Die Kunst des fliegenden Rollenwechsels
05.11.2024 Bezirk Sissach, OltingenPreisgekröntes Kabarettduo faszinierte in der Oberen Mühle mit einem Pointen-Feuerwerk
Wer geistreiche Satire mag, kam am Wochenende in Oltingen auf seine Kosten. Die Genossenschaft Obere Mühle feierte ihr 5-Jahre-Jubiläum: Es standen ein musikalischer ...
Preisgekröntes Kabarettduo faszinierte in der Oberen Mühle mit einem Pointen-Feuerwerk
Wer geistreiche Satire mag, kam am Wochenende in Oltingen auf seine Kosten. Die Genossenschaft Obere Mühle feierte ihr 5-Jahre-Jubiläum: Es standen ein musikalischer Märchenabend und poetische Clowngeschichten auf dem Programm.
Brigitte Keller
Am 1. November 2019 war es so weit: Die Genossenschaft Obere Mühle in Oltingen durfte die Schlüssel von Haus und Hof in Empfang nehmen und eine neue Ära einläuten. Viele kreative Köpfe und fleissige Hände haben seither gewirkt, um die Vision eines «Orts für Begegnungen und kreatives Tun» in die Tat umzusetzen. Neben den dauerhaften Angeboten setzen die Macherinnen und Macher auch auf eine möglichst breite Palette an kulturellen Veranstaltungen.
Für das vielfältige Kulturprogramm zeichnet Fidelio Lippuner, seit Kurzem unterstützt von Jolanda Gass, verantwortlich. Mit viel Leidenschaft hat er in den fünf vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass ein buntes Programm an Theateraufführungen und Märchenstunden sowie Ausstellungen und Konzerten stattgefunden hat. Es braucht Ausdauer und Hartnäckigkeit, um Künstler nach Oltingen zu holen.
Dass die Anreise zuhinterst ins Oberbaselbiet für ausserkantonale Kunstschaffende seine Tücken haben kann, war auch von Anna-Katharina Rickert und Ralf Schlatter aus Zürich am Samstag zu vernehmen. Sie bilden das Kabarettistenduo Schön&Gut und waren eine der drei Attraktionen für das Jubiläumswochenende.
Das Duo ist seit mehr als 20 Jahren auf den Kleinkunstbühnen der Deutschschweiz unterwegs und überzeugt mit seinem hochkarätigen, poetischen und politischen Kabarett. «Ihre grosse Kunst sind die Verschachtelung von Geschichten, fliegende Rollenwechsel und ihre mit grösster Sorgfalt gepflegte Sprache, die in rasanten Wortspielen immer wieder literarische Sphären erreicht.» Dieser Satz stammt von 2014, als ihnen der Schweizer Kabarett-Preis überreicht wurde.
Ein Ort dreht am Windrad
Und von diesem brillanten Wortwitz, der herrlichen Mimik sowie dem fliegenden Wechsel zu verschiedenen Figuren und Dialekten konnte sich das Publikum in der Oberen Mühle am Samstag unterhalten lassen. Im Streich des Duos, mit dem Titel «Aller Tage Abend», stehen wiederum die Gemeinde Grosshöchstetten und ein paar lieb gewonnene Bewohnerinnen und Bewohner im Mittelpunkt des Geschehens. Der Ort liegt im Emmental, könnte aber auch an so manch anderem Ort in der Schweiz liegen, und dreht ganz schön am Rad, genauer gesagt am Windrad.
Gemeindepräsident Kellenberger ist am Rotieren. Auf der Schönmatt, hoch über Grosshöchstetten, liegt die Zukunft in der Luft: dank drei wuchtigen Windrädern. Das Volk hat er mit Würsten und Aktien so gut wie im Sack, wäre da nicht eine ominöse Aktivistin, die drauf und dran ist, ihm den Wind aus den Rädern zu nehmen. Die Segel hingegen setzt Matrosentochter Katharina Gut, während Metzgersohn Georg Schön seit Neustem auf Tofu steht. Doch das wird jäh gebremst, aus heiterem Himmel, und plötzlich steht die Zukunft in den Sternen. Und vielleicht muss nicht nur das Rad neu erfunden werden.
Jede der verkörperten Figuren ist nur auf den ersten kurzen Blick klar einzuordnen. Sehr schnell kommen deren Vielschichtigkeiten zum Vorschein. Keine der Figuren, ob zwei- oder vierbeinig, passt in die Schublade, in die man sie automatisch stecken will. Nichts ist, wie es scheint. Es wird mit Worten gespielt und mit Sätzen jongliert. Geschlechterrollen, Machtmissbrauch und scheinheilige Versprechungen: Sie alle bekommen ihr – immerhin wohl rein pflanzliches – Fett weg.
Das geistreiche, rund anderthalbstündige Pointenfeuerwerk wurde mit einem grossen Applaus verdankt. Im Anschluss an die gelungene Vorstellung waren alle Anwesenden eingeladen, mit einem Glas Sekt auf das Jubiläum der Oberen Mühle und alles, was zukünftig noch folgen wird, anzustossen.
Dort bewiesen auch die Verantwortlichen der Genossenschaft einen fliegenden Rollenwechsel: vom Vorstandsmitglied zum Mann und Frau an der Theke. Gerne verweilte das Publikum noch länger im gemütlichen Mühleraum und nutze die Gelegenheit für angeregte Gespräche.