Der Weihnachtsesel
22.12.2023 BaselbietGedanken zu Weihnachten von Pfarrer Roland Durst
Stehen bei Ihnen unter dem Weihnachtsbaum auch die altbewährten Figuren wie Maria, Josef, das Christuskind in der Krippe, ein paar Hirten mit Schafen und dann noch ein Ochse und ein Esel? Vielleicht gar noch die heiligen drei ...
Gedanken zu Weihnachten von Pfarrer Roland Durst
Stehen bei Ihnen unter dem Weihnachtsbaum auch die altbewährten Figuren wie Maria, Josef, das Christuskind in der Krippe, ein paar Hirten mit Schafen und dann noch ein Ochse und ein Esel? Vielleicht gar noch die heiligen drei Könige mit ihren Kamelen samt Geschenken für das Neugeborene?
In den biblischen Weihnachtsgeschichten (die eine im Matthäus-, die andere im Lukasevangelium, siehe Seite 2) ist weder der Ochse noch der Esel beschrieben. Beide wurden vermutlich erst im 3. Jahrhundert nach Christus in die Tradition der Weihnachtserzählungen und zur Ausschmückung des bescheidenen Stalls hinzugenommen. Dass im Laufe der Geschichte dem Christentum immer mal wieder «fremde» – also heidnische – Elemente hinzugefügt wurden, kann als eine Stärke verstanden werden: Die Traditionen der Menschen sollten fortgeführt werden können. So fand etwa der Tannenbaum einen ebenso prominenten Platz rund um Weihnachten wie der Adventskranz oder der Adventskalender.
Es war eine ungemein weise Entscheidung, den Esel mit in den Stall zu nehmen und ihn an die Seite dieses frisch geborenen Kindes zu stellen. Vielleicht verdankt der Esel diese Aufmerksamkeit dem Umstand, weil unter anderem im Lukasevangelium von einem Eselfohlen berichtet wird, auf dem Jesus in Jerusalem eingezogen sein soll.
Belastbar und zäh
Wie dem auch sei, der Esel im Stall ist absolut wichtig und ein grosser Gewinn! Weshalb? Weil das, was wir Menschen über Esel denken und auch sagen, ziemlich verkehrt und falsch ist. Da wäre etwa das Vorurteil, Esel seien blöd oder gar dumm. Im Gegensatz zu ihren Familienangehörigen, den Pferden, achten Esel sehr genau darauf, wohin sie treten, und sie sind darüber hinaus auch noch schwindelfrei – nicht so die Pferde. Auch sind Esel äusserst genügsam, was die Nahrung angeht: Auch auf sehr kargem Boden finden sie noch etwas Fressbares, und zur Not könnten sie ihren Hunger auch mit einem Stück Holz stillen. Gleiches gilt für das Trinken: Esel können sehr lange ohne Wasser auskommen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der Esel über Jahrhunderte hinweg als ideales Transporttier genutzt wurde. Seine Zähigkeit und Belastbarkeit waren legendär.
Doch noch eine andere Fähigkeit unterscheidet den Esel vom Pferd ganz grundlegend: Drohen Gefahr, Stress oder Angst, dann flieht das Pferd – der Esel bleibt stehen. Und genau dieses Verharren wird dem Esel als Sturheit angelastet. Dabei ist es nach meinem Verständnis sehr klug, bei drohender Gefahr zunächst einmal zu warten, nachzudenken und dann einen Entscheid zu treffen.
Und genau hierin sehe ich die grosse Weisheit, den Esel in das weihnächtliche Geschehen rund um die Geburt Jesu einzubeziehen. Der Esel rennt nicht davon, wenn etwas Aussergewöhnliches geschieht – er steht da und sieht sich alles an und bleibt. Auch beharrlich, wenn ihm oder ihr (bei einer Eselin) danach ist.
Wie soll diese Eigenschaft der Eselin nun mit der Weihnachtsgeschichte in Verbindung gebracht werden? Ich meine so:
In diesem Futtertrog lag dieses besondere «Buschi». Es war ein genauso besonderes «Buschi» wie alle Kinder, die frisch geboren in einem Bettlein liegen, in ein paar Tücher gewickelt sind oder die unter prekären Umständen zur Welt gebracht und vor den schrecklichen Folgen eines Krieges geschützt werden wollen. Das, was wir mit der Geburt Jesu zu Weihnachten feiern, ist der Anfang eines neuen Lebens, einer ganzen neuen Welt. Und das geschieht bei jeder Geburt eines Kindes, egal wo und egal wann!
Was uns Feiernde aber sehr nachdenklich stimmen sollte, ist die Tatsache, dass dieses «Buschi» ganz und gar abhängig ist von seiner unmittelbaren Umgebung: Es braucht Nahrung, Geborgenheit, Liebe, Zuwendung und einen absoluten Schutz vor jeglicher Form von Bedrohung!
