«Der Eigenmietwert ist ungerecht» – «Er sorgt für Gerechtigkeit»
05.09.2025 Schweiz, BaselbietDie Landräte Markus Meier (SVP, Ormalingen) und Urs Kaufmann (SP, Frenkendorf) im Streitgespräch
Am 28. September stimmt die Schweiz über die Abschaffung des Eigenmietwerts ab. Markus Meier, Direktor des Hauseigentümerverbandes Schweiz, plädiert für ein Ja, ...
Die Landräte Markus Meier (SVP, Ormalingen) und Urs Kaufmann (SP, Frenkendorf) im Streitgespräch
Am 28. September stimmt die Schweiz über die Abschaffung des Eigenmietwerts ab. Markus Meier, Direktor des Hauseigentümerverbandes Schweiz, plädiert für ein Ja, während Urs Kaufmann, der bei der SP Baselland für die Vorlage verantwortlich ist, sie entschieden ablehnt.
Janis Erne
Herr Meier, der Hauseigentümerverband (HEV) investiert eine Rekordsumme in seine Abstimmungskampagne. Weshalb ist Ihnen die
Abschaffung des Eigenmietwerts so wichtig?
Markus Meier: Die Abschaffung des Eigenmietwerts ist für unsere Mitglieder und somit für den HEV seit jeher ein Kernanliegen. Es gab schon mehrere Anläufe und Abstimmungen. Jetzt liegt ein wirklich breit abgestützter Kompromiss auf dem Tisch. Die 7 Millionen, die wir gemäss obligatorischem Eintrag im Transparenzregister des Bundes investieren, sind viel Geld, aber auch zu relativieren. Wir haben über die Jahre einen Sonderfonds angespart. Pro Mitglied – wir haben rund 340 000 – wenden wir etwa 16 Franken auf, was einem Jahresbeitrag eines Mitglieds an den HEV Schweiz entspricht. Dazu kommen Eigenleistungen wie Werbung in unserer Verbandszeitung und die Engagements unserer 123 regionalen Sektionen.
Herr Kaufmann, Sie haben in der SP Baselland den Lead. Was treibt Sie an, sich gegen diese Vorlage einzusetzen?
Urs Kaufmann: Bund und Kantone würden durch die Abschaffung des Eigenmietwerts beim heutigen Hypothekarzinsniveau jährlich rund 1,8 Milliarden Franken verlieren. In Zeiten angespannter Finanzen liegt das schlichtweg nicht drin. Hinzu kommt, dass nur eine Minderheit profitieren würde: die 36 Prozent der Bevölkerung, die Wohneigentum besitzen. Die restlichen 64 Prozent des Landes – die Mieterinnen und Mieter – wären die Verlierer. Sie müssten mit weniger Leistungen durch den Staat auskommen oder Steuererhöhungen mitfinanzieren.
Meier: Du übersiehst das Kernproblem, Urs. Wohneigentümer müssen heute ein Einkommen versteuern, das sie nie erhalten haben. Das ist äusserst ungerecht und gibt es kein zweites Mal. Beim Eigenmietwert handelt es sich um eine Geistersteuer aus dem Ersten Weltkrieg.
Kaufmann: Geistersteuer? Der Eigenmietwert sorgt für Steuergerechtigkeit zwischen den Wohneigentümern und Mietern. Zudem verschweigst Du, dass der Eigenmietwert durch verschiedene Abzüge kompensiert werden kann. Im Baselbiet können Wohneigentümer zum Beispiel einen Viertel der Unterhaltskosten pauschal abziehen, ohne tatsächlich sanieren zu müssen. Bei effektiven Sanierungen sind grosse Steuereinsparungen möglich. Auch die Hypothekarzinsen können abgezogen werden. Über einen langen Zeitraum gesehen, konnten die Hauseigentümer deutlich mehr Abzüge machen als sie durch den Eigenmietwert belastet wurden.
Meier: Mit dem Eigenmietwert werden auch die Abzüge dahinfallen. Das wird nicht nur die Situation für die Wohneigentümer, sondern auch den Aufwand für die Steuerbehörden vereinfachen. Das ist der Unterschied zu früheren Vorlagen, bei denen man teilweise den Fünfer und das Weggli wollte, also den Eigenmietwert abschaffen und Steuerabzüge behalten. Doch das ist bei der jetzigen Vorlage nicht der Fall. Deshalb ist es für mich unverständlich, weshalb sich die Linken gegen die Vorlage aussprechen, obwohl sie im Parlament bis und mit der Einigungskonferenz der beiden Kammern dafür waren.
