«Die Probleme haben auch uns überrascht»
08.12.2023 BaselbietBLT-Vertreter ziehen ein Jahr nach dem Umbau der Waldenburgerbahn Bilanz
Die neue Waldenburgerbahn ist seit einem Jahr unterwegs. Der Betrieb mit dem Ausfall von Zügen, nicht schliessenden Türen und Zugsverspätungen sorgte bei manchem Fahrgast für Ärger. Christian ...
BLT-Vertreter ziehen ein Jahr nach dem Umbau der Waldenburgerbahn Bilanz
Die neue Waldenburgerbahn ist seit einem Jahr unterwegs. Der Betrieb mit dem Ausfall von Zügen, nicht schliessenden Türen und Zugsverspätungen sorgte bei manchem Fahrgast für Ärger. Christian Boos und Philipp Glogg von der Baselland Transport AG nehmen Stellung zu den verschiedenen Problemen.
Elmar Gächter
Angesichts der vielen Pannen hält sich die Zufriedenheit der Fahrgäste mit der neuen Waldenburgerbahn (WB) in Grenzen – oder sehen Sie dies anders?
Christian Boos: Ganz klar: Auch wir können nicht zufrieden sein. Nach dem Kaltstart wurde der Betrieb Anfang Jahr besser, dann gab es aber nochmals einen Taucher. Wir sind seit Inbetriebnahme der neuen WB mit der Stadler Rail intensiv daran, die Situation zu verbessern und dies ist uns auch sukzessive gelungen. Anpassungen haben wir auch beim Fahrplangefüge vorgenommen: Mit dem Viertelstundentakt war in Liestal die Anschlusssicherung zur SBB nicht optimal, insbesondere in der Umbauphase des Bahnhofs. Mit dem Viertelstundentakt talabwärts und dem 10-/20-Minuten-Takt ab Liestal ist uns dies nun gut und zur Zufriedenheit der Fahrgäste gelungen.
Sind Sie auf dem falschen Fuss erwischt worden?
Philipp Glogg: Wir wussten, dass wir mit der neuen WB Neuland betreten und haben uns bewusst für eine moderne Technik – das innovative digitale Assistenz- und Zugbeeinflussungssystem CBTC – entschieden. Wir wollten von Anfang an eine Plattform schaffen, die Stand der Technik und weiter ausbaubar ist. Es geht bei der Zugbeeinflussung um die Sicherheit, denn CBTC verhindert primär, dass ein Zug mit einem anderen kollidieren kann. Ein solches System muss restriktiv sein, um den geforderten Schutz sicherzustellen. Überrascht hat uns die Vielzahl der Einflüsse im Alltagsbetrieb, die sich unter anderem in Sicherheits-Bremsungen der Fahrzeuge niederschlugen. Hinzu kommt, dass wir bewusst durch ein sehr sportliches und ambitioniertes Inbetriebnahmeprogramm gegangen sind.
Hätte man die Testfahrten nicht früher ansetzen und damit die Probleme bereits vor Beginn des Vollbetriebs lösen können?
Glogg: Es ging vom Bauablauf her nicht anders, die Infrastruktur stand uns nicht früher für Testfahrten zur Verfügung. Man hat bei einem solchen Grossprojekt immer gewisse Unbekannte, und wir haben uns das Ziel gesetzt, bis zur Aufnahme des Vollbetriebs möglichst viele Risiken zu mindern. Dies ist uns nicht so schlecht gelungen, denn wir sind programmgemäss ab 11. Dezember 2022 gefahren. Man kann sich berechtigterweise die Frage stellen, ob man die neue WB nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt hätte in Betrieb nehmen sollen. Aber wann? Und wäre es dann wesentlich besser abgelaufen? Dies lässt sich rückblickend nicht beantworten.
Das Problem mit den nicht schliessenden oder sich öffnenden Türen scheint behoben zu sein. Wie steht es um die «rumpelnden» Fahrzeuge?
