«Die Eisenbahn war immer Kopf und Motor»
08.08.2025 RegionPräsident Thomas Marbet über die Entwicklung der knapp 20 000-Einwohner-Stadt
SP-Politiker Thomas Marbet ist Stadtpräsident von Olten. Er verkörpert das gesunde Selbstbewusstsein dieser Stadt, die zwar ihre Bedeutung der Eisenbahn verdankt, aber mittlerweile wesentlich ...
Präsident Thomas Marbet über die Entwicklung der knapp 20 000-Einwohner-Stadt
SP-Politiker Thomas Marbet ist Stadtpräsident von Olten. Er verkörpert das gesunde Selbstbewusstsein dieser Stadt, die zwar ihre Bedeutung der Eisenbahn verdankt, aber mittlerweile wesentlich mehr ist: etwa ein regionales Bildungszentrum.
Thomas Gubler
Herr Marbet, Olten hat sich jüngst wieder eindrücklich in Erinnerung gerufen, als ein Mann im Bereich des Bahnhofs auf einen Strommast stieg und grosse Teile des Schweizer Eisenbahnverkehrs lahmlegte. Ist Olten noch immer, wie der Schriftsteller Alex Capus einst schrieb, «der Nabel der Schweiz»?
Thomas Marbet: Wir haben immer noch den Kilometer-Null-Stein auf Gleis 12, der vielleicht nicht mehr ganz die Bedeutung von einst hat. Aber wir befinden uns immer noch am Kreuz zwischen Ost-West und Nord-Süd und identifizieren uns als Stadt sehr stark mit der Eisenbahn. Nicht ohne Grund; denn gut 3200 Arbeitsplätze in Olten sind bei der Eisenbahn angesiedelt. Das sind weniger als in Zürich oder Bern, aber wir sind diesbezüglich immer noch sehr weit vorne. Zudem spielt in den Oltner Familien die Bahn immer noch eine grosse Rolle. Sehr viele sind irgendwie mit ihr verbunden. Auch mein Grossvater war «Bähnler». Das schafft Identifikation.
Olten weist eine sensationelle verkehrstechnische Lage auf.
Ja, aber die Lage ist Fluch und Segen zugleich. Man ist schnell in Olten, aber auch sehr schnell wieder weg. Wir haben viel Tagestourismus, hätten aber gerne etwas mehr Übernachtungen.
Wie wichtig für Olten ist die Eisenbahn tatsächlich noch?
Die Eisenbahn war immer Kopf und Motor von Olten. Und sie ist bis heute ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor geblieben. Es gibt wichtige SBB-Infrastruktur in Olten wie die «Betriebszentrale Mitte», zahlreiche Werkstätten, die ausgebaut werden, und auch SBB Cargo hat einen bedeutenden Standort in Olten – und nicht zu vergessen: all die Bahn-Zulieferer.
Das heisst, Olten ist immer noch so etwas wie eine «Bähnlerstadt»?
Das Wort «Bähnler» gefällt mir nicht so. Das ist fast schon abwertend. Sagen wir doch lieber «Eisenbahnerstadt».
Ist es immer noch so, dass der Stadtpräsident bei den SBB interveniert, wenn ein Schnellzug in Olten nicht mehr halten soll? Ich berufe mich auch da wieder auf Alex Capus.
Das letzte Vorsprechen geht zurück auf eine Intervention der Jurasüdfuss- Städte wegen des Umsteigens für Reisende an den Genfer Flughafen. Dass der Oltner Stadtpräsident heute intervenieren würde, nur weil ein Schnellzugshalt wegfallen soll, ist aber eher unwahrscheinlich. Die Anekdote zeigt aber doch die Symbolkraft des Bahnhofs und der Zugverbindungen.
Ein anderer symbolträchtiger Ort im Zusammenhang mit der Bahn ist auf unabsehbare Zeit geschlossen: das Bahnhofbuffet. Spüren Sie das?
Ja, irgendwie schon. Mir scheint, es ist schon etwas verloren gegangen. Dieser Leerstand an einer Top-Lage ist schwer nachvollziehbar. Und ich gehe davon aus, dass dieser noch einige Monate anhält. Ich rechne damit, dass dort frühestens im kommenden Jahr wieder Leben einzieht.
Gehen wir etwas weg von der Bahn und näher zur Stadt Olten. Welches sind die Vorzüge der Stadt, der Sie vorstehen?