Kaufmann: Uns stört, dass es sich nicht um einen vollständigen Systemwechsel handelt. So werden weiterhin Abzüge möglich sein – beispielsweise für denkmalpflegerische Arbeiten oder Rückbaukosten. Zudem können Personen, die zum ersten Mal Wohneigentum erwerben, eine Zeit lang die Schuldzinsen von den Steuern abziehen. Auch bei energetischen Sanierungen können die Kantone weiterhin Abzüge ermöglichen.
Sie, Herr Meier, haben bereits einen Vorstoss im Landrat eingereicht, der genau das fordert.
Meier: Richtig. Als Hauseigentümerverband haben wir die Förderung von energetischen Gebäudesanierungen immer unterstützt – und tun das auch weiterhin …
Kaufmann: … was auch richtig ist!
Meier: Du wirst meine Motion im Landrat also unterstützen?
Kaufmann: Ja, klar. Doch ich hoffe, dass es gar nicht so weit kommt und der Eigenmietwert bestehen bleibt. Seine Abschaffung wäre nämlich kontraproduktiv für die Wohneigentümer und die Energiewende.
Wie meinen Sie das?
Kaufmann: Fehlen dem Bund und den Kantonen plötzlich 1,8 Milliarden Franken, führt das unweigerlich zu Sparmassnahmen. Das beobachten wir bereits beim Gebäudeprogramm, das klimafreundliche Umbauten unterstützt. Dort will der Bundesrat die Mittel kürzen.
Meier: Diese Kürzungen lehnt der Hauseigentümerverband ab. Das 2009 eingeführte Gebäudeprogramm hat sich bewährt.
Kaufmann: Die Abschaffung des Eigenmietwerts und die damit verbundenen Steuerausfälle provozieren aber solche Einschnitte …
Meier: Fakt ist: Auch ohne die Möglichkeit von steuerlichen Abzügen lassen Wohneigentümer ihre Häuser oder Wohnungen nicht verlottern. Die allermeisten Leute wollen in einem schönen Daheim leben und Investitionswert sowie Marktfähigkeit ihrer Liegenschaft erhalten. Deshalb werden sie weiterhin investieren und beispielsweise eine neue Küche einbauen oder die Wände neu streichen lassen.
Kaufmann: Ich glaube, da denkst Du zu optimistisch. Wenn die steuerlichen Abzüge für Unterhaltsarbeiten wegfallen, wird es kurzfristig zu einem Investitionsboom kommen. Doch sobald die Abzüge nicht mehr möglich sind, wird es Rückgänge bei den Aufträgen geben – und die Schwarzarbeit wird zunehmen.
Davor warnt auch «Suissetec», der Verband der Gebäudetechniker.
Meier: Der Schweizerische Gewerbeverband sagt hingegen deutlich Ja zur Abschaffung des Eigenmietwerts und der Baumeisterverband hat Stimmfreigabe beschlossen. Das Thema ist vielschichtiger, als es dargestellt wird.
Bitte, führen Sie aus.
Meier: Weshalb die Wohneigentümer weiterhin sanieren werden, habe ich bereits erklärt. Was die Schwarzarbeit betrifft, hat die Eigenmietwert-Reform keine Auswirkung. Wohneigentümer haben ein grosses Interesse daran, ihre Arbeiten ordentlich durchführen zu lassen, also mit Beleg und Rechnung. Zum einen, um bei mangelhaften Arbeiten bei der betroffenen Firma die Nachbesserung einfordern zu können, zum anderen, um die Kosten später bei der Grundstückgewinnsteuer abziehen zu können, wenn das Haus einmal verkauft wird. Das Argument, die Abschaffung des Eigenmietwerts führe zu mehr Schwarzarbeit, ist ein Angstkonstrukt.
Kaufmann: Da bin ich anderer Meinung. Und ich sehe noch ein anderes Problem, das die Eigenmietwert-Abschaffung mit sich bringen würde.
Nämlich?
Kaufmann: Fällt die Belastung durch den Eigenmietwert weg, wären die Menschen bereit, noch mehr Geld für den Kauf von Wohneigentum auszugeben als heute. Das heisst, die Preise würden zusätzlich steigen und es würde insbesondere für junge Menschen schwieriger, ein Haus oder eine Wohnung zu erwerben.
