«Die Partei ist nicht im Schuss»
03.04.2024 BaselbietThomas de Courten will trotz Verzichts von Präsident Dominik Straumann an die Spitze der SVP
Der Baselbieter SVP-Präsident Dominik Straumann verzichtet auf eine Wiederwahl. Ein 24-köpfiges Komitee um Straumann portiert den Vizepräsidenten Johannes Sutter. ...
Thomas de Courten will trotz Verzichts von Präsident Dominik Straumann an die Spitze der SVP
Der Baselbieter SVP-Präsident Dominik Straumann verzichtet auf eine Wiederwahl. Ein 24-köpfiges Komitee um Straumann portiert den Vizepräsidenten Johannes Sutter. Landrätin Caroline Mall (als Präsidentin) und Nationalrat Thomas de Courten (als Vize) treten trotz Straumanns Verzicht am Parteitag vom 25. April als neues Führungsduo zur Wahl an.
Tobias Gfeller, David Thommen
Herr de Courten, Sie und Caroline Mall haben angekündigt, gegen Parteipräsident Dominik Straumann anzutreten. Jetzt verzichtet dieser. Sind Sie überrascht?
Thomas de Courten: Offensichtlich ist die Einsicht, dass es einen Wechsel in der Parteileitung braucht, bis über die Ostertage in zahlreichen Gesprächen und breit abgestützt gereift. Ich war selbst auch involviert und begrüsse die getroffenen Entscheide. Dominik Straumann gebührt Dank, für alles, was er für die Partei geleistet hat. Seinem Entscheid, nicht mehr anzutreten, zolle ich grossen Respekt.
Jetzt will der bisherige Vizepräsident Johannes Sutter Präsident werden. Verzichten Sie und Mall nun auf Ihre Kandidatur?
Ich finde es im Gegenteil höchst spannend, dass die Parteibasis nun an der kommenden Generalversammlung die Möglichkeit hat, zwischen zwei gleichermassen ambitionierten und dennoch differenzierten Präsidentschaftskandidaturen zu wählen. Was will man mehr?
Trauen Sie dem bisherigen «Vizepräsidentenduo» Sutter/Imondi die Parteileitung also zu?
Absolut. Beide Kandidaturen sind aus meiner Warte aussichtsreich, überzeugend und profiliert. Unsere Ambition ist darüber hinaus einfach und klar: Wir wollen frischen Wind, neuen Schwung, Elan und wieder mehr Freude am Politisieren in die Partei tragen.
Sie sind seit 2011 Nationalrat und so von Amtes wegen Mitglied der Parteileitung der SVP Baselland. Nun möchten Sie Vizepräsident werden. Warum wollen Sie sich diesen schlecht bezahlten und mit viel Aufwand verbundenen Job antun?
Wir stehen am Ende einer Parteilegislatur. Das bietet Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Wenn wir das objektiv und selbstkritisch machen, müssen wir uns eingestehen, dass wir nicht dort stehen, wo wir mit dieser Partei hinwollten. Deshalb müssen wir über die Bücher. Wer Kritik übt, steht auch in der Pflicht, sich entsprechend zu engagieren. Ich bin bereit, mich in die Riemen zu legen.
Was konkret kritisieren Sie am bisherigen Präsidium um Dominik Straumann?
Wir konnten bei den Landratswahlen im vergangenen Jahr keine Sitze dazugewinnen. Im Gegensatz zu anderen Kantonalsektionen der SVP haben wir das Klimatief von 2019 also nicht wettmachen können. 2015 hatten wir noch 28 Landratsmandate. Jetzt sind wir bei deren 21 steckengeblieben.
Zudem hat die SVP ihren Regierungssitz verloren …
Das war für die Partei ein schwerer Schlag. Bei den Nationalratswahlen 2023 wiederum haben wir solide abgeschnitten. Aber: Die beiden SP-Gewählten haben bessere Resultate erzielt als wir. Wir haben unser Potenzial nicht ausgeschöpft. Und bei den Gemeinderatswahlen haben wir in wichtigen Gemeinden verloren. Die Oberfläche zeigt, dass die Partei nicht im Schuss ist. Deshalb muss man sich auch intern ehrlich und selbstkritisch damit auseinandersetzen und sich eingestehen, dass ein Ruck durch die Partei gehen muss, sonst gibt es einen schleichenden Untergang, den wir nicht einfach so zulassen dürfen.
Sie haben konkrete Resultate aufgezählt. Was ist vom Präsidium her falsch gelaufen?