Ich stelle fest, dass man hier immer noch bezahlbaren Wohnraum findet und dass Olten eine erstaunlich hohe Kaufkraft aufweist. Das bestätigen auch Untersuchungen. Natürlich verdient man in Zürich und Zug mehr als in Olten, dafür sind die Lebenshaltungskosten dort auch viel höher. Und dann verfügt Olten über ein intaktes Naherholungsgebiet mit der Aare und dem Jura. Man ist in fünf Minuten im Wald oder am Wasser. Und nicht zu vergessen sind die zahlreichen Ausbildungsstätten in der Stadt Olten – von der Volksschule bis zur Fachhochschule. Im kommenden Jahr zieht auch die Pädagogische Hochschule von Solothurn nach Olten. Unsere Stadt ist sowohl für junge Leute in Ausbildung als auch als Arbeitsort attraktiv. Wir haben mehr Arbeitsplätze als Einwohner.
Das tönt überzeugend, vor allem wenn man bedenkt, dass Olten immer ein bisschen im Schatten der «Kulturstadt» Solothurn stand. Ist das immer noch so?
Ich habe eigentlich nie ein Spannungsverhältnis zwischen Olten und Solothurn wahrgenommen. Ich selbst habe Verwandte in Solothurn und daher ein enges Verhältnis zu dieser Stadt. Und was die Kultur betrifft, so hat auch Olten mittlerweile einiges vorzuweisen. Wir haben die Kabarett-Tage, die Tanz-Tage. Und Ende August findet wieder das internationale Fotofestival statt. Dann geben sich die Weltgrössen der Fotografie in Olten ein Stelldichein. Vielleicht nimmt man Solothurn national und international stärker wahr. Aber Olten hat doch sehr aufgeholt. Da ist viel Neues entstanden.
Die «Volksstimme» wird bekanntlich vorwiegend im Oberbaselbiet gelesen. Olten und das Oberbaselbiet sind geografisch sehr nahe. Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede. Man redet in Olten einen anderen Dialekt als in Läufelfingen. Wie gut kennen Sie das Oberbaselbiet?
Für mich gehörte das Oberbaselbiet stets zu unserem Naherholungsgebiet. In unserer Familie besuchte man immer wieder einmal das «Bad Ramsach». Wenn ich mit meiner Partnerin unerkannt und unbehelligt flanieren gehen will, dann gehen wir beispielsweise nach Sissach oder Liestal. Und wenn uns die Alpen zu weit sind, dann machen wir einen Ausflug in den Jura, auf den Hauenstein, den Bölchen oder die Wasserfallen, um etwas abzuschalten. Mit dem Oberbaselbiet assoziiere ich also in erster Linie Erholung.
Haben Sie auch persönliche Beziehungen ennet des Jura?
Ja, durchaus. Ich habe Verwandte in Diegten und Pratteln. Und ich habe in Basel Wirtschaft studiert. Der Drang nach Norden war für mich immer stärker als beispielsweise derjenige nach Osten.
Die Menschen im Oberbaselbiet, vor allem diejenigen im Homburgertal, gehen regelmässig nach Olten – vor allem um einzukaufen. Und die Leute im Frenkental besuchen den «Gäupark». Die Oberbaselbieter gehen also nicht ungern ins Solothurnische. Wie sieht es umgekehrt aus?
Die Oltnerinnen und Oltner gehen sicher weniger auf die andere Seite des Jura, um einzukaufen. Aber es gibt viele Leute aus Olten, die im Baselbiet arbeiten, und solche, die, wie ich selbst, dort Erholung suchen. Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass das «Läufelfingerli», das heisst die S9, für beide Seiten eine sehr wichtige Verbindungslinie ist und dass die Strecke an sich mit den Viadukten ohnehin ein Kulturgut ist.
Unterscheiden sich die Menschen dies- und jenseits des Hauensteins?
Abgesehen vom Dialekt kaum. Ich stelle einiges an Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen in der Umgebung von Olten und den Oberbaselbietern fest. Sie stehen beide nicht im Zentrum und haben etwas Unaufgeregtes, Bescheidenes. Überhaupt dünken mich die Kantone Baselland und Solothurn in vielem ähnlich. Man ist selber eher ländlich und profitiert doch von der Ausstrahlung der Städte.
Das Baselbieter Zentrum Liestal und die Stadt Olten sind ähnlich gross. Anders als Olten ist Liestal aber ein Kantonshauptort. Spielt das Ihres Erachtens eine Rolle?
Es spielt vor allem in Bezug auf das Angebot von Arbeitsplätzen eine Rolle. Die im Hauptort ansässige Kantonsverwaltung bietet natürlich eine Vielzahl von qualifizierten Arbeitsplätzen. Liestal hat auch eine ausgeprägtere Altstadt als Olten, dafür können wir das Gewässer besser ins Stadtleben einbeziehen. Ansonsten sehe ich Olten und Liestal von der Bedeutung her etwa gleich. Olten ist zwar kein Kantonshauptort, macht das aber mit seiner zentralen Lage wett.