Meier: Ich nehme an, Du beziehst dich auf die Studie der UBS, die einen Preisanstieg von 13 Prozent bei Eigenheimen prognostiziert. Abgesehen davon, dass mir schleierhaft ist, wie diese Zahl zustande gekommen ist, haben die hohen Immobilienpreise nichts mit der Eigenmietwert-Vorlage zu tun. Sie entstehen, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt und die Menschen bereit sind, viel Geld für ein Eigenheim zu investieren. Das Gegenteil ist der Fall: Die Abschaffung des Eigenmietwerts würde alle entlasten und auch die Tragbarkeit von Hypotheken für junge Menschen erhöhen, da mit dem befristeten Schuldzinsabzug für Ersterwerbende eine Art Anschubfinanzierung eingeführt würde.
Herr Kaufmann, von der Abschaffung des Eigenmietwerts würden insbesondere ältere Menschen profitieren, die ihre Hypotheken ein Leben lang abgezahlt haben und nun mit einem bescheidenen Einkommen auskommen müssen. Ist das nicht unterstützenswert?
Kaufmann: Als Besitzer eines Reiheneinfamilienhauses gehöre ich ebenfalls zu dieser Gruppe und würde wegen der aktuell tiefen Hypothekarzinsabzüge von der Abschaffung des Eigenmietwerts profitieren. Doch es geht um mehr als meine persönlichen Befindlichkeiten, nämlich um die Steuergerechtigkeit zwischen Wohneigentümern und Mietern. Zudem konnten viele ältere Menschen in den vergangenen 30 bis 40 Jahren dank der verschiedenen Abzüge deutlich mehr profitieren, als sie durch den Eigenmietwert belastet wurden.
Meier: Es kann nicht sein, dass Leute, die ein Leben lang ihre Schulden abgezahlt haben, im Alter gezwungen sind, ihr Haus zu verkaufen, weil sie die Steuerlast durch den Eigenmietwert nicht mehr bezahlen können. Wer spart und Schulden abbaut, darf nicht schlechter gestellt werden als jemand, der sein Geld zum Beispiel für teure Ferien oder Autos ausgibt.
Kaufmann: Tatsache ist, dass die Mieten in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sind. Anders als Eigenheimbesitzer können Mieter nichts von ihren Wohnkosten abziehen. Deshalb ist es ungerecht, dass der Eigenmietwert abgeschafft werden soll, gewisse Abzugsmöglichkeiten aber bestehen bleiben sollen. Hauseigentümer ohne Schulden wohnen heute günstiger, als wenn sie eine Wohnung mieten müssten.
Meier: Von den steigenden Preisen sind bei Weitem nicht nur die Mieter betroffen. Auch die Kosten der Wohneigentümer sind stark gestiegen, sei es bei den Energiekosten, dem Baumaterial oder den Handwerkern. Das ist auch deshalb problematisch, weil die Politik den Hauseigentümern im Energiebereich immer mehr kostentreibende Vorschriften macht. In gewissen Kantonen muss man bei Neubauten eine Wärmepumpe und eine Solaranlage installieren und bei bestehenden Bauten die Fassade isolieren.
Kaufmann: Zumindest im Baselbiet muss niemand sein Haus isolieren, wenn er das nicht möchte. Und bei den Wärmepumpen gibt es Ausnahmeregelungen, wenn sich der Einbau aufgrund des Alters des Besitzers oder des Hauses nicht mehr lohnt. Ausserdem werden erneuerbare Heizsysteme immer billiger.
In einem Punkt dürften Sie sich einig sein: Die Abschaffung des Eigenmietwerts ist insofern gut, als damit die Schuldzinsabzüge grösstenteils entfallen und der Verschuldung der Schweizer entgegengewirkt wird.
Meier: Aus steuerlicher Sicht gibt es heute tatsächlich einen Anreiz, Schulden zu machen. Die Privatverschuldung in unserem Land beläuft sich auf rund 1200 Milliarden Franken. Das ist eindeutig zu viel und birgt Risiken für die Volkswirtschaft. Wenn der Immobilienmarkt überhitzt und die Zinsen steigen, werden viele Leute Probleme haben, ihre Kredite zu bezahlen. Die Banken müssten mit Zahlungsausfällen rechnen.