Glogg: Die Klopfgeräusche sind in der Tat unangenehm. Die CBTC-Zugbeeinflussung hat Sicherheits-Bremsungen ausgelöst und bei der im Herbst schlechteren Haftung zwischen Rad und Schiene zu Flachstellen an den Rädern geführt. Diese laufen nicht mehr rund und verursachen Klopfgeräusche. Wir sind daran, die einzelnen Fahrwerke zu demontieren und das Radprofil zu überarbeiten. Die aufwendigen Arbeiten werden bis kommenden Januar dauern.
Was sagt der Fahrzeughersteller Stadler Rail zu den Problemen?
Boos: Die sehr kritische und harte Sicht der Fahrgäste, wie sie der Oberdörfer Gemeindepräsident Piero Grumelli in der «Volksstimme» geschildert hat, ist sehr wohl bei der Chefetage der Stadler Rail angekommen. Auch der Fahrzeughersteller ist nicht zufrieden mit dieser Situation. Für ihn und uns ist es sehr wichtig, unser Ziel, die WB auf ein Toplevel zu bringen, weiterhin partnerschaftlich zu erreichen. Da leistet Stadler Rail im Rahmen des Vertrags Garantiearbeiten.
Wie gross ist der Frust bei Ihren Mitarbeitenden, insbesondere den Triebfahrzeugführerinnen und -führern?
Boos: Ich kann ihren Frust verstehen, vor allem, wenn sie mehrmals davon betroffen sind, dass der Zug irgendwo stehen bleibt. Wir beziehen unsere Mitarbeitenden in die Suche nach technischen Verbesserungen mit ein, nehmen ihre Rückmeldungen ernst und versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden.
Glogg: Wir wollen unsere Triebfahrzeugführerinnen und -führer weiterhin und vermehrt unterstützen, um ihnen das Fahren durch unterstützende Assistenzsysteme einfacher und sicherer zu machen. Die Akzeptanz dieser Technologie ist bei allen Mitarbeitenden sehr hoch, denn sie sehen die Vorteile in ihrem Arbeitsalltag. Auf den Menschen zählen wir auch künftig, denn die weitere Automatisierung steht zwar auf unserem Programm, aber wann wir dereinst vollautomatisch fahren werden, ist noch nicht absehbar. Wichtig ist uns, dass wir eine maximale Stabilität des Betriebs erreichen.
Ein Tenor von Fahrgästen ist, dass die Pünktlichkeit der WB stark nachgelassen habe. Stimmt das?
Boos: Pünktlich ist man laut den anerkannten Ansätzen der Bahnbetreiber, wenn man unter 2 Minuten und 59 Sekunden am Zielort ankommt. Wir haben dieses Ziel im ersten Quartal zu 92 Prozent erreicht, waren zwischenzeitlich etwas tiefer und liegen jetzt bei rund 95 Prozent. Wir haben somit einen guten bis sehr guten Wert, sind aber noch nicht zufrieden und wollen uns steigern. 100 Prozent über einen längeren Zeitraum zu erreichen, ist jedoch praktisch unmöglich.
Sind die Fahrgastzahlen tatsächlich rückläufig, wie einzelne Leserbriefe in der «Volksstimme» suggerieren?
Boos: Das Ziel, mit dem Bahnersatz während der Bauarbeiten keine Gäste zu verlieren, haben wir erreicht. Während der Pandemie 2020 und 2021 sind die Fahrgastzahlen auf ein tiefes Niveau abgesackt, nun sind wir mit rund 1,8 Millionen Benutzern wieder auf dem Niveau von 2019. Das Vertrauen in die WB ist vorhanden, und wenn es uns gelingt, stabil unterwegs zu sein, werden wir die Zahlen weiter steigern können. Dies wollen wir auch mit unseren Doppeltraktionen erreichen, die wir während der Hauptverkehrszeiten auf stark frequentierten Kursen einsetzen. Jeder Fahrgast soll in Fahrtrichtung Liestal bis und mit der Station Bad Bubendorf und talaufwärts bis zur Haltestelle Oberdorf Winkelweg einen Sitzplatz haben.
