Die Invasion schreitet voran
23.10.2025 BaselbietRekordmeldungen zur Asiatischen Hornisse
Die Asiatische Hornisse breitet sich in unserer Region weiterhin stark aus. Die zuständige Stelle im Baselbiet wird mit Meldungen überflutet. Allein in diesem Jahr gab es mehr als 1400 bestätigte Sichtungen. Betroffen ist nun der ...
Rekordmeldungen zur Asiatischen Hornisse
Die Asiatische Hornisse breitet sich in unserer Region weiterhin stark aus. Die zuständige Stelle im Baselbiet wird mit Meldungen überflutet. Allein in diesem Jahr gab es mehr als 1400 bestätigte Sichtungen. Betroffen ist nun der ganze Kanton.
David Thommen
2024 sind in beiden Basel 57 Nester der Asiatischen Hornisse «fachgerecht entfernt» – sprich zerstört – worden. Heute zeigt sich, dass die Ausbreitung des 2017 erstmals in der Westschweiz aufgetretenen invasiven Insekts trotz dieser Massnahme nicht gestoppt werden konnte. Ganz im Gegenteil: Allein im Baselbiet wurden im laufenden Jahr bereits mehr als 170 Nester der Hornissen gesichtet und unschädlich gemacht. Zusammen mit Basel-Stadt dürften es bis zum Winteranfang rund 260 zerstörte Nester werden, schätzt man – also knapp eine Verfünffachung im Vergleich zum Vorjahr.
Wie gross die Dunkelziffer ist, vermag niemand zu sagen. Bislang wurden die meisten Nester im Siedlungsgebiet entdeckt, doch es ist bekannt, dass sich die Hornissen auch unbemerkt in Wäldern ansiedeln können. Das Ausmass der Ausbreitung steht damit alles andere als fest.
Die zuständige Baselbieter Bekämpfungsstelle wird seit Wochen mit Sichtungen aus der Bevölkerung regelrecht überflutet: Bis gestern Morgen sind im laufenden Jahr exakt 1413 von Fachleuten bestätigte Meldungen über festgestellte Hornissen oder Nester eingegangen. «2024 markierte den Beginn der Tsunami-Welle», sagt Gabriel Stebler von der kantonalen Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD), die für die Neobiota-Bekämpfung zuständig ist. Heute stelle man fest, dass die Flut mit hohem Tempo weiter steige.
«Der Befall im Baselbiet ist mittlerweile flächendeckend», sagt Stebler. Bestätigte Sichtungen habe es im laufenden Jahr aus jeder einzelnen der 86 Gemeinden gegeben. Den grössten Befall registriert man zwar immer noch im Raum Birstal, wo die Invasion im Baselbiet begann, doch eigentliche lokale «Hotspots» gebe es heute nicht mehr – die ganze Region Basel ist zum Hotspot geworden.
Bekämpfung mit Aktivkohle
So richtig angekommen ist die Welle also auch im Oberbaselbiet, wie ein Blick nach Ziefen unterstreicht: Dorthin rückte Maria Corpataux von der Koordinationsstelle Asiatische Hornisse BS/BL am Dienstagabend mit ihrer Ausrüstung aus. Zuvor hatte der zuständige Revierförster gemeldet, dass sich beim Dorfausgang in Richtung Bubendorf ein fussballgrosses Hornissennest hoch in einem Baum gleich an der Hauptstrasse befindet. «Eher ein Nestlein …», meint Corpataux nach einem ersten Augenschein mit einem Augenzwinkern. Andere Kugeln seien drei- oder sogar viermal so gross. Ihre Arbeit ist hier rasch getan: Mit ihrer leichten, spitzen und bis zu 30 Metern ausziehbaren Teleskoplanze sticht sie das Nest vom Boden aus an und pumpt durch einen Schlauch in zwei, drei Anläufen rund 35 Gramm Aktivkohlestaub mit Druckluft in den Wabenbau, in dem sich schätzungsweise 300 bis 500 Insekten befinden.
Kurze Zeit später taumeln einige der kohlenschwarz gewordenen Exemplare Richtung Boden, wo die Tiere rasch verenden. Zahlreiche der ums Nest herumschwirrenden Hornissen dürften zwar entkommen sein, der grosse Rest ist jedoch chancenlos: Der extrem feine Staub entzieht den Insekten über die Oberfläche Feuchtigkeit und beschädigt ihre Wachsschicht, sodass sie austrocknen und schliesslich rasch sterben.
Die Methode sei für die Schweiz einigermassen neu und auch noch experimentell, wie Corpataux sagt.