Es braucht mehr Leadership. Es braucht Kritikfähigkeit – heisst, auch sich selber einzugestehen, dass man die Ziele nicht erreicht hat. Und den Willen, etwas zu ändern. Es braucht auch neue Ideen, Spirit und Durchsetzungskraft, damit wir wieder vorwärtskommen. Ich spüre, dass die Sektionen in den Gemeinden erwarten, dass man wieder präsenter ist, dass wir bei ihnen wieder Veranstaltungen organisieren, Unterschriftensammlungen und Standaktionen durchführen. Das ist im Moment jeweils ein riesiger Kraftakt, weil auch bei den Sektionen die Strukturen etwas eingeschlafen sind. Wir haben Mühe, die Leute fürs Mitmachen zu motivieren. Das geht tief in die Partei hinein. Deshalb braucht es frischen Wind.
Haben Sie das Gefühl, dass das Feuer unter Dominik Straumann etwas erloschen ist?
Ich möchte explizit festhalten, dass ich nicht Dominik Straumann ad personam kritisiere. Ich stelle einfach fest, dass unter seiner Präsidentschaft die Partei in ein Fahrwasser geraten ist, in dem es nicht weitergeht. Das müssen wir ändern.
Kritisiert wird, dass Straumann zu weit weg vom politischen Alltag war, seitdem er nicht mehr im Landrat sitzt. Caroline Mall, die Präsidentin werden möchte, befindet sich in ihrer letzten Legislatur im Landrat. Sehr nachhaltig wäre ihre Wahl also nicht.
Caroline Mall ist im Landrat – und bleibt da auch noch eine ganze Weile. Sie hat dort schon viele politische Sträusse ausgefochten. Sie ist in Bezug auf die SVP-Grundwerte verlässlich und hat Erfahrung in der Führung einer Sektion. Mall hat Feuer im Herzen und kann wie eine Löwin kämpfen. Das sind Qualifikationen, die ich an ein Präsidium stelle. Bei ihr spüre ich dieses Feuer und diese Leidenschaft – bei anderen weniger.
Sie geben Dominik Straumann eine Mitschuld, dass Sandra Sollberger den Sprung in den Regierungsrat verpasst hat. Doch ihr Wahlkampf war, gelinde gesagt, auch nicht gut.
Ich gebe die Schuld niemandem persönlich, auch nicht dem Präsidenten. Wir stehen als SVP Baselland insgesamt in der Pflicht. Ich sage ganz offen: Diesen Wahlkampf haben wir als Parteileitung verhauen. Politik ist ein Teamsport. Entscheidend ist, dass man nach so einer Niederlage analysiert, wo die Fehler waren, sich eingesteht, dass man Fehler gemacht hat und dann Änderungen vornimmt. Das ist in der Parteileitung die vergangenen zwei oder drei Jahre nicht passiert.
Auch die Gemeindewahlen haben gezeigt, dass es für SVP-Politiker schwieriger wird, in Exekutivämter gewählt zu werden. Ist es dann nicht kontraproduktiv, wenn die SVP vom Stil her lauter und provokanter auftritt, wie es gewisse Beobachter von Caroline Mall erwarten?
Die Frage nach dem Stil kann ich nicht nachvollziehen. Schaut man sich die Smartspider-Profile von Dominik Straumann und Fraktionschef Peter Riebli an, erkennt man, dass diese fast deckungsgleich sind. Caroline Mall ist sogar moderater als die beiden. Die Stilfrage ist deshalb der falsche Ansatz. Die Baselbieter SVP war in den vergangenen Jahren nur präsent, wenn Fraktionspräsident Peter Riebli aufstand und klare Kante zeigte – immer mit Anstand. Er füllte zusammen mit seiner Fraktion das entstandene Vakuum in der Partei. Wir müssen uns insgesamt bodenständiger zeigen, unsere Wähler mehr einbinden, zu ihnen hingehen, die Bürgernähe leben.
Die Stilfrage lässt sich aber nicht wegdiskutieren. Die Sissacherin Sarah Regez sorgte bei den Nationalratswahlen und auch jetzt wieder für Aufsehen. FDP-Präsident Ferdinand Pulver sagte mehrfach, dass die Zusammenarbeit auf der Kippe stehen würde, falls bei der SVP der Stil einer Sarah Regez einkehren würde. Wie wichtig ist Ihnen persönlich die bürgerliche Zusammenarbeit im Baselbiet?
Die bürgerliche Zusammenarbeit ist völlig unbestritten. Es ist sonnenklar, dass wir nur etwas erreichen können, wenn wir die bewährte bürgerliche Zusammenarbeit im Baselbiet weiterleben. Wir sind aufeinander angewiesen und wollen auf Augenhöhe kooperieren. Ich kann nicht erkennen, wo jemand von uns in der bisherigen Zusammenarbeit so unanständig war, dass es Ferdinand Pulver oder Silvio Fareri (Präsident der «Mitte» Baselland, Anm. d. Red.) nicht gepasst hätte.
Sie und Caroline Mall sind beide deutlich über 50 Jahre alt. Wäre jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen, um frischen, jüngeren Kräften an der Parteispitze Platz zu machen?