Kaufmann: Ich bin Deiner Meinung, dass der Anreiz für das Schuldenmachen nicht sinnvoll ist. Doch wie bereits gesagt, soll der Systemwechsel bei der Wohnbesteuerung nicht konsequent erfolgen. Im Vergleich zu Mietern würden Wohneigentümer bessergestellt.
Kommen wir zum Schluss. Herr Meier, wie würden Sie einen Mieter davon überzeugen, der Abschaffung des Eigenmietwerts zuzustimmen?
Meier: Ich würde ihm sagen, er könne der Vorlage ruhig zustimmen, da er selbst davon nicht direkt betroffen ist. Was die propagierten Steuerausfälle in Höhe von 500 Franken pro Jahr und Einwohner betrifft, so ist zu beachten, dass rund ein Viertel schon heute gar keine Steuern bezahlt. Allfällig höhere Steuern würden aufgrund der starken Steuerprogression sowieso – wie immer – primär von Menschen mit höheren Einkommen bezahlt, also mitunter auch von solchen, die durch die Abschaffung des Eigenmietwerts entlastet werden. Bei einem Ja würde eine ungerechte Geistersteuer abgeschafft.
Und Sie, Herr Kaufmann – wie würden Sie einen Hauseigentümer umstimmen, der beabsichtigt, die Vorlage anzunehmen?
Kaufmann: Der Eigenmietwert mit allen seinen Abzügen ist keineswegs ungerecht. Über einen längeren Zeitraum gesehen ist er sogar vorteilhaft für Wohneigentümer, insbesondere in Zeiten hoher Hypothekarzinsen. Es kann nicht sein, dass nur eine Minderheit profitiert und auf Kosten der Allgemeinheit massive Steuerausfälle verursacht werden.
Die Vorlage zusammengefasst
Wer im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung lebt, muss heute den sogenannten Eigenmietwert als Einkommen versteuern. Gemeint ist, dass die nicht erzielten Einnahmen aus einer Vermietung der Liegenschaft versteuert werden müssen. Im Gegenzug können für Schuldzinsen sowie für Unterhaltskosten Steuerabzüge geltend gemacht werden. Die Abschaffung des Eigenmietwerts ist umstritten und seit Jahren ein politischer Dauerbrenner. In der Schweiz lebt die Mehrheit der Bevölkerung in einer Mietwohnung.
Das Parlament beschloss 2024 einen Systemwechsel: Für Erst- und auch für Zweitwohnungen soll der Eigenmietwert fallen. Die Möglichkeit für die Kantone, mit einer neuen Liegenschaftssteuer auf Zweitwohnungen wegfallende Einnahmen zu kompensieren, beschloss das Parlament als Begleitmassnahme. Die dafür nötige Verfassungsänderung, über die nun abgestimmt wird, ist Voraussetzung dafür, dass der Eigenmietwert abgeschafft werden kann. Denn das Parlament hat die beiden Vorhaben miteinander verknüpft – das eine kann ohne das andere nicht in Kraft treten. Schuldzinsen für das Wohneigentum sollen nach der Abschaffung des Eigenmietwerts nur noch Ersterwerbende während einer bestimmten Zeit von den Steuern abziehen können. Unterhaltskosten-Abzüge sollen bei Bund, Kanton und Gemeinden gestrichen werden. Abzüge für klimafreundliche Haussanierungen sollen die Kantone weiterhin ermöglichen können.
Die finanziellen Auswirkungen durch den Systemwechsel hängt von der Höhe der Hypothekarzinsen ab. Beim derzeitigen Niveau (1,5 Prozent) werden die Mindereinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden auf rund 1,8 Milliarden Franken im Jahr geschätzt. Die Baselbieter Finanzdirektion rechnet mit einer «schwarzen Null», doch die Berechnungen und Schätzungen seien mit Unsicherheiten verbunden, heisst es auf Anfrage der «Volksstimme». Steigt das Niveau der Hypothekarzinsen auf mehr als 3 Prozent, dürfte die öffentliche Hand mit der Abschaffung des Eigenmietwerts mehr einnehmen als heute, weil die Schuldzinsen nicht mehr abgezogen werden könnten. Wie viel die neue Steuer auf Zweitliegenschaften den Kantonen einbringt, ist offen. Denn die Einführung dieser Steuer ist Sache der Kantone, sie können auch verzichten.