Die Jugend übernimmt Verantwortung
25.01.2024 WenslingenSiljan Staub und Tim Weitnauer läuten die Schulhausglocke
Die Betzeitglocke im alten Wenslinger Schulhaus wird seit jeher von Jugendlichen manuell geläutet. Eine langjährige Tradition, welche die Teilhabe der jungen Dorfbevölkerung im Gemeindewesen stärken ...
Siljan Staub und Tim Weitnauer läuten die Schulhausglocke
Die Betzeitglocke im alten Wenslinger Schulhaus wird seit jeher von Jugendlichen manuell geläutet. Eine langjährige Tradition, welche die Teilhabe der jungen Dorfbevölkerung im Gemeindewesen stärken soll.
Lisa Zumbrunn
«Sicher haben Sie auch schon bemerkt, dass die Betzeitglocke verstummt ist. Eine Nachfolge konnte bisher nicht gefunden werden. Auch die Lehrkräfte der Primarschule haben ihre Schülerinnen und Schüler darauf angesprochen und niemanden dafür gefunden. Eigentlich möchte man die Tradition nicht wieder aufgeben …».
So lautete ein Beitrag in den Gemeindenachrichten Wenslingen im März 2007. Noch heute erklingt von Montag bis Freitag pünktlich zwischen 19.05 und 19.15 Uhr, in den Sommermonaten zwischen 20.05 und 20.15 Uhr, die Betzeitglocke, die im ehemaligen Schulhaus untergebracht ist. So sind seit September dieses Jahres Siljan Staub und Tim Weitnauer die Jugendlichen, die in Wenslingen traditionsgemäss für das Läuten der Glocke verantwortlich sind. Eine grosse Verantwortung, welche die beiden Schulfreunde teilen. Denn zur Betzeit wird noch manuell geläutet.
Montag bis Donnerstag wechseln sich die beiden Jugendlichen ab. «Da Tim am Montagabend sein Hobby ausübt und ich am Dienstagabend, ergibt sich die Reihenfolge von selbst», erzählt Siljan Staub. Am Freitag gehen sie jeweils gemeinsam zum Läuten, da die Kollegen dann zusammen Jugi haben. Dass in der Gemeinde das «Bätzyglöggli», wie es die Bevölkerung nennt, von Jugendlichen geläutet wird, ist eine langjährige Tradition. Bereits der Vater eines Kindes, das die Aufgabe in den vergangenen Jahren übernommen hat, war in seiner Jugend für das Läuten der Glocke verantwortlich.
Tradition und Orientierungshilfe
«Das war halt schon immer so», ist der Tenor. Wer in Wenslingen aufgewachsen ist, kennt die Betzeitglocke als festen Bestandteil der Gemeinde. «Die ältere Dorfbevölkerung richtet ihre Armbanduhr nach wie vor nach dem Läuten», sagt Gemeindepräsident Andreas Gass.
Gass erzählt, dass trotz des immer noch manuellen Betreibens der Glocke zur Betzeit einige Unterschiede zu «anno dazumal» bestehen. Was heute als Tradition geführt wird, war vor 100 Jahren eine wichtige Orientierungshilfe im Dorf. Die Glocke läutete damals mehrmals am Tag. Am Morgen früh wusste die Wenslinger Bevölkerung durch das Läuten, wann sie sich zu Fuss auf den Weg nach Tecknau machen musste. Dies, um mit dem Zug der Hauensteinlinie zur Arbeit zu gelangen.
Ausserdem wies das abendliche Läuten darauf hin, wann die Kinder nach Hause müssen. «Früher wurde dies noch vom Pfarrer oder Lehrer kontrolliert», erklärt Gass. Da habe es einst noch einen Rüffel oder auch mal eine Ohrfeige gegeben, wenn man zu spät eintraf. «Bei uns wurde aber höchsten noch damit gedroht», fügt Gass an und lacht.
Noch heute nutzen viele Eltern die Betzeitglocke als Orientierung, wann die Kinder zu Hause sein müssen. Die Jugendlichen Siljan Staub und Tim Weitnauer tragen somit eine grosse Verantwortung. Die jungen Wenslinger müssen sich organisieren, wenn einmal jemand beispielsweise krankheitsbedingt ausfällt. Nur in Ausnahmefällen wird nicht geläutet.
Dies beinhaltet, montags bis freitags während ungefähr zwei Minuten am Strang der Glocke zu ziehen, wie erwähnt im Winter zwischen 19.05 und 19.15 Uhr, in den Sommermonaten eine Stunde später. Da zur vollen Stunde das Läuten automatisiert ist, beginnen die Jugendlichen um fünf nach. «Wir nehmen dazu das Handy zu Hilfe», erklärt Jungläuter Siljan Staub. Der 13-Jährige besucht die Sekundarschule in Gelterkinden und hat die Aufgabe im September von seinem Nachbarn übernommen.
Vor zwei Jahren, als die Uhr im Turm des alten Schulhauses ersetzt werden musste, zog der Gemeinderat einen vollständig automatisierten Betrieb in Betracht. Aufgrund des neu elektrisch betriebenen Läutens wäre dies möglich gewesen. Der Wenslinger Gemeinderat entschied sich jedoch dagegen: «Mit der Aufgabe können Jugendliche am Gemeindewesen partizipieren», erklärt Gemeinderat Gass. Dieser gehen Siljan Staub und Tim Weitnauer seit September gewissenhaft nach. Und wer weiss, vielleicht läuten auch irgendwann ihre Kinder die Wenslinger Betzeitglocke.