Das ganze Gerede
15.04.2025 PersönlichHERZBLUT
Am Donnerstag war Landratssitzung. Dauer: 4 Stunden und 15 Minuten. Auf der Traktandenliste standen 38 politische Geschäfte. Laut Protokollen werden an einem solchen Sitzungstag gut und gerne zwischen 25 000 und 30 000 Wörter gesagt. Ich lasse im ...
HERZBLUT
Am Donnerstag war Landratssitzung. Dauer: 4 Stunden und 15 Minuten. Auf der Traktandenliste standen 38 politische Geschäfte. Laut Protokollen werden an einem solchen Sitzungstag gut und gerne zwischen 25 000 und 30 000 Wörter gesagt. Ich lasse im Büro manchmal die Liveübertragung am Computer laufen. Könnte ja sein, dass etwas Aussergewöhnliches gesagt wird.
Früher sass ich häufig auf der Pressetribüne vor Ort. Meist mit Widerwillen: Je länger gesprochen wurde, desto weniger wusste ich noch, was eigentlich wichtig ist. Und die flatterhafte Stimmung in diesem Saal mochte ich nie. Am Ende eines Sitzungstags war ich jeweils erschöpfter als nach einer Woche Spätdienst.
Vor vielen Jahren erklärte mir ein ehemaliger Landrat und nebenberuflicher Feng-Shui-Berater die Misere: Im Landratssaal herrsche ein «schlimmer Energiedurchzug». Für einen launigen Artikel hatte ich ihn gebeten, das Regierungsgebäude nach den damals populären Feng-Shui-Kriterien zu analysieren. Allein die gegenüberliegenden Fensterfronten im Landratssaal verhinderten laut seiner Aussage die konzentrierte Arbeit. Jeder kluge Gedanke fliege sofort zu den hohen Fenstern hinaus. Hinzu komme die Sitzordnung: Die politischen Lager sitzen sich frontal gegenüber, was automatisch zu Konfrontationen führe. Und die vielen Kanten im Raum würden überdies die Nerven der Politiker «stüpfen», was einen ruppigen Umgang zur Folge habe.
Ein anderer Landrat erklärte mir später, er fühle sich nach jeder Sitzung wie ausgesaugt. Hier schwebten unsichtbare Dementoren à la Harry Potter über den Politikern, sagte er lachend. Am Abend sei er jeweils nur noch eine leere Hülle.
Mit dem Feng-Shui-Berater besuchte ich damals auch das Sitzungszimmer der Kantonsregierung. Aus seiner Sicht war dort so ziemlich alles falsch. Besonders der Platz des Regierungspräsidenten sei energietechnisch katastrophal. Kein Wunder, so der Berater, reagiere der Präsident immer gereizt und das Kollegium höre ihm kaum zu. Und im Büro einer damals amtsjungen Regierungsrätin schlug er gleich Alarm: Sie sass nicht nur im «Durchzug» zwischen zwei Fenstern, sondern auch mit dem Rücken zur Tür! «Politik und Verwaltung hintergehen dich», diagnostizierte er ohne Umschweife. Sein Rat an die Parteifreundin: sofort umstellen. Gesagt, getan. Mit Feng Shui habe ich zwar nichts am Hut, aber als ich später einmal das Büro eines Chefredaktors einer anderen Zeitung betrat und sah, dass er genau gleich falsch sitzt, da wusste ich: Der macht’s nicht mehr lange. Und so war’s …
Und was hat die Landratssitzung vom Donnerstag nun gebracht? Ich weiss es nicht mehr so genau – es waren zu viele Worte. «Je mehr geredet wird, desto unwesentlicher wird das Gesagte», sagte mir einst ein gestandener Landrat. Man solle das Parlament ruhig einmal vier Jahre lang pausieren lassen – und dann schauen, ob’s überhaupt jemand merkt. Ich lachte alleine – er hatte es nicht im Scherz gemeint. Er hatte während seiner politischen Karriere zu viel vom ganzen Gerede abbekommen.
David Thommen, Chefredaktor «Volksstimme»