Der Letzte seiner Art
07.12.2023 HemmikenHans-Ruedi Schaub war lange Zeit als Störmetzger unterwegs – Augenschein an einem seiner letzten Schlachttage auf seinem Hof
Auf dem «Mooshof» oberhalb von Hemmiken werden regelmässig Schweine geschlachtet und zerlegt. Solche «Metzgete» stehen jeweils ...
Hans-Ruedi Schaub war lange Zeit als Störmetzger unterwegs – Augenschein an einem seiner letzten Schlachttage auf seinem Hof
Auf dem «Mooshof» oberhalb von Hemmiken werden regelmässig Schweine geschlachtet und zerlegt. Solche «Metzgete» stehen jeweils unter der Leitung des Hausherrn Hans-Ruedi Schaub. Bis vor wenigen Jahren war dieser noch im ganzen Oberbaselbiet als Störmetzger unterwegs – als letzter seiner Art im Baselbiet.
Robert Bösiger (Text) und Christian Roth (Bilder)
Wir schreiben den 29. November 2022; es ist kurz vor 9 Uhr morgens. Wir stehen vor dem «Mooshof» in Hemmiken und beobachten, wie der Oltinger Landwirt Willi Weitnauer ein Schwein aus seinem Anhänger holt und es mehr oder weniger sanft, nur mit einem Strick um ein Hinterbein angebunden, die paar Meter ins Schlachtlokal führt.
Das Tier – den Namen kennen wir nicht – lässt es mit sich geschehen. Erstaunlich gelassen, fast schon stoisch steht es da mitten im kleinen Raum. Der Strick ist mittlerweile an einem einbetonierten Eisenring befestigt, damit das Tier an Ort und Stelle stehen bleibt.
Das Schwein bleibt ruhig, blickt sich um. Ob es etwas ahnt?
Kochendes Wasser
Im Hintergrund steht ein grosses «Chessi» mit kochendem Wasser. Hans-Ruedi Schaub, der Hausherr hier, hat es einst einer alten Metzgerei abgekauft. Schaub, gelernter Landwirt und Metzger, ist heute seit 7 Uhr da, hat kräftig eingefeuert, damit das heisse Wasser zur Schlachtung bereitsteht. Ihm ist es wichtig, dass es eine gute «Metzgete» wird – eine also, bei der alles reibungslos abläuft, jeder Arbeitsvorgang stimmt und jeder Handgriff sitzt.
Es ist Roland Schlienger (25), der Grosssohn von Hans-Ruedi, der den tödlichen Bolzenschuss anbringen wird. Nicht, dass sein «Grossätti» dies nicht auch könnte, denn Schaub hat in seiner über 50-jährigen Karriere als Störmetzger unzählige Tiere getötet, geschlachtet und zerlegt. Aber die geltenden Vorschriften (siehe Kasten) verlangen, dass «nur noch Studierte töten dürfen», wie der Grossvater mit seinem trockenen Humor sagt. Deshalb kommt diese Rolle nun dem jungen Fleischfachmann Roland zu, der den vorgeschriebenen ethischen Tierschutz-Kurs absolviert hat. In diesem Kurs, sagt dieser, lerne man alles rund ums korrekte Töten: «Du lernst, wie man sich ums Tier herum verhalten soll. Aber auch, wie und wo man den Bolzen richtig ansetzt.»
Tödlicher Bolzenschuss
Roland steht nun über dem Schwein, tätschelt es beruhigend, hält ihm den Bolzenschuss-Stab ans Haupt. Das Tier bleibt ruhig, Roland ist hoch konzentriert. Geduldig wartet er den passenden Moment ab, bis er den todbringenden Bolzen exakt am richtigen Ort – zwischen den Augen, aber einen Fingerbreit höher – ansetzen kann. Dann löst er den Bolzen, der sich schlagartig etwa 10 Zentimeter in den Kopf bohrt und sofort wieder zurückfährt.
Betäubt geht das Tier zu Boden. Die Nerven lassen es noch einige Momente am ganzen Körper zittern. Roland ist zufrieden mit seiner Arbeit; das Tier hat er fachgerecht töten können, ohne dass es leiden musste. Das ist das Wichtigste.
