Die Stille zwischen uns
27.05.2025 PersönlichEs gibt Menschen, mit denen fühlt sich Stille an wie ein Fehler. Wie ein Zwischenraum, den man überbrücken muss, weil er sonst unangenehm auffällt. Es reichen ein paar Sekunden, in denen niemand etwas sagt, und schon greift jemand zum Handy, sagt etwas Belangloses übers ...
Es gibt Menschen, mit denen fühlt sich Stille an wie ein Fehler. Wie ein Zwischenraum, den man überbrücken muss, weil er sonst unangenehm auffällt. Es reichen ein paar Sekunden, in denen niemand etwas sagt, und schon greift jemand zum Handy, sagt etwas Belangloses übers Wetter oder stellt eine Frage, die ihn gar nicht wirklich interessiert. Hauptsache, es wird geredet. Die Stille scheint sonst zu laut.
Ich erinnere mich an ein Abendessen vor ein paar Jahren. Zwei Bekannte, beide freundlich, klug, gesprächig. Und doch: Sobald eine kurze Pause entstand, wurde sie sofort «zugelabert». Als ob die Luft nicht leer bleiben durfte. Es war ein bisschen wie bei einer Radiosendung, in der keine Sekunde Sendezeit ungenutzt verstreichen darf. Am Ende des Abends war ich müde – vom Reden und vom Wachsam-Sein. Ich hatte das Gefühl, ich hätte etwas leisten müssen. Nur weil niemand kurz still sein konnte.
Und dann gibt es diese anderen Menschen. Mit ihnen darf es still sein. Die Minuten dürfen einfach verstreichen, ohne dass jemand sich verpflichtet fühlt, sie zu füllen. Man muss kein Thema anschneiden, keine Meinung liefern, nicht mit den Gedanken auf Sendung gehen. Man darf einfach sein.
Meine Schwester ist so ein Mensch. Wir verbringen oft Stunden in ihrer Küche, jede mit einer Tasse Tee, jede mit ihren eigenen Gedanken. Ab und zu sagt jemand etwas, wir lachen zusammen oder besprechen ein ernstes Thema, dann wieder minutenlang nichts. Keine dieser typischen Füllsätze, kein Small-Talk übers Wetter und auch kein Druck, den «Alleinunterhalter» geben zu müssen.
Neulich fiel mir auf, dass auch mein Lieblingscafé stiller geworden ist. Früher war es ständig laut: klapperndes Geschirr, Gespräche, Musik. Heute sitzen viele mit Kopfhörern da oder starren schweigend in ihren Laptop. Ich weiss nicht, ob das angenehm oder traurig ist. Vielleicht beides. Vielleicht leben wir mittlerweile so oft in digitalen Dauerunterhaltungen, dass uns im echten Leben manchmal die Worte fehlen. Oder die Lust, sie zu benutzen.
Ich habe auch nichts gegen Schweigen am Handy. Diese Textnachrichten, die einfach irgendwann aufhören – kein Gruss, kein Emoji, keine künstliche Verabschiedung. Früher hätte ich das unhöflich gefunden. Heute finde ich es beruhigend. Es zeigt: Wir müssen nicht immer alles abrunden.
Und trotzdem ist sie schwer zu greifen, diese gute Art von Stille. Sie ist zart. Sie will nicht analysiert werden. Sie zeigt sich oft erst im Rückblick – wenn man wieder auf den Chat klickt und merkt, dass man sich bei jemandem ausruhen konnte, obwohl kaum etwas gesagt wurde.
Was ich früher als unangenehm empfunden habe – dieses plötzliche Verstummen – ist für mich heute fast ein Gradmesser für Nähe. Denn wer miteinander schweigen kann, ohne sich beobachtet oder bewertet zu fühlen, der ist meistens angekommen. Nicht unbedingt für immer, aber für den Moment. Und manchmal reicht das völlig.
Luana Güntert, Sportredaktorin «Volksstimme»