«Der Kleinkrieg schadet uns allen nur»
31.01.2025 Basel, Baselbiet, Region, GesellschaftClaudio Miozzari (47) gibt am kommenden Mittwoch das Amt als Präsident des Basler Grossen Rates an seinen Nachfolger Balz Herter (Mitte) weiter. Die «Volksstimme» hat den «höchsten Basler für ein Jahr», der in Bubendorf aufgewachsen ist, besucht und mit ihm ...
Claudio Miozzari (47) gibt am kommenden Mittwoch das Amt als Präsident des Basler Grossen Rates an seinen Nachfolger Balz Herter (Mitte) weiter. Die «Volksstimme» hat den «höchsten Basler für ein Jahr», der in Bubendorf aufgewachsen ist, besucht und mit ihm auch über die Beziehung von Stadt und Land gesprochen.
Robert Bösiger
«Ich bin voller Dankbarkeit.» In seiner Schlussrede an das Basler Parlament vom 22. Jänner dankte Claudio Miozzari dem Rat, der SP-Fraktion, seiner Familie, Freundinnen und Freunden. Er dankte auch dem Kanton, der Region und ganz vielen Menschen, die «mir ein unvergessliches Jahr geschenkt haben in der speziellen Rolle als Grossratspräsident». Sie alle hätten ihm einzigartige Einblicke erlaubt, seinen Horizont erweitert: «Sie haben mich beeindruckt.»
Claudio Miozzari, 47-jährig und tätig als Inhaber/Geschäftsführer der «Storie»-Kulturagentur, hatte soeben seine letzte Sitzung als Grossratspräsident beendet, als er in seiner Schlussrede nochmals eindrücklich bewies, was ihm wichtig ist. Und wofür er steht. «All die Begegnungen haben mein Herz gefüllt und geben mir unglaublich viel Zuversicht.» Damit meint er die zahlreichen Besuche von Institutionen und Organisationen, die er als «höchster Basler für ein Jahr» hat wahrnehmen können. «Dieses Engagement ist sehr wichtig für unser Zusammenleben. Es ist auch die allerbeste Grundlage für die Pflege unserer demokratischen Prozesse und Institutionen.»
Ja, er suche die Harmonie, gibt Miozzari im Gespräch mit der «Volksstimme» zu. Umso trauriger mache ihn das Erwachen, «wenn ich die schrecklichen Nachrichten aus der ganzen Welt lese: Was werden diese selbstherrlichen Männer, diese unberechenbaren Extremisten in den USA, Russland und vielen anderen Ländern mehr noch alles anstellen?».
Bubendorf und Basel
Geboren kurz vor Weihnachten 1977 in den USA (weil sein Vater damals dort bei einer Pharmafirma arbeitete), wächst er im beschaulichen Bubendorf auf. Das Studium (Geschichte mit Nebenfächern Deutsche Literaturwissenschaft und Jura) führt ihn nach Basel und für einen Austausch nach Rom. Weil er sich am Rheinknie wohl fühlt, bleibt er hier hängen. Dazu sagt er: «So gross ist der Unterschied ja nicht zwischen der Stadt und der Landschaft.» Auch seine Frau, wie er früher im Journalismus tätig (er unter anderem für die «Volksstimme»), ist im Baselbiet aufgewachsen.
Die Gemeinde Bubendorf ist dem Wahlbasler trotzdem ein Stück Heimat. Und so erstaunt es kaum, dass Claudio Miozzari das traditionelle «Grossratsreisli» dorthin organisiert hat.
In der Stadt schliesst er sich den Sozialdemokraten an – gleich zweimal, wie er erzählt. Das erste Mal, als Student, habe er keinen wirklichen Anschluss gefunden. Das zweite Mal, als er bereits Fuss gefasst hatte und gut vernetzt war in der Stadt, sei er vom bekannten Grossrat Tobit Schäfer ermuntert worden, der Partei beizutreten und als Grossrat zu kandidieren. So ist er vor ziemlich genau acht Jahren hier im schmucken Saal des Grossen Rates zu Basel als neues Mitglied vereidigt worden.
In seiner Zeit als SP-Grossrat beweist Claudio Miozzari, dass er die Dossiers kennt und dass er ein besonnener und höchst umgänglicher Volksvertreter ist. Bald ist er ein über alle Parteigrenzen hinaus geschätzter Politiker. So erstaunt es nicht, dass er im Januar 2024 mit glanzvollen 93 von 96 Stimmen zum neuen höchsten Basler für ein Jahr gewählt wird.
Engagement und Gemeinwohl
Nun ist «sein» Präsidialjahr vorüber und er überlässt den Sitz des Vorsitzenden seinem Nachfolger, Balz Herter von der Mitte. Claudio Miozzari zeigt sich sehr zufrieden mit seinem Amtsjahr. Er habe sich sehr unterstützt gefühlt. Bloss: Dieses Jahr sei «verdammt schnell» vorübergezogen. So habe er leider nicht jede Einladung wahrnehmen können.
In Ihrer Antrittsrede haben Sie das Gemeinwohl ins Zentrum gestellt. Ist es Ihnen gelungen, diesen Fokus nicht aus den Augen zu verlieren, obwohl es im Parlament oft grundlegende Uneinigkeiten gibt, welchen Weg man beschreiten oder auslassen sollte …? Claudio Miozzari: Da kommen auch alle anderen Begegnungen ins Spiel, die ich ausserhalb des Ratsbetriebs hatte. Ich habe sehr viel Engagement fürs Gemeinwohl gespürt. Das ist sehr bereichernd. Und handkehrum sieht man sich die Inauguration von Trump oder die Neuinterpretation des Hitlergrusses von Musk an und stellt fest: Diese beiden Welten passen irgendwie nicht zusammen.