Mit einem gezielten Messerstich in die Halsschlagader ermöglicht Hans-Ruedi das Ausbluten des Tiers. Das Blut wird in einem Kessel gesammelt. Der Metzger hilft mit regelmässigem Drücken auf den toten Körper dabei, dass das Schwein möglichst vollständig ausblutet. «Immer kräftig rühren!», sagt Hans-Ruedi zu Willi, «das Blut soll schliesslich nicht gerinnen.» Später am Nachmittag werden die gesammelten rund vier Liter Blut zu Blutwürsten verarbeitet.
Mit einem Flaschenzug wird der leblose Tierkörper in die Höhe gehievt und in die Brühwanne gelegt. Mit heissem Wasser übergossen, lassen sich die Borsten besser wegschaben. Das kleine Schlachtlokal, das bis vor knapp einem Jahrhundert noch als Waschhaus diente, ist erfüllt von dichtem Dampf. Erst die geöffnete Tür verschafft uns wieder etwas Durchblick. Zu dritt legen Hans-Ruedi, Roland und Willi Hand an, schaben, säubern und schrubben.
Gewetzte Messer, gute Messer
Nun wird der Körper in der Mitte des Schlachtlokals an beiden Hinterläufen aufgezogen. Zuvor hat ihm der Metzgermeister noch den Kopf weggeschnitten. So aufgehängt, können die Metzger im Stehen besser nachputzen. Die letzten Reste an Borsten flammt Hans-Ruedi mit einem Flammengerät weg.
Dann wetzt er die Messer. Eine Handlung, die er den ganzen Tag noch häufig wiederholen wird. Mit einem routinierten Schnitt öffnet der Metzger die Bauchdecke. Die Eingeweide quellen heraus und der Raum wird erfüllt von einem gewöhnungsbedürftigen Geruch. Lunge, Herz und Nieren wandern ins dampfende «Chessi». Das meiste, was hier zum Vorschein kommt, findet Verwertung. Alles ausser der Galle – denn die Zeiten, als man das angelaufene Silberbesteck noch damit reinigen konnte, sind längst passé. Früher, sagt der Metzger, habe man sogar die Borsten gesammelt, um daraus Bürsten und Pinsel herzustellen.
Die elektrische Bandsäge zerteilt das Tier von oben her in zwei gleiche Hälften. Den talgigen Bauchnabel hängt Hans-Ruedi vor dem Schlachthäuschen auf. Früher habe man sich damit die Nägel gefettet, heute erfreuen sich die Vögel daran.
Dann holt er eine Hängewaage: Die eine Schweinshälfte wiegt ziemlich genau 47 Kilo. Macht zusammen mit der anderen Hälfte und dem Kopf etwa 100 Kilo. «Eine derart leichte Sau habe ich schon lange nicht mehr gehabt», sagt der Besitzer Willi Weitnauer. Er wisse nicht, weshalb sie so leicht sei, er habe sie der Schwiegermutter abgekauft. Vielleicht, sagt einer scherzhaft, sei sie ja vegan ernährt worden … Metzgerhumor.
«Ich bin ein Auslaufmodell»
Draussen um den «Mooshof» liegt etwas Schnee, drinnen im Schlachthüsli ist es ziemlich «düppig». Bei einer kurzen Getränkepause berichtet Hans-Ruedi Schaub, dass er das Metzgerhandwerk beim Metzger Zimmermann in Gelterkinden erlernt habe, und zwar nach Absolvierung der Landwirtschaftlichen Schule Ebenrain in Sissach. «Als Störmetzger habe ich meine Messer, das nötige Werkzeug und sogar das Gewürz für die Würste immer bei mir gehabt. So bin ich von Hof zu Hof gezogen.» Die Bauern mussten nur die Sau stellen und heisses Wasser bereithalten.
Diese Zeiten sind vorüber. Auch, weil Gesetz und Hygienevorschriften keine Störmetzgerei mehr erlauben (siehe Kasten). «Ich bin der letzte Störmetzger im Baselbiet – ein Auslaufmodell …», sagt der bald 80-jährige Hans-Ruedi Schaub.
