesb in ihrer Mitteilung. Und weiter: «Der körperlichen Gefährdung (gemeint ist eine mögliche Ansteckung mit Masern, die Red.) standen vermehrt Schadenspotenziale auf der psychischen Ebene entgegen.» Den Kindern sei es verunmöglicht worden, eine unbeschwerte Beziehung zu beiden Elternteilen zu pflegen, und deren Loyalitätskonflikt sei massiv erhöht worden. Vor dem Hintergrund, dass die Kinder in mittelbarer Zukunft über die Frage der Masernimpfung selbstständig entscheiden könnten und wegen eines «parallel laufenden Gerichtsverfahrens», habe die Kesb «unter Abwägung aller Umstände und nach Prüfung der Verhältnismässigkeit» auf den behördlichen Vollzug der Masernimpfung nun verzichtet. Auf unsere Nachfrage, worum sich das in der Medienmitteilung erwähnte Gerichtsverfahren dreht, wollte die Kesb nicht weiter eingehen.
Die Kesb Gelterkinden-Sissach betont in ihrem Communiqué abschliessend, «dass diese Neubeurteilung keine behördliche Praxis begründet». Das Bundesgericht habe klare Leitlinien vorgegeben, wie bei fehlender Einigkeit von gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen betreffend Masernimpfung vorzugehen sei: «An diese Vorgaben hält sich die Kesb.» Entsprechend werde auch künftig in jedem Fall einzeln zu prüfen sein, welche Vollzugsanordnungen getroffen werden könnten, um behördliche respektive gerichtliche Anordnungen umzusetzen.