Vorteil: Aktivkohle gilt nicht als Biozid und ihre Verwendung wird nicht als umweltschädlich eingestuft. Selbst im Wald, wo besonders scharfe Schutzbestimmungen gelten, darf der Stoff zur Bekämpfung der Insekten eingesetzt werden. Nächste Station für Corpataux? «Lausen. Dort wartet ein Riesennest …»
Die Bekämpfung der Asiatischen Hornisse gelinge in der Region Basel im Vergleich zum Ausland vermutlich beispiellos gut, sagt BUD-Vertreter Gabriel Stebler nicht ohne Stolz. Die Zusammenarbeit der Behörden vorab mit den Imkern sei ausgezeichnet, dazu beteiligten sich am Aufspüren der Brutstätten viele weitere Freiwillige wie beispielsweise die Hobbyfunker. Und entscheidend sei die Mithilfe der Bevölkerung bei den Sichtungen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass viele Nester nie entdeckt werden und seit Anfang Oktober schon Abertausende Königinnen ausgeflogen sind, um sich einen geschützten Ort zum Überwintern zu suchen – von der Scheune über Brennholzstapel bis zur Hecke.
Exponentielles Wachstum?
Da dem Insekt mit Herkunft Asien der hiesige Winter kaum zusetzt, dürfte die Welle im nächsten Jahr nochmals deutlich ansteigen. BUD-Vertreter Stebler, hörbar um Besonnenheit bemüht, sagt: «Lediglich eine Verdoppelung im nächsten Jahr wäre schon ein grosser Erfolg.» Doch liegt eher ein exponentielles Wachstum im Bereich des Möglichen: So registriert man im spanischen Galicien, wo die Asiatische Hornisse deutlich früher auftrat als bei uns, mittlerweile eine Dichte von 20 Nestern pro Quadratkilometer. Im Baselbiet wird in diesem Jahr erst von 0,5 bis 1 Nest auf gleicher Fläche ausgegangen. Indessen sei Galicien nur bedingt mit dem Baselbiet vergleichbar, sagt Stebler. Ein solches «Worst-Case-Szenario» halte er bei uns für eher unwahrscheinlich. Wobei jede Prognose gewagt ist, da es noch an wissenschaftlichen Daten zu diesem relativ neuen Phänomen fehlt. Jetzt müsse viel in die Forschung investiert werden.
Die Sorgen dürften selbst bei einer besseren Datengrundlage nicht rasch kleiner werden. Fest steht, dass die Asiatische Hornisse der hiesigen Insektenwelt stark zusetzt. «Der Bestand eines grossen Hornissennests jagt andere Insekten mit einem Gesamtgewicht von 11 Kilogramm», sagt Maria Corpataux. Dabei stehen nicht weniger als 1400 verschiedene Insektenarten auf dem Speiseplan der eingeschleppten Hornissen. Bevorzugt werden allerdings Wildund Honigbienen erbeutet und dem Nachwuchs verfüttert, was bei den hiesigen Imkern für tiefe Sorgenfalten sorgt: «Das wird für uns ein riesiges Problem», sagt ein Bienenzüchter, der bei der Nestzerstörung in Ziefen anwesend war.
Sorgen – und nicht nur wegen der möglicherweise schlechter werdenden Bestäubungssituation für die Kulturpflanzen – machen sich mittlerweile auch in der Landwirtschaft breit: Die Asiatische Hornisse braucht den Treibstoff Zucker für ihre Flüge. Wie im Baselbiet in diesem Jahr erstmals bemerkt wurde, tut sich das Insekt deswegen nicht zuletzt an Trauben gütlich. Stebler: «Wir haben mehrere entsprechende Meldungen bekommen.» Und wie Corpataux ergänzt, werden in Frankreich bereits erhebliche Ertragsausfälle wegen der Hornissen registriert. Auch an Obstkulturen würden Schäden festgestellt. Künftig, so vermutet die Fachfrau von der Koordinationsstelle Asiatische Hornisse BS/BL, könnte es schwieriger werden, genügend Erntehelfer zu rekrutieren, da man bei dieser Arbeit schmerzhafte Stiche riskiere.
Besorgt müsse man auch um andere Berufsgruppen sein. Corpataux nennt vorab Gärtnerinnen und Gärtner: «Hornissen bauen ihre Vornester bevorzugt in Hecken. Wehe, der Gärtner kommt und schneidet diese …» Die Insekten seien äusserst aggressiv, wenn es darum gehe, das eigene Nest zu verteidigen. Bereits seien in beiden Basel Fälle dokumentiert, bei denen Berufsleute Opfer von Hornissenstichen geworden seien.
Dass es nicht mehr realistisch ist, die Asiatische Hornisse wieder loszuwerden, ist für Gabriel Stebler von der BUD mittlerweile eine Binsenwahrheit. Man werde nun ein «Populationsmanagement» anstreben müssen mit dem Ziel, den Bestand auf einem kontrollierbaren Niveau zu halten. Vom Bund erhofft sich der Leiter des Ressorts Störfallvorsorge und Chemikalien, dass die Kantone bald mehr Autonomie bei der Bekämpfung der Neobiota erhalten und sie selbst Gesetze dazu erlassen können. Damit könne das Baselbiet wirksamere Mittel in die Hand bekommen, sagt er. Längerfristig müsse man jedoch vor allem auf die Natur hoffen: dass sich durch natürliche Regulierung zum Beispiel mit Fressfeinden oder Krankheitserregern ein Gleichgewicht einstellen werde.



