«Die Bankenkrise war ein heilsames Ereignis»
28.12.2023 BaselbietRaiffeisen-Oberbaselbiet-Chef rechnet mit steigenden Hypothekarzinsen
Der Leiter der Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet, Matthias Renevey (56), analysiert das turbulente Bankenjahr 2023 mit dem Untergang der Credit Suisse und stimmt Hypothekarschuldner auf höhere Zinsen ein.
...Raiffeisen-Oberbaselbiet-Chef rechnet mit steigenden Hypothekarzinsen
Der Leiter der Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet, Matthias Renevey (56), analysiert das turbulente Bankenjahr 2023 mit dem Untergang der Credit Suisse und stimmt Hypothekarschuldner auf höhere Zinsen ein.
Thomas Gubler
Herr Renevey, Sie sind Leiter der Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet, waren früher Bankier im Aargau, wohnen im Fricktal und sind gebürtiger Freiburger. Was verbindet Sie eigentlich mit dem Oberbaselbiet?
Matthias Renevey: Nach mittlerweile elf Jahren in Liestal doch sehr viel. Ich habe im Baselbiet viele Bekanntschaften geschlossen und konnte ein gutes Netzwerk aufbauen. Zudem gehören das Fricktal und das Baselbiet irgendwie zusammen. Nicht nur die Landschaft ist ähnlich, auch die Menschen sind es. Aber hauptsächlich ist es schon die Arbeit und das Umfeld der Arbeit, die mich mit dem Baselbiet verbinden und zu zahlreichen Berührungspunkten geführt haben.
Sie waren acht Jahre lang Präsident von KMU Liestal. Haben Sie auch dadurch in Liestal Wurzeln geschlagen?
Es kommt drauf an, was man unter Wurzeln schlagen versteht. Ich bin wie gesagt seit elf Jahren hier. In diese Zeit fiel die Fusion der beiden Genossenschaften Raiffeisen Liestal und Raiffeisen Gelterkinden zu Raiffeisen Liestal-Oberbaselbiet im Jahr 2015. Das waren tolle Jahre, die auch grosse Herausforderungen mit sich gebracht haben. Ich habe in dieser Zeit das Gewerbe und die hiesigen Verhältnisse kennengelernt, und das alles hat zweifellos zu einer Verwurzelung geführt.
Sie sind wie erwähnt Leiter einer fusionierten Raiffeisenbank. Hat hat sich die Fusion bewährt?
Ich würde sagen, die Fusion hat sich nicht nur bewährt, sie hat sich mehr als gelohnt. Wir haben uns hervorragend entwickelt und positioniert. Wir sind mit einer Bilanzsumme von 900 Millionen Franken gestartet und stehen nun bei 1,7 Milliarden. Wir konnten den Bruttogewinn massiv ausweiten und haben zahlreiche neue Arbeitsplätze geschaffen. Ich glaube, für beide Seiten, für Liestal und für Gelterkinden, war die Fusion eine gute Sache.
Das heisst, Sie sind mit der wirtschaftlichen Situation der Bank inzwischen zufrieden. Ganz zu Anfang war das nicht unbedingt der Fall.
Das stimmt. Ich habe damals nach einem Jahr gesagt: «Wir verdienen noch zu wenig.» Es brauchte etwas Zeit, alles auf einen Nenner zu bringen. Aber das ist immer so bei einer Fusion. Inzwischen sind wir aber sehr zufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung.
2023 war bankenmässig ein äusserst turbulentes Jahr. Die zweitgrösste Schweizer Bank, die Credit Suisse, ist untergegangen – beziehungsweise musste von der UBS übernommen werden. Wie haben Sie diese historische Bankenkrise erlebt?