Was mit dem Jesuskind geboren wird, ist die Mitmenschlichkeit von uns Menschen. Und diese Mitmenschlichkeit wird mit jedem Kind neu geboren. Nur, wir schon mehr oder weniger lange Lebende müssten hinschauen und genau das aushalten, was uns da begegnet: ein bedürftiges, angewiesenes und äusserst zerbrechliches Geschöpf. In solchen Momenten verhalten sich viele von uns wie Pferde: «Einfach nur weg hier, bevor sich meine Gefühle zu regen beginnen.»
Nicht so der Esel oder die Eselin: Sie bleiben, verharren an Ort und Stelle und schauen. Sie halten die Gefühle aus, die sich in ihnen ausbreiten: Freude, Erbarmen, Mitgefühl oder Fürsorglichkeit. Der Esel und die Eselin bleiben stehen und halten aus angesichts der Ohnmacht, in diesem Moment nichts anderes für dieses Neugeborene tun zu können.
Hinschauen bei Gewalt
Wir sollten vielmehr Esel und Eselinnen sein und hinschauen, anstatt davonzurennen. Hinschauen, wenn in Familien Gewalt gegen Frauen und Kinder angewendet wird. Hinschauen, wenn unschuldige Menschen als Schutzschilde missbraucht werden. Hinschauen, wenn mächtige Männer ihre Macht dazu missbrauchen, Menschen zu instrumentalisieren und dafür Hunderttausende in den sicheren Tod schicken.
Der Esel oder die Eselin in uns ist gefordert, die unablässig und in unglaublicher Zahl und Vehemenz geschehenden Ungerechtigkeiten zu sehen und auszuhalten. Und in diesem Aushalten ist es ziemlich sicher, dass uns Angst ergreift. Angst davor, dass die unzähligen kriegerischen Konflikte auch unsere Gegend erreichen könn- ten. Angst davor, das bis anhin so unerschütterlich Gewähnte ins Wanken geraten zu sehen. Angst davor, sie könnte auch in mir jene Angst hervorbringen, die mich zu einem einfachen Schwarz-Weiss-Denken brächte: hier das Gute, dort das Böse.
Weihnachten ist also die Gelegenheit, anstatt zu fliehen, zu bleiben. Zu bleiben und auszuhalten und dann auch etwas zu tun. Vielleicht mit dem Nachbarn zu Beginn des neuen Jahres anzustossen und ein weiteres Mal das Gespräch über den Baum, das Laub oder die zu laut spielenden Kinder über Mittag zu suchen. Weihnachten ist auch die Gelegenheit, darüber nachzudenken und mit Vertrauten ins Gespräch zu kommen, wie denn auf friedlichem, politischem Weg Prozesse angestossen werden können, die das Zusammenleben in unseren Dörfern, Städten und in unserem überschaubaren Land viel mehr am Allgemeinwohl orientieren.
Und ebenso sehr ist Weihnachten die Gelegenheit, die eigenen Widerstände, Aggressionen und Unzufriedenheiten zu ergründen, hinzuschauen, sie auszuhalten und dann auch etwas dagegen zu unternehmen.
Bei alledem können uns die Eigenschaften einer Eselin, eines Esels sehr hilfreich sein: Beharrlich bleiben, nicht wegrennen und auch in kargen Zeiten sich darauf verlassen können, genügend Nahrung für die eigene Seele, das eigene Gemüt zu finden.
Auf andere Menschen angewiesen
Dass mit der Geburt des sogenannten Friedefürsten Jesu der Friede nicht einfach aufgerichtet oder installiert wurde, ist ein Fakt. Doch tun wir gut daran, diese Krippengabe als Zuspruch zu verstehen und mit auf den nächsten Lebensabschnitt zu nehmen: Jeder Mensch wird als Kind geboren und bleibt ein Leben lang auf andere Menschen angewiesen. Weder Gewalt noch Unrecht können je ausgemerzt werden, aber wir müssen hinschauen, die Angst aushalten und darüber reden. Tun wir das, entsteht breite Betroffenheit. Je mehr Menschen sich von den Auswirkungen der Gewalt berühren lassen und darüber reden, desto grösser ist die Chance, dass wir zusammen etwas gegen dieses alles zersetzende Gesellschaftsgeschwür bewirken können.
So wünsche ich uns allen berührende Weihnachtstage, einen sanften Übergang ins noch gänzlich unbeschrittene Schaltjahr und dass wir unseren Weihnachtsesel spüren, ihm vertrauen und daraus Taten folgen lassen.
Roland Durst ist Pfarrer in der Reformierten Kirchgemeinde Ziefen-Lupsingen-Arboldswil.