Der Mann hinter dem Baselbieterlied
09.12.2025 Porträt, BaselbietErinnerungen an Wilhelm Senn (1845–1895)
Es gibt Lieder, die eine Region stärker prägen als ganze Geschichtsbücher. «Vo Schönebuech bis Ammel» gehört dazu – ein Stück Baselbieter Identität, das zu einem musikalischen Wappen geworden ...
Erinnerungen an Wilhelm Senn (1845–1895)
Es gibt Lieder, die eine Region stärker prägen als ganze Geschichtsbücher. «Vo Schönebuech bis Ammel» gehört dazu – ein Stück Baselbieter Identität, das zu einem musikalischen Wappen geworden ist. Sein Verfasser ist heute kaum noch präsent: Wilhelm Senn – Lehrer, Mundartdichter und ein heiterer Geist.
Hanspeter Gautschin
Geboren wurde Wilhelm Senn am 12. Februar 1845 in Liestal. Dort besuchte er Primar- und Bezirksschule, bevor er als 17-Jähriger ins damalige Seminar Wettingen eintrat, um Lehrer zu werden. 1865 übernahm er seine erste Stelle in Ramlinsburg, wo er sich rasch einlebte und sogar eine kleine «Heimatkunde» der Gemeinde verfasste.
Bereits 1867 folgte der Wechsel an die Mittelschule Gelterkinden, drei Jahre später weiter an die Knabenprimarschule Basel. Den grössten Teil seines Berufslebens verbrachte er jedoch an der neu gegründeten Mädchensekundarschule der Stadt, wo er beinahe zwei Jahrzehnte unterrichtete.
Unverkennbares Heimatgefühl
Senn war ein Mensch, dem die Sprache leicht von der Hand ging. 1884 erschien sein erstes Büchlein «Heimat und Volk», eine Sammlung von Gedichten und Erzählungen in Mundart und Hochdeutsch. Die Texte sind geprägt von einem fröhlichen, häufig augenzwinkernden Ton und einem unverkennbaren Heimatgefühl. Besonders die Mundartgedichte zeigen ein lebendiges, liebenswürdiges Bild des Baselbiets und seiner Menschen – mal urchig, mal zart, immer nah an der Lebenswirklichkeit jener Zeit.
Es war die Zeit, in der die Baselbieter in der Stadt Basel ihr «Baselbieter Chränzli» gründeten – eine Vereinigung heimatverbundener Ausgewanderter. Senn war ein aktives Mitglied, und gerade dort erklang erstmals jenes Lied, das später in der ganzen Basler Landschaft gesungen wurde. Sein Baselbieterlied war ursprünglich gar nicht als «Nationalhymne» des Kantons gedacht, sondern als Beitrag zu einem geselligen Vereinsabend. Doch seine eingängige Melodie und seine liebevollen Zeilen über die Landschaft fanden rasch ihren Weg hinaus ins Land – lange bevor der Name des Dichters selbst grössere Bekanntheit erlangte.
1889 veröffentlichte Senn sein zweites Büchlein: «Onkel Fritzens Testament». Ein kleines Werk, aber ein besonderes. Darin erzählt er von einem weisen Posthalter, der einer Gruppe junger Burschen die grossen Fragen des Lebens näherbringt – von Astronomie über Gerechtigkeit bis zur Unsterblichkeit. Der Text ist stark geprägt vom Geist Lessings, den Senn ausdrücklich als Inspirationsquelle nennt. Die philosophischen Gedanken wirken heute erstaunlich modern: Der Mensch, so Senn, wachse durch Einsicht, Verantwortung und durch die Bereitschaft, aus jedem Lebensabschnitt zu lernen. Er zeichnet damit ein Erziehungsbild, das sein eigenes Wesen spiegelt: freundlich, nachdenklich, offen für's Geistige.
Doch sein Leben wurde jäh verkürzt. 1893 erkrankte Senn schwer an Diabetes – einer Krankheit, die damals kaum behandelbar war. Trotzdem unterrichtete er weiter und ging, nur sechs Tage vor seinem Tod, noch ein letztes Mal in seine Klasse. Am 22. August 1895 schloss er für immer die Augen.
Sein Lied lebt
Die damaligen Zeitungen widmeten ihm nur ein paar schlichte Zeilen – sein berühmtes Lied wurde nicht einmal erwähnt. Vielleicht, weil seine mundartlichen Werke damals noch nicht die Bedeutung hatten, die sie später erhielten. Vielleicht auch, weil Senn nie jemand war, der sich in den Vordergrund drängte. Seine Texte zeugen von einem heiteren Gemüt, von feinem Humor und einer Liebe zur Heimat, die ohne Pathos auskommt.
Heute ist Wilhelm Senn fast vergessen. Sein Lied hingegen lebt – an Festen, in Schulen, bei Vereinsanlässen und immer dann, wenn Baselbieterinnen und Baselbieter ein Stück ihrer Identität besingen.
Vielleicht tut es gut, sich daran zu erinnern, wer es geschrieben hat.
Künstler, Dichter, Macher und Visionäre
vs. In unserer Serie stellt Hanspeter Gautschin Menschen aus dem Oberbaselbiet vor, die einst prägend wirkten, heute aber fast vergessen sind. Es sind Künstlerinnen, Dichter, Macherinnen, stille Visionäre – ebenso wie Unternehmer, Tüftler und Gestalter der Industriewelt, die mit Innovationsgeist und Tatkraft die Entwicklung unserer Region vorantrieben. Persönlichkeiten, die das kulturelle, soziale, geistige, sportliche oder wirtschaftliche Leben des Oberbaselbiets nachhaltig geprägt haben. Mit erzählerischem Gespür und einem Blick für das Wesentliche lässt Gautschin diese Lebensgeschichten wieder aufleuchten – als Erinnerung, Inspiration und Beitrag zur regionalen Identität.
Hanspeter Gautschin (1956) lebt in Oberdorf und blickt auf eine facettenreiche Laufbahn im Kulturbereich zurück. Als ehemaliger Impresario, Kulturförderer und Museumsleiter erzählt er mit Vorliebe Geschichten über Menschen, Kultur und das Leben im Alltag.