Während Roland sich an der einen Schweinshälfte zu schaffen macht und gekonnt die einzelnen Fleischstücke herauslöst, sägt sein «Grossätti» den Schweinskopf auseinander und putzt ihn. «Das ist der Computer», sagt er und zeigt aufs Gehirn. Die Schweinsohren schneidet er weg mit der Bemerkung: «Die nimmt bei mir der Fuchs.» Dann berichtet er, dass immer dann, wenn am Morgen Rauch aus dem Schlachtlokal steige, die Krähen und Milane schon da seien – in der Hoffnung, dass es etwas zu picken gebe. Nun schaut der Hofhund Viola rasch vorbei, zieht sich aber nach einem strengen Blick des Herrchens sofort wieder zurück. Sein Kommentar: «Ein Hund hat im Schlachthaus nichts verloren!»
Vorbereitungen aufs Wursten
Vor dem Mittagessen bleibt noch eine gute Stunde, und alle drei an der heutigen Metzgete beteiligten Männer haben alle Hände voll zu tun:
Roland schneidet eine Speckseite heraus, dann sorgfältig das Filet. Beim Ausbeinen der Schulter sagt er, dass er heute von seinem Arbeitgeber, der Metzgerei Urich in Möhlin, wo er sonst ganztags tätig ist, frei bekommen habe. Nebenbei legt Roland als «Feierabendbauer» auf dem elterlichen «Breitletenhof» in Hellikon im Fricktal Hand an. Geschnitten habe er sich im Laufe seines Metzgerdaseins auch schon, «aber zum Glück nicht allzu dramatisch».
Willi ist damit beschäftigt, die mehreren Kilo an Zwiebeln klein zu schneiden, damit sie in die Wurstmasse gegeben werden können. Auf die Frage, wer denn diese Zwiebeln bereits geschält habe, sagt er augenzwinkernd: «Meine bessere Hälfte gestern Abend – eine gewisse Arbeitsteilung muss schliesslich sein …» Schon macht sich Willi daran, die klein geschnittenen Zwiebeln mit den bereits vorhandenen Fettstückchen, die Roland zur Seite gelegt hat, durch den Fleischwolf zu drehen. Diese Mischung kommt dann in die Würste. Er zeigt uns seine Hand – ein Finger fehlt. «Daran ist aber nicht der Fleischwolf schuld», sondern ein früheres Malheur.
Der Hausherr Hans-Ruedi hält das Feuer unter dem «Chessi» am Brennen, wirft ab und zu auch ausgebeinte Knochen und Knorpel hinein – «ins Krematorium», wie er sagt. Und selbstverständlich behält er den Überblick, was in seinem kleinen Reich geschieht. Regelmässig wetzt er seine Messer, schaut, dass die benutzten Gerätschaften sauber sind. Mit dem Schlauch spritzt er den Boden ab. Danach bereitet er den Nachmittag vor, indem er das Fettnetzchen herauslöst, um später die Adrio damit einzupacken. Ebenso Fingerspitzengefühl braucht es, um die Därme mit Wasser zu säubern, um später die Leberwurst darin zu «verpacken». Er zeigt die Darmstücke «Dudel» und «Hund», spült sie mit viel frischem Wasser.
Roland löst die Rippen von der Speckseite. Das ist buchstäblich eine «Knochenarbeit» und eine, die viel Geschick erfordert. In der Metzgerei gebe es dafür den Rippenzieher. Hier ist es halt noch Handarbeit.
Willi, der die von Roland hingelegten Fleischabschnitte klein schneiden und entschwarten darf, berichtet von jener Sau, die einst vor dem Schlachten ausgerissen und geflohen sei. Sollte es so etwas wie ein Metzgerlatein geben, so werden wir nun Zeuge davon. Das Wasser rauscht, es herrscht eine gelöste Stimmung im Schlachtlokal. Langsam macht sich ein Hungergefühl breit.