Ich hatte das Glück, in dieser Zeit ein Sabbatical in Afrika geniessen zu können. Aber natürlich habe ich alles mitbekommen, wenn auch mit etwas örtlicher und zeitlicher Distanz. Sagen wir es so: Die ganze Entwicklung, der Umstand, dass eine Schweizer Grossbank, eine historische Marke, auf diese Weise untergeht, hat mich sehr nachdenklich gemacht. Dass ein Management und ein Verwaltungsrat ein solches Unternehmen auf diese Weise an die Wand fahren konnten, ist ein absolutes Desaster. Und die Finanzmarktaufsicht (Finma) möchte ich von meiner Kritik nicht ausnehmen. Aus meiner persönlichen Optik hat die Finma keinen guten Job gemacht.
Inwiefern ist eine Regionalbank wie die Raiffeisen Liestal-Oberbaselbiet von solchen Verwerfungen betroffen?
Eigentlich war für uns ein solches Ereignis heilsam. Es hat uns wachgerüttelt und zwingt uns, immer wieder zu fragen: Was machen wir möglicherweise falsch, oder wo müssen wir genauer hinschauen? Von den Folgen dieser Krise sind wir insofern betroffen, als dass das Bankenwesen mittlerweile völlig überreguliert ist. Wir müssen diese Regeln, die letztlich zu einer Verteuerung ohne signifikanten Mehrwert für den Kunden führen, genauso umsetzen wie eine Grossbank.
Wie konnte ein solche Katastrophe überhaupt geschehen? Da wurden doch Fehler gemacht.
Ich sage das jetzt als Aussenstehender. Aber es wurden zweifellos Fehler gemacht, Managementfehler, die man nicht machen darf. Und vielleicht war die Credit Suisse am Schluss auch zu wenig schweizerisch. Aber genau sagen kann ich das natürlich nicht.
Hatten Sie zu einem bestimmten Zeitpunkt Angst um den Schweizer Bankenplatz?
Nein, eigentlich nicht. Der Schweizer Bankenplatz ist doch ziemlich robust. Gerade Raiffeisen ist eine Gruppe, die in der Bevölkerung gut verankert ist, auch wenn wir uns entwickelt und verändert haben.
Hängt dieser Optimismus auch mit der Struktur der Raiffeisenbanken zusammen, dass nämlich der Kunde sehr häufig auch Genossenschafter ist und sich damit mit seiner Bank identifiziert?
Die Reputation einer Bank ist das A und O und zugleich auch ihr grösstes Risiko, wie der Fall Credit Suisse gezeigt hat. Möglicherweise hat Raiffeisen durch ihre Struktur vertrauensmässig einen gewissen Vorsprung, eine Art Vertrauensbonus gegenüber den Grossbanken. Das kommt daher, dass wir regional arbeiten und nicht im Ausland tätig sind. Wir nehmen das Geld hier ein und geben es auch hier in Form von Krediten wieder aus. Und das schätzt die Kundschaft.
Heisst das, einer Raiffeisenbank kann das, was der Credit Suisse passiert ist, nicht zustossen?
Einer einzelnen Bank kaum. Aufgrund des Solidaritätsprinzips kann keine Raiffeisenbank untergehen. Entweder wird sie mit einer anderen Raiffeisenbank fusioniert, oder sie erhält Kapital von der Zentrale, von Raiffeisen Schweiz. Deren Aktivitäten können wir aber nicht unbedingt steuern.
Aber auch die Raiffeisengruppe hatte in der jüngeren Vergangenheit mit Problemen zu kämpfen. Und zwar gerade wegen Raiffeisen Schweiz. Die Angelegenheit um CEO Pierin Vincenz hat der Bankengruppe sicher nicht gutgetan. Wie ist Raiffeisen Ihres Erachtens durch diese Krise gekommen?
Wir hier im Baselbiet sind gut durchgekommen. Wir hatten vielleicht fünf Kunden, welche die Bank wegen der Affäre Vincenz verlassen haben – bei 13 000 Genossenschaftern und 22 000 Kunden. Wir haben immer wieder betont, dass die Sache mit der einzelnen Genossenschaft nichts zu tun hat, sodass die einzelnen Banken zum Schluss schweizweit nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden. Einen schalen Beigeschmack aber hat die Angelegenheit natürlich gleichwohl hinterlassen.