Vor Beginn des WB-Neubaus wurden von Gewerbeseite Befürchtungen laut, der Individualverkehr talauf- und talabwärts werde zusätzlich behindert.
Boos: Die Schliesszeiten bei den Bahnübergängen wurden optimiert. Gab es bei der alten Bahn oft grossen Rückstau – beim Bad Bubendorf zeitweise bis in den Altmarkt – ist dies heute kein Problem mehr. Ein gutes Beispiel ist auch der Übergang bei St. Peter in Oberdorf, der dank der Doppelspur und der verbesserten Schrankentechnik jeweils schnell geräumt ist.
Zurzeit gibt es immer wieder Betriebsunterbrüche, die mit einem Busersatz aufgefangen werden. Weshalb?
Glogg: Es geht vor allem darum, die Software-Updates des CBTC-Systems auf der Strecke zu testen. Während dieser Zeit wird der Bahnverkehr gesperrt und es verkehren Busse als Bahnersatz. Diese Arbeiten können aus Gründen der Sicherheit nicht während des normalen Bahnbetriebs ausgeführt werden.
Der angesprochene Piero Grumelli bemängelte, dass die Klimaanlage in den Fahrzeugen mehr heize als kühle. Konnten Sie dieses Problem lösen?
Glogg: Wir haben die Regelung der Klimaanlagen angepasst, sodass es im Sommer nicht mehr vorkommen sollte, dass die Fahrzeuge nicht kühlen. Wir optimieren die Regelung weiter, auch im Heizbetrieb, sodass die Klimatisierung im Wagen sowohl im Sommer wie auch Winter den Bedürfnissen unserer Fahrgäste entspricht.
Müssen sich die Fahrgäste auch künftig auf Zugsausfälle und grössere Störungen einstellen?
Glogg: Eine 100-prozentige Sicherheit, dass es nicht mehr dazu kommt, können wir nicht geben. Das Risiko, dass das umfangreiche und komplexe elektronische Netzwerk zu Störungen führt, lässt sich nie ganz ausschliessen. Aber wir sind während des nun ein Jahr dauernden Betriebs erfahrener geworden. Wir arbeiten daran, dass wir die Pünktlichkeit, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit weiter steigern – für den Fahrgast, aber auch für uns.
Die Bauarbeiten sind bis auf gewisse Restarbeiten abgeschlossen. Wie sieht die Endkostenprognose aus?
Boos: Das Infrastrukturprojekt war auf 320 Millionen Franken budgetiert. Wie bereits anderweitig prognostiziert, schliessen wir definitiv mit rund 345 Millionen ab. Die Mehrkosten liegen vor allem beim Hochwasserschutz in Niederdorf sowie den Projektänderungen bei der Renaturierung der Frenke in Hölstein. Die Fahrzeuge kosten wie geplant rund 58 Millionen Franken.
Zu den Personen
emg. Der 48-jährige Philipp Glogg, Leiter Fahrzeuge bei der BLT, ist verheiratet und wohnt mit seiner Familie in Röschenz. Er ist gelernter Elektromechaniker und hat sich zum Energietechniker und Business-Engineer weitergebildet. Er arbeitet seit 2017 bei der BLT.
Christian Boos, 56, ist verheiratet und wohnt in Seltisberg. Nach seiner Lehre als Maschinenmechaniker folgten Zusatzausbildungen zum Technischen Kaufmann und der Hochschulabschluss in Betriebswirtschaft. Er kam 2007 als Leiter Betrieb zur BLT und ist seit September dieses Jahres für den Bereich Angebotsplanung und Angebotsausbau verantwortlich sowie Projektleiter für die Erneuerung der Waldenburgerbahn.