Abfall fällt beim Metzgen erstaunlich wenig an. Der Schweinskopf wird von Hans-Ruedi ausgekocht, von den Knochen gelöst. Auch dieses Fleisch wird am Nachmittag in die Leberwürste kommen.
Zur Stärkung ein Metzger-Ragout
Kurz vor Mittag macht sich für einen kurzen Moment eine fast sakrale Stille im Schlachthäuschen breit und ein paar Sonnenstrahlen fallen wie eine Erleuchtung durchs Fenster. Der Stapel mit schön zurechtgemachten Fleischstücken wird immer höher. Roland hat mittlerweile das ganze Tier zerteilt. Willi wird dieses Fleisch und die Würste abends nach Hause bringen. Mit einem Teil davon wird es dann ein Hoffest geben als Dank für all jene Verwandten und Bekannten, die das Jahr hindurch da sind, ihm bei den zahlreichen Arbeiten auf dem Hof mit den rund 130 Stück Vieh mitzuhelfen.
Ursula Schaub (78) ruft zum Mittagessen. Dies ist ihrem Mann Befehl. Er sagt: «Nur ein gut verpflegter Störmetzger stellt gute Würste her.» Wie immer an einem Schlachttag, hat sie auf dem Holzherd das traditionelle Metzger-Ragout mit Fleisch vom frisch geschlachteten Schwein zubereitet. Und auch für die «Ziibeleschwäizi» ist sie verantwortlich. Sie müsse an einem Tag wie heute «voll mitziehen», sagt sie. Dafür dürfe sie morgens jeweils eine Viertelstunde länger im Bett bleiben, wenn ihr Mann zum Anfeuern des «Chessi» rausgehe.
Bald sitzt die ganze Belegschaft um den grossen Küchentisch, stärkt sich. Es wird gescherzt und Reminiszenzen werden zum Besten gegeben.
Hans-Ruedi, gibt es Metzger, die kein Fleisch essen?
«Also ich kenne keinen.»
Nun erzählt er, dass er als Störmetzger in Diensten von Metzger Zimmermann in acht Gemeinden für Notschlachtungen zuständig gewesen sei. «An einem Bettag musste ich einmal vier Kühe metzgen; alle sind sie an starken Blähungen gestorben.» Als selbstständiger Störmetzger sei er später im ganzen Oberbaselbiet bekannt gewesen. Heute gebe es keine Störmetzger mehr: «Weil es heute auf den Höfen kaum noch Schweine gibt. Und weil die Vorschriften geändert wurden und restriktiver geworden sind.»
Wie wichtig ist das Tierwohl bei einer Metzgete?
«Sehr wichtig, damit das Tier ohne Stress und Panik getötet werden kann. Bei der Stör hat es keinerlei Stress gegeben, weil das Tier ja nicht zum Schlachthof transportiert wurde.»
Wie fühlt sich einer, der fast ein halbes Jahrhundert lang viele Tausend Tiere getötet hat, gegenüber einem Tier, das er töten muss?
«Das Töten gehört halt dazu. Aber kein verantwortungsvoller Metzger quält ein Tier. Wir gehen so human und schonungsvoll wie nur möglich mit ihm um. Und ganz wichtig: Der Schuss muss auf Anhieb und tadellos sitzen!»
Hans-Ruedi, was ist Dein Lieblingsessen?
Hier kommt wieder sein Witz zum Vorschein und er sagt: «Ich esse doch keine Wurst – ich weiss ja, was drin ist …»
Selbstverständlich wissen alle am Tisch, dass es genau umgekehrt ist: Gerade weil er weiss, was in seinen Würsten ist, isst er sie.
Geheimgewürz und viel Erfahrung
Die Mittagspause dauert nur kurz. Schon legen sich die Metzgergesellen wieder ihre weissen Schürzen um. Wursten ist angesagt.
Willi, der bei Hans-Ruedi schon so manche Sau hat schlachten lassen, mischt im Stahltopf die Zutaten mit blossen Händen zu einer breiigen Masse. Zuvor hat er alle Abschnitte und die zerkleinerten Schwartenstücke durch den Fleischwolf gedreht. Hans-Ruedi zückt seine Gewürze: Koriander, Salz und Muskat, und dazu sein «Geheimgewürz». Er tut dies nach Gutdünken und mit grosser Erfahrung. Willi und er versuchen mit einem Finger. Noch etwas nachsalzen, dann ist Willi zufrieden.