Weil sie ganz einfach nicht zu Raiffeisen gepasst hat?
Das ist so. Bei einer Grossbank hätte man sich kaum gross gewundert. Bei Raiffeisen schon.
Glauben Sie, dass der Schweizer Bankenplatz inzwischen wieder konsolidiert ist?
Die Frage stellt sich in der Tat, jetzt, da die UBS so gross ist und über eine so grosse Marktmacht verfügt, die sie hoffentlich nicht missbraucht. Insgesamt glaube ich aber schon, dass der Bankenplatz mittlerweile wieder konsolidiert ist und dass das Vertrauen der Kundschaft wiederhergestellt ist. Die Schweizer Banken strahlen immer noch eine gewisse Seriosität aus. Vielleicht sind die Exponenten nach der Krise auch ein bisschen besser geerdet. Und schliesslich – seien wir ehrlich: Die anderen Bankenplätze sind bestimmt nicht besser.
Zurück zu Raiffeisen. Diese ist bekanntlich stark im Hypothekargeschäft engagiert. Die Prognosen über die Entwicklungen der Leitzinsen ändern sich derzeit fast wöchentlich. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Zinssituation?
Die Frage wird mir im Moment sehr oft gestellt, und ich gebe immer dieselbe Antwort: Es gibt bei den Prognostikern drei Lager: diejenigen, die sagen, die Zinsen steigen; diejenigen, die sinkende Zinsen voraussagen und schliesslich diejenigen, die sagen, es ändert sich wohl nichts oder nicht viel. Ich persönlich gehöre zu denen, die sagen, dass die Zinsen im kommenden Jahr steigen werden.
Weshalb?
Betrachten wir die wirtschaftlichen Parameter. Die Mieten steigen, die Krankenkassenprämien steigen, die Energiekosten steigen, und zahlreiche Produkte werden teurer. Das sind Inflationstreiber. Und wenn die Inflation steigt, steigen in der Regel auch die Zinsen. Hinzu kommt die unsichere weltpolitische Grosswetterlage. Was passiert weiter im Nahen Osten und in der Ukraine? Das alles spricht für einen weiteren Zinsschritt.
Eine junge Familie, die nächstes Jahr ein Haus bauen oder kaufen will, sollte also eine Zinserhöhung schon mal einkalkulieren.
Ja, ich denke schon.
Und wie viel Prozent Eigenkapital würden Sie empfehlen?
Usus sind 20 Prozent, die man bringen muss. Wer mehr aufbringen kann: umso besser.
Mit welchen Argumenten überzeugen Sie die Familie, ihr Wohneigentum mit der Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet zu finanzieren?
Wir sind fair, wir sind ehrlich. Wir machen, was wir sagen. Wer zu uns kommt, bekommt eine klare Antwort. Wenn es geht, dann gehts. Wir suchen Lösungen; denn es gibt fast immer eine Lösung. Und wenn es nicht geht, sagen wir es auch. Wir halten niemanden hin. Wir entscheiden vor Ort, denn wir kennen unsere Kundschaft.
Zur Person
gu. Matthias Renevey ist 1967 in Zürich geboren, im Kanton Aargau aufgewachsen, von Haus aus aber Freiburger. Er ist Vater von drei erwachsenen Kindern und wohnt in Zeihen im Fricktal. Er durchlief eine klassische Bankenkarriere mit verschiedenen Stationen, bevor er 2012 zur Raiffeisenbank Liestal stiess. In seiner Rolle als Bankleiter vollzog er 2015 die Fusion zur Raiffeisenbank Liestal-Oberbaselbiet. Matthias Renevey war neun Jahre lang Gemeinderat in seinem Wohnort Zeihen.