Der Zeichner des Baselbiets mit dem sicheren Strich
23.10.2025 Porträt, Reigoldswil, Bezirk LiestalDas Vermächtnis von Max Schneider (1916–2010)
Zwischen Bauplänen und Bleistift, Pflichtgefühl und Passion – Max Schneider aus Reigoldswil hat mit seinem zeichnerischen Werk das Gesicht des Baselbiets wie kaum ein Zweiter festgehalten.
Hanspeter ...
Das Vermächtnis von Max Schneider (1916–2010)
Zwischen Bauplänen und Bleistift, Pflichtgefühl und Passion – Max Schneider aus Reigoldswil hat mit seinem zeichnerischen Werk das Gesicht des Baselbiets wie kaum ein Zweiter festgehalten.
Hanspeter Gautschin
Wenn einer über Jahrzehnte mit unermüdlichem Strich die Landschaft seiner Heimat festhält, dann ist das mehr als künstlerisches Tun. Es ist ein Vermächtnis. Max Schneider, 1916 in Reigoldswil geboren und 2010 in Liestal verstorben, war ein solcher Mensch: Architekt von Beruf, Zeichner aus Berufung, Künstler mit Pflichtgefühl. Sein Werk ist eine Hommage an das Baselbiet – und an die Kunst der Reduktion.
«Zeichnen heisst weglassen», sagte er. In seinen späten Jahren zitierte er gerne jene japanische Legende, in der ein alter Künstler den heiligen Berg Fuji-san mit einem einzigen Strich einfing. Für Max Schneider war dieser eine Strich der Ryfenstein – jener markante Felssporn bei Reigoldswil, der ihn von Jugend an begleitete. Immer wieder kehrte er in seinen Zeichnungen zu ihm zurück, wie ein Komponist zu seinem Leitthema.
Interpret der Landschaft
Er selbst sah sich in der Nachfolge von Emanuel Büchel (1705–1775), dessen Werk er mit seinen Zeichnungen im 20. Jahrhundert fortzusetzen bestrebt war. Wie Büchel war auch Schneider nicht bloss Chronist, sondern ein künstlerischer Interpret der Landschaft – mit sicherem Gespür für Linien, Lichtstimmungen und das Wesen einer Gegend.
Doch Schneider war kein Weltabgewandter. Als Präsident des Baselbieter Heimatschutzes, als Mitstreiter bei der Inventarisierung der Kunstdenkmäler, als Retter vergessener Künstler wie Jakob Probst oder August Suter wirkte er mit ebenso viel Engagement für das kulturelle Erbe der Region wie für seine eigene Kunst. Er wollte etwas hinterlassen – etwas mit Bestand. Keine lauten Monumente, sondern feine, bleibende Spuren.
Sein zeichnerisches Werk ist beachtlich: Nahezu 10 000 Zeichnungen umfasst das wissenschaftlich katalogisierte Max-Schneider-Archiv in Liestal. Die meisten davon widmen sich der Baselbieter Landschaft. Dachlandschaften, Panoramen, Fluren, Felsen, Wasserfälle – von allem das Wesentliche, nie das Dekorative. Was auffällt: die Abwesenheit von Menschen. Die Dörfer wirken menschenleer, ihre Dächer still. Doch genau darin liegt das Besondere. Er wollte nicht das Leben illustrieren, sondern seine Form. Seine Linienführung war sicher, sein Blick geschult, sein Anspruch hoch.
Der Traum von Paris …
In jungen Jahren träumte Max Schneider vom Künstlerleben in Paris, von Staffeleien auf Strassen und Rotwein in Dachmansarden. Doch er wurde Hochbauzeichner – wie es die Eltern wünschten. Später studierte er Architektur, gründete ein Büro in Liestal, baute Schulhäuser und renovierte Kirchen. Und doch – sein Herz schlug für die Kunst. Auf jeder Autofahrt konnte er berichten, wo er schon gezeichnet hatte. Seine Häuser betrachtete er kaum. Seine Zeichnungen aber – sie waren sein eigentliches Lebenswerk.
In den 1980er-Jahren entstanden die berühmten Dachlandschaften: gezeichnete Bestandesaufnahmen von Baselbieter Dörfern, in denen er den Charakter des Ortsbilds einfing. Es folgten Panorama-Zeichnungen im extremen Querformat – bis zu drei Meter lang –, mit sicherem Strich, feiner Lavierung, minimalem Farbeinsatz. Sie verbinden Dokumentation mit Empfindung, Übersicht mit künstlerischer Freiheit. Später kamen dramatischere Blätter hinzu, mit expressiver Farbigkeit – Augenblicke der Leidenschaft, wie er sie nannte. Auch der Wasserfall als Motiv gewann an Bedeutung. Es war, als öffne sich im Alter nochmals ein inneres Tor.
Später Trotz
Max Schneiders künstlerisches Prinzip blieb konsequent: Linie vor Fläche, Beobachtung vor Interpretation, Konzentration vor Effekthascherei. Radiert wurde nicht. Jeder Strich galt. Seine Kunst hatte Haltung.
Sein Sohn Christoph schrieb über ihn: «Die Architektur war sein Beruf, das Zeichnen seine Berufung und die Kunst eine Verpflichtung.» Und weiter: «Er hat im Alter alles nachgeholt – lebte noch mindestens 20 Jahre wie ein Bohemien.» Dann sass er auf Aussichtspunkten, zeichnete, trank billigen Rotwein und wischte den Pinsel an der Krawatte ab – aus Trotz gegen frühere Konventionen.
Im Jahr 2010, im Alter von 94 Jahren, starb Max Schneider. Zurück blieb ein Werk von grossem Wert. Er zeichnete nicht nur Landschaften, sondern auch die innere Geografie eines Menschen, der seinen eigenen Weg ging – still, ausdauernd, mit sicherer Hand.
Künstler, Dichter, Macher und Visionäre
vs. In unserer Serie stellt Hanspeter Gautschin Menschen aus dem Oberbaselbiet vor, die einst prägend wirkten, heute aber fast vergessen sind. Es sind Künstlerinnen, Dichter, engagierte Macherinnen, stille Visionäre – ebenso wie Unternehmer, Tüftler und Gestalter der Industriewelt, die mit Innovationsgeist und Tatkraft die Entwicklung unserer Region vorantrieben. Persönlichkeiten, die das kulturelle, soziale, geistige oder wirtschaftliche Leben des Oberbaselbiets nachhaltig geprägt haben. Mit erzählerischem Gespür und einem feinen Blick für das Wesentliche lässt Gautschin diese Lebensgeschichten wieder aufleuchten – als Erinnerung, Inspiration und als Beitrag zur regionalen Identität.
Hanspeter Gautschin (1956) lebt in Oberdorf und blickt auf eine facettenreiche Laufbahn im Kulturbereich zurück. Als ehemaliger Impresario, Kulturförderer und Museumsleiter erzählt er mit Vorliebe Geschichten über Menschen, Kultur und das Leben im Alltag.