Das Wursten selber ist dann echte Teamarbeit: Willi befüllt den Trichter der Wurstspritze mit der Wurstmasse und dreht langsam, damit die Masse unten aus einer Röhre kommt. Hans-Ruedi, der die eingeweichten Därme über das Röhrchen der Wurstspritze gestülpt hat, lässt Wurstmasse in den Darm quellen. Nach einer gewissen Länge («Handgelenk mal Pi») dreht er den Darm um und nimmt sich der nächsten Wurst an. Roland schneidet die Bratwürste, am Schluss sind es rund 70 Stück.
Und wieder wetzt Hans-Ruedi die Messer. Dann geht’s los mit den Leberwürsten – die Arbeitsteilung bleibt unverändert. Die Masse besteht aus Fleischstücken wie Kopf, Lunge, Herz, und vor allem Schwarte. Und selbstverständlich wird auch hier gewürzt. Die drei Wurster arbeiten hoch konzentriert – Worte fallen kaum. Hie und da reisst der Darm, muss ersetzt werden. «Ist halt ein Naturprodukt», kommentiert der Chef. Das Kistli mit den durch Roland akkurat gestapelten Würsten wird immer voller. Dass sie allesamt gleich dick, lang und schwer sind, zeugt von der jahrelangen Erfahrung des Metzgers.
Immer am Schluss des Wurstens entstehen die Blutwürste. Es erweist sich als nicht ganz einfach, die flüssige Masse (bestehend aus Blut, «Ziibeleschwäizi», Milch, Rahm, Eiern und Gewürzen) in den Darm zu füllen. Hans-Ruedi nimmt dazu einen Messbecher zu Hilfe. Selbstredend bleibt es auch bei den Blutwürsten das Geheimnis des Chefs, welche Gewürze in der Blutmasse zum Einsatz kommen. Damit die Würste fest werden, müssen sie noch rasch ins «Chessi» mit dem heissen Wasser. Aber Vorsicht: nicht zu lange und ja nicht zu heiss. Als Spezialität befüllt Hans-Ruedi Schaub wie früher üblich den Magen («Dudel») und den Blinddarm («Hund») mit der Blutmischung.
Bescheidener «Stundenlohn»
Der Schlachttag ist für Hans-Ruedi Schaub erst zu Ende, wenn das ganze Geschirr geputzt, die Messer noch einmal gewetzt und versorgt und das Schlachtlokal gereinigt ist. Verdient hat er mit seiner Arbeit 150 Franken, was einen sehr bescheidenen Stundenlohn ausmacht. Dennoch möchte er auch weiterhin den Bauern im Baselbiet bei der Schlachtung und Verwertung Unterstützung und seine Erfahrung bieten.
Epilog
Kurz nach unserem Besuch im November 2022 erleidet Hans-Ruedi Schaub einen Hirnschlag, muss ins Spital und anschliessend einen Monat in die Reha. Doch diesen Schicksalsschlag nimmt er gelassen und sagt: «Das Ende wäre so oder so gekommen. Auf Ende 2023 wollte ich mit 80 Jahren sowieso aufhören mit dem Schlachten. Nun kommt es halt etwas früher.»
Es mag ihn trösten, dass das ehemalige Waschhaus ein Schlachtlokal bleiben wird. Denn Grosssohn Roland wird das Werk seines «Grossätti» wohl weiterführen.
Vom Niedergang der Störmetzgerei
rob. Bis weit ins 19. Jahrhundert waren Hausschlachtungen im ländlichen Raum die dominierende Schlachtungsform. Das Schlachthandwerk wurde durch die sogenannten Störmetzger – auch Kundenmetzger – vorgenommen. Solche Störmetzger waren hierzulande weit verbreitet: Sie zogen meist von Hof zu Hof und schlachteten dort gegen ein Entgelt Tiere, vor allem Schweine.