Das Gewässer, also die Aare, trennt die Stadt Olten dafür aber auch in zwei Teile – ähnlich wie Basel?
Ja, und das führt dazu, dass man sich in Olten untereinander immer fragt: Auf welcher Stadtseite wohnst du? Die Antwort darauf lautet dann jeweils: auf der Richtigen … Die Trennung ist doch sehr relativ. Ich selbst habe auf beiden Seiten gewohnt.
Gibt es eine amtliche Beziehung zwischen Olten und Liestal? Kennen Sie den Stadtpräsidenten von Liestal?
Leider nicht. Man kennt sich unter den solothurnischen Gemeindeoberhäuptern und den Stadtpräsidenten von Solothurn, Grenchen und Olten. Sodann gibt es einen Austausch unter den Aareland-Gemeinden. Über die Jurahügel hinweg haben wir das nicht. Amtlich bleibt man eher unter sich. Aber es wäre vielleicht einen Versuch wert, diese Grenze nicht nur persönlich, sondern auch funktional zu überschreiten.
Kommen wir nochmals zurück zur Eisenbahn: Von Olten kommt man mit dem Zug sternförmig in die ganze Schweiz: Olten – Zürich, Olten – Bern, Olten – Basel, Olten – Luzern und Olten – Biel. Welche Linie ist für Olten die wichtigste?
Die Pendlerströme verlaufen vor allem in ost-westlicher Richtung, etwas weniger Nord-Süd. Sehr viele Leute pendeln aus Job-Gründen nach Zürich oder Bern. Die Linie nach Basel steht an dritter Stelle. Letztlich sind aber alle Linien für Olten wichtig, weil wir von allen Anbindungen profitieren.
Welches ist für Sie persönlich die wichtigste Verbindung?
Das hat sich im Lauf der Jahre geändert. In meinem früheren Jahren war das eindeutig die Linie Olten – Basel, dann Olten – Luzern und Olten – Bern. Heute ist es wahrscheinlich doch die Solothurner Linie Olten – Biel. Aber eigentlich war ich, als ich noch ein GA hatte, auf allen Linien zu Hause.
Olten war, obschon von der Eisenbahn geprägt, seit jeher eine liberale, sprich freisinnige Stadt. Das änderte sich 2013 mit Stadtpräsident Martin Wey («Mitte»). Sie selbst sind seit vier Jahren Stadtpräsident und gehören der SP an. Hat sich Olten politisch verändert?
Ich glaube schon. Die Veränderung zeigt sich in der Zusammensetzung des Stadtrats und des Stadtparlaments. Ich würde mich nicht als typischen Linken bezeichnen, aber der Stadtrat ist auf dem Papier links-grün. Und auch im Einwohnerrat, besteht seit den Neuwahlen in diesem Jahr eine kleine links-grüne Mehrheit. Olten folgte damit dem schweizerischen Städtetrend der vergangenen Jahre.
ie sieht Ihre Vision von Olten aus?
Wir stehen am Ende einer Legislatur und damit auch am Anfang einer neuen. Für mich ist klar, dass die Stadt qualitativ und nachhaltig wachsen soll. Ganz einfach, weil wir Leute brauchen, welche die doch erheblichen Zentrumslasten tragen. Natürlich leistet sich Olten auch einiges, was für ein Zentrum normal und nötig ist. Olten sollte sich insofern noch stärker zu einem regionalen Zentrum entwickeln, als wir gerade in der Stadtverwaltung noch mehr Dienstleistungen für das Umland anbieten könnten. Das wäre für alle Beteiligten effizienter und kostengünstiger. Ein grösseres Fusionsprojekt von Olten mit Trimbach, Hauenstein-Ifental und Wisen ist 2012 gescheitert.
Die «Volksstimme» stellt in der sechs - teiligen Serie «Ein Sommer in Olten» die Dreitannenstadt aus verschiedenen Blickwinkeln vor. Die Beiträge erscheinen im wöchentlichen Rhythmus. Das vorliegende Interview mit Thomas Marbet bildet den Abschluss der Serie.
Zur Person
gub. Thomas Marbet (58) ist in Olten aufgewachsen und hat in Basel Wirtschaftswissenschaft studiert. Im Jahr 2013 wurde der Sozialdemokrat in den Oltner Stadtrat und 2021 im ersten Wahlgang zum Stadtpräsidenten gewählt. Von 2015 bis 2024 sass er ausserdem für die SP im Solothurner Kantonsrat. Bis zu seinem Amtsantritt als Stadtpräsident war der Ökonom für die Nationalbank in Bern tätig.