Ich fühle mich mit 57 Jahren noch ziemlich im Saft. Selbstverständlich müssen wir die nächste Generation einbinden, sie fördern und ihr Aufgaben geben. Der Generationenwechsel ist ein Auftrag an die neue Parteileitung. Chef sein heisst auch motivieren, Mut stiften, Inputs geben, vor Ort sein. Als Ueli Maurer Parteipräsident war, zog er durchs Land und gründete Sektion um Sektion. Das sollte unser Anspruch sein.
Weshalb?
Es braucht diese Demut und diese Knochenarbeit, um in den Sektionen wieder mehr Freude am Politisieren zu vermitteln. Ich habe das Gefühl, andere Parteien schaffen es besser, Lebenslust in die Politik zu bringen. Auch wenn es in einer Sektion einmal nicht so läuft, muss die Parteileitung vor Ort sein. Nur von oben E-Mails zu verschicken, reicht nicht.
Welche Akzente würden Sie persönlich als Vizepräsident setzen?
Ich habe mir vorgenommen, klare Standpunkte zu formulieren. Verständlich jene Anliegen aufzuzeigen, welche die Bevölkerung beschäftigen. Das betrifft den Verkehr, die Energie, Sicherheit, Finanzen und Steuern, Bildungsfragen – bei denen es viel zu verbessern gibt –, Bürokratieabbau, kantonale Spitalplanung. Kurz: Es gibt viele Ansatzpunkte, auch in der Regierungspolitik. Dazu möchte ich wieder ein Team in der Parteileitung, bei dem alle gerne zusammenarbeiten und als Führungsmannschaft die SVP voranbringen.
Haben Sie noch persönliche Ziele übers Nationalratsmandat und das Vizepräsidium der Partei hinaus? Regierungsrat? Bundesrat?
(Lacht) Ich glaube nicht, dass ich nochmals für den Regierungsrat kandidieren werde. Ich möchte mithelfen, dass die SVP zurück in die Regierung kommt. Das ist die Ambition. Ansonsten habe ich Freude an meiner Arbeit, auch im Nationalrat. Das will ich gerne weitermachen. Ich möchte auch für und mit der SVP Baselland wieder Marksteine setzen.
Sektionen der Jungen SVP kritisieren Regez
sda./vs. Sechs kantonale Sektionen der Jungen SVP haben sich von extremistischen Gruppierungen distanziert. Ideologien aller politischer Extreme hätten im Werteverständnis der Jungpartei keinen Platz, teilten sie gestern mit.
Die JSVP stehe für eine Politik, die sich am Rechtsstaat, an Demokratie und am festgeschriebenen Parteiprogramm orientiere. Zu den Unterzeichnern des Communiqués gehören die Sektionen Säntis (Appenzell Ausserrhoden), Graubünden, Schaffhausen, Thurgau, Solothurn und Basel-Stadt. Die Jungparteien würden konsequent auf Begrifflichkeiten wie «Remigration» oder «Bevölkerungsaustausch», die von extremistischen Gruppierungen verwendet werden, verzichten und distanzieren sich von jeglicher Unterstützung oder Verbreitung solcher Inhalte in den Sozialen Netzwerken.
Auch werde Sarah Regez (Sissach, erste Nachrückende auf der Baselbieter SVP-Nationalratsliste) dazu aufgefordert, ihre Position in der Parteileitung als Strategiechefin der JSVP Schweiz vorerst zu sistieren, hiess es weiter. Regez soll gemäss «Sonntagsblick» an einem geheimen Treffen des österreichischen Rechtsradikalen Martin Sellner teilgenommen haben, an welchem auch Mitglieder der als rechtsextrem geltenden Gruppierung «Junge Tat» anwesend waren. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe sollen geklärt werden. Ein allfälliger Rücktritt oder ein Ausschluss von Regez aus der Parteileitung müsse laut den Sektionen in Betracht gezogen werden.
Die Verfasser des Schreibens appellieren auch an den neuen Parteipräsidenten Nils Fiechter (BE) und die gesamte Parteileitung, eine klare Abgrenzung gegen rechtsextremistische Strömungen vorzunehmen. Zu den Forderungen der kantonalen Sektionen wollte Fiechter auf Anfrage von Keystone-SDA keine Stellung nehmen. Laut Fiechter würde die Politik versuchen, ihre verursachten Missstände zu vertuschen, indem jeder, der dieses Versagen anspreche, in eine rechtsextreme Ecke gedrängt werde.
Bei einem organisierten Anlass der «Jungen Tat» in Tegerfelden (AG) wurde der Rechtsradikale Sellner von der Kantonspolizei angehalten und weggewiesen. Die Junge SVP Aargau solidarisierte sich im Anschluss mit dem Österreicher, was wiederum zu Kritik führte. Die Aargauer Sektion distanzierte sich nach der Kritik von rechtsextremen Positionen.