Sie haben im Rahmen der Antrittsrede die Ratsmitglieder auch darum gebeten, sich an die demokratischen Spielregeln zu halten mit dem Ziel, die gute Diskussionskultur zu gewährleisten. Ist auch dies gelungen?
Ich denke ja. Es gab aber auch Situationen, in denen einzelne Ratsmitglieder relativ krasse Aussagen machten und damit einen Grossteil des Parlaments vor den Kopf stiessen. Meine Haltung dazu: Wir sind ein Parlament. Wenn nun jemand Öl ins Feuer giessen will, dann ist es seine Entscheidung. Und alle anderen haben die Möglichkeit, eine Antwort darauf zu geben.
Das hat funktioniert?
Ich meine ja. Das Parlament praktiziert diesbezüglich eine recht grosse Selbstregulierung. Es gibt allerdings ein Mitglied, das keine Grenzen kennt …
Wahljahr und Vorstossflut
Es ist klar, dass Claudio Miozzari damit den umstrittenen rechtsextremen Grossrat Eric Weber meint, der sich selber als landesweiten Rekordhalter rühmt, weil er pro Monat rund 20 parlamentarische Vorstösse einreiche.
Apropos Vorstösse: Miozzaris Präsidialjahr war gleichzeitig ein Super-Wahljahr – neben den Gesamterneuerungswahlen für den Grossen Rat und den Regierungsrat musste auch die Nachfolge des neuen Bundesrates Beat Jans geregelt und Conradin Cramer als Stadtpräsident bestätigt werden. In solchen Wahljahren sind die Parlamentsmitglieder in der Regel besonders aktiv mit dem Einreichen von Vorstössen, schliesslich möchte man ja die Wählerschaft auf sich aufmerksam machen. Er sagt dazu: «Es war eine grosse Nervosität spürbar. Und ab Sommer vergangenen Jahres waren wir völlig überfüllt und wir schafften es kaum noch, den Vorstoss-Berg abzutragen – trotz einiger Nachtsitzungen.»
Man sagt, das Amt als Grossratspräsident sei grundsätzlich ein unpolitisches Amt. Ist dem so?
Ein Stück weit schon. Aber ich habe auch politische Aussagen machen können, gerade in meiner Schlussrede.
Durften Sie auch Stichentscheide fällen?
Ja, gesamthaft vier. Drei Vorstösse habe ich mit meiner Ja-Stimme überwiesen. Hätte ich nein gesagt, hätte ich den Vorstoss persönlich abgewürgt – das wollte ich nicht.
Biken und FCB-Spiele
Diese Haltung zeigt einmal mehr die Wertschätzung, die Claudio Miozzari Menschen entgegenbringt, die sich für das Gemeinwohl einsetzen. Ohne Engagement der vielen Freiwilligen funktioniere eine Gemeinschaft nicht. Deshalb sei er als Grossratspräsident auch besonders gerne an kleinere Anlässe gegangen, «um etwas beitragen zu können und Wertschätzung zu zeigen».
Besonders in Erinnerung bleiben wird ihm die Nacht unterwegs mit der Polizei oder der frühmorgendliche Einsatz mit der Stadtreinigung.
Wie sah ein durchschnittlicher Tag im Leben des Grossratspräsidenten Claudio Miozzari aus?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich war viel unterwegs zwischen Büro, Rathaus und irgendwo an einem Anlass. Und zwischendurch auch wieder einmal zuhause bei der Familie. Hinzu kommen die zahlreichen Führungen von Schulklassen durchs Rathaus.
Es versteht sich fast von selbst, dass Claudio Miozzari meistens mit seinem Velo unterwegs war und ist. Schliesslich gehört das Biken neben dem Besuch von Spielen des FCB und dem Mitfiebern bei Skirennen vor dem Bildschirm auch zu seinen Hobbys.
Künftig werde er wieder etwas mehr für die Familie da sein können, freut er sich. «Nach diesem Amtsjahr werde ich versuchen, herunterzufahren.»
Claudio Miozzari, wie sieht man in der Stadt den Landkanton?
Die Einstellung gegenüber den Landschäftlern ist sehr unterschiedlich. In politischen Debatten ist der Hang schon da, über das Baselbiet zu schimpfen. Ich finde, man sollte mehr gemeinsame übergeordnete Ziele verfolgen. Der Kleinkrieg schadet uns allen nur. In unserer Partnerschaft fehlt uns etwas mehr Grosszügigkeit.
Gibt es Potenzial, vermehrt und enger zusammenzuarbeiten?
Alles in allem funktioniert die Partnerschaft zwischen den beiden Basel recht gut, sicher besser und tiefer als mit den anderen Kantonen. Probleme und damit Potenzial sehe ich noch in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Kultur.
Müsste man einen neuen Anlauf wagen, die beiden Halbkantone zu fusionieren?
Theoretisch würde es Sinn machen, in der Praxis eher nicht. Emotional sind wir halt noch immer nicht bereit dazu – auf beiden Seiten …
Da spricht ein mittlerweile erfahrener Politiker. Einer, der mit seinen erst 47 Jahren noch jung ist. Einer auch, der sich vorstellen könnte, dereinst im Bundesparlament zu politisieren oder für den Basler Regierungsrat zu kandidieren? Claudio Miozzari bleibt ruhig und gelassen. Und sagt – nicht ganz unerwartet, ganz Miozzari: «Ich bleibe vorderhand weiterhin im Grossen Rat. Alles weitere wird sich ergeben … Im Moment ist es mein Bauchgefühl, etwas herunterzufahren und bescheidener in die Zukunft zu blicken.»