Auf dem Land, wo sich die Bevölkerung weitgehend selbst mit Fleisch versorgte, vollbrachten die Störmetzger ihre Arbeit (im Gegensatz zu den Metzgern) meist ohne entsprechende Ausbildung, Konzessionen und vor allem ohne behördliche Aufsicht. Erst im 20. Jahrhundert wurde es üblich, dass ausgebildete Metzger auf die Stör gingen – so wie Hans-Ruedi Schaub, der nach seiner Ausbildung zum Landwirt noch eine Ausbildung zum Metzger absolvierte.
Einen starken Bedeutungsrückgang erfuhr die Hausmetzgete nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, auch, weil es selbst auf den Höfen immer weniger üblich war, eines oder mehrere Schweine zu halten und zu mästen in der Absicht, jährlich ein- oder zweimal eine Metzgete durchzuführen.
Parallel dazu wurden gerade in den vergangenen Jahrzehnten gewisse Rechtsvorschriften zur Fleischhygiene und zur amtlichen Fleischkontrolle im Sinne des Verbraucherschutzes erlassen. So trat 1987 das Fleischhygienegesetz in der Europäischen Union in Kraft, das einheitliche Hygienevorschriften für die Schlachtung sowie für die amtliche Untersuchungspflicht für Schlachtvieh regelte. Basierend auf dem Freihandelsabkommen und den bilateralen Verträgen mit der EU verpflichtete sich die Schweiz, die europäischen Vorgaben zur Fleischhygiene weitgehend zu übernehmen.
Die heutigen Vorgaben sind seit 2016 mit der Verordnung über das Schlachten und die Fleischkontrolle in Kraft. Die Hausschlachtung (Schlachtung zur privaten häuslichen Verwendung) ist deshalb nur noch in Ausnahmefällen und unter Einhaltung entsprechender Auflagen erlaubt. So sind heute Hausschlachtungen nur noch für den Eigenbedarf oder den engsten Familienkreis zulässig. Eine Weitergabe von Fleisch und/oder Fleischprodukten an Dritte ist verboten. Bei Schlachtungen von Tieren für den privaten, häuslichen Gebrauch muss zudem die Tierschutz- und Tierseuchengesetzgebung strikt eingehalten werden.
Erlaubt ist seit Mitte 2020 die Hof- und Weidetötung von Nutztieren zur Fleischgewinnung. Dazu ist eine kantonale Betriebsbewilligung erforderlich. Bei der Hoftötung wird lediglich die Betäubung und Entblutung der Schlachttiere im Herkunftsbetrieb durchgeführt. Im Anschluss wird der gesamte Schlachttierkörper zu einem zugelassenen Schlachtbetrieb transportiert, wo die restlichen Arbeitsschritte der Schlachtung durchgeführt werden.
«Tierisch»
rob. Der Beitrag «Der Letzte seiner Art» ist im kürzlich erschienenen Band 34 der Reihe «Baselbieter Heimatbuch» unter dem Titel «Tierisch» im Verlag des Kantons Baselland erschienen. «Tierisch» beleuchtet unterschiedlichste Aspekte der Fauna – und der Beziehung des Menschen zu ihr. Denn Tiere sind nicht nur äusserst unterschiedlich an sich, sondern sie stehen auch auf verschiedenste Weise in einer Verbindung mit uns: Wir lieben sie, wir essen sie. Wir schützen sie, wir rotten sie aus. Sie arbeiten für uns, wir vergöttern sie, wir ekeln uns vor ihnen. Tiere findet man ebenso im Wald, in der Siedlung und auf dem Bauernhof wie auf dem Teller, zwischen Buchdeckeln und auf Gemeindewappen. Von der Ameise bis zum Pferd, vom Molch bis zum Herdenschutzhund: Das Baselbiet ist tierischer, als viele denken.
«Tierisch», diverse Autorinnen und Autoren, Baselbieter Heimatbuch 34, 2023; 232 Seiten, gebunden, illustriert; Liestal, 2023; Kantonsverlag Basel-Landschaft; erhältlich im Buchhandel.