Das Jahr zusammen gewischt und entsorgt
22.02.2024 Sissach, Fasnacht«D’r Glöggeliwagä» kolportiert grosse und kleine Schandtaten
30 Seiten umfasst der diesjährige «Glöggeliwagä», der am sonntäglichen Umzug in Sissach verkauft wurde. Für alle, die sich im Oberbaselbiet auskennen, bietet die von ...
«D’r Glöggeliwagä» kolportiert grosse und kleine Schandtaten
30 Seiten umfasst der diesjährige «Glöggeliwagä», der am sonntäglichen Umzug in Sissach verkauft wurde. Für alle, die sich im Oberbaselbiet auskennen, bietet die von Anonymen verfasste Fasnachtszeitung vergnügliche Lesestunden.
Neofütt
«Bitte mehr lokale Sujets!» Der dringliche und teilweise auch befolgte Aufruf der Fasnachtsgesellschaft Sissach an die Cliquen, wieder vermehrt lokale und regionale Themen aufs Korn zu nehmen, ist definitiv nicht an die Redaktion des «Glöggeliwagä» gerichtet. Auch in seiner 86. Ausgabe werden in grösseren und kleineren Beiträgen, verteilt auf 32 Seiten, Schandtaten aus dem Oberbaselbiet ausgeplaudert. Wie immer wird die Zeitung am Umzug für «e Föiflyyber oder meh» verkauft.
Da gifteln Schreiber (und sicher auch Schreiberinnen) ziemlich zynisch drauflos. Die Opfer des Spotts werden ebenfalls nicht beim Namen genannt, doch ist es ein Leichtes, zu entschlüsseln, wer etwa hinter Zeffi Semp und Gemeindemuni Pfuser möglicherweise stecken könnte. Pfusers Kollege Gerry Glutenthal, S. Reagenz und Laura Ravioli müssen etwa verbale Prügel einstecken, die auch für die mildernden Umstände, die an der Fasnacht gelten, die Schmerzgrenze zumindest berühren.
Sich ausschliesslich auf lokale Ereignisse zu fokussieren, bedeutet aber nicht, dass sich «D’r Glöggeliwagä», wie er sich selbst abenteuerlich schreibt, nur eine Sissacher Nabelschau bietet. Im Gegenteil: Schon früh im Blatt stossen wir auf sechs Seiten «Ussland». Nur beginnt das Ausland bereits jenseits des eigenen Gemeindebanns. Dafür steht ihnen ein grosses Netz an Auslandkorrespondenten zur Verfügung, das selbst bis Gelterkinden und Wintersingen reicht.
Vor allem «Sissech-Süd», wie Nachbar Zunzgen neckisch genannt wird, erhält aufgrund seiner Jubiläumsfeier im vergangenen Sommer eine noch grössere Plattform als in den zurückliegenden Jahren. Schliesslich lieferten sich die Ganzjahres-Fasnächtler beider Dörfer vor der Feier einen währschaften Fahnenstreit. Zudem beschiessen sich in Zunzgen noch zwei Jagdgesellschaften im Kampf um die Jagdpacht mit Giftpfeilen.
Im «Inland» zählt es zur Tradition, dass der Ehemann einer ortsansässigen Ständerätin die grösseren Schlagzeilen erhält als seine Gräfin selber, dieses Mal, weil er, der Bürgerrat, nonstöppli, an der erworbenen Beiz baut; die gewöhnungsbedürftigen Pläne zum Sissacher Jubiläumsjahr werden durch den Kakao gezogen; die Mahnwache der Impfgegner bekommen etliche Sp(r)itzen ab; auch der vox populi genannten «Volksstimme» werden ein paar Fehlgriffe in den Setzkasten vorgehalten. Wie diese Zeitung mit ihrem «Gurlifiengger», ihrer zwei Tage früher erscheinenden Fasnachtszeitung, erteilt auch im «Glöggeliwagä» eine Briefkastentante Ratlosen Rat.
Nicht-Inserenten beehrt
Zu den festen Bestandteilen der Zeitung zählen auch die Inserate der Gewerbebetriebe, die für 45 Franken einen eigenen Zweizeiler erhalten, um für sich zu werben. Eine Doppelseite mit 80 Mini-Versen kommt so zusammen. Auf einer dritten, eingedunkelten Seite erhalten sogar die Unternehmer, die sich das Mini-Inserat nicht leisten können, je einen Vers, der einfach weniger schmeichelhaft ausfällt.
Auch die Ausgabe vom vergangenen Sonntag garantiert den Liebhabern des fasnächtlichen Spotts ein paar vergnügliche Lesestunden. In ihrer grössten Stärke liegt zugleich auch die Schwäche der einzigen verbliebenen Fasnachtszeitung weitum: Wer keine Insider-Kenntnisse zum Nabel der Oberbaselbieter Welt (und kein Abo der «Volksstimme») besitzt, ist bisweilen überfordert. Doch beides lässt sich erlangen.