Das Böse hat ein Verfalldatum
23.12.2025 Arisdorf, Wintersingen, NusshofPfarrerin Sonja Wieland über Weihnachten aus neuer Perspektive
Im Januar ist Pfarrerin Sonja Wieland von Wintersingen nach Kalifornien ausgewandert. Wir haben sie um einen Beitrag zu Weihnachten gebeten – nun aus amerikanischer Sicht.
Sonja Wieland
...Pfarrerin Sonja Wieland über Weihnachten aus neuer Perspektive
Im Januar ist Pfarrerin Sonja Wieland von Wintersingen nach Kalifornien ausgewandert. Wir haben sie um einen Beitrag zu Weihnachten gebeten – nun aus amerikanischer Sicht.
Sonja Wieland
So, zuerst einmal spreche ich den Elefanten im Raum an, um allen Fragen entgegenzukommen: Ja, ich freue mich auf Weihnachten! Es ist nämlich das erste Weihnachten in 25 Jahren, wo ich nicht Hospiz-Pikettdienst habe, wo es keine Gottesdienste vorzubereiten gilt, keine Andachten, keinen Apéro, kein Geschichtenvorlesen, kein Geschenke-Wichtel-Dings, kein Nix. Wenn man einmal vom Artikel absieht, den ich gerade für die «Volksstimme»-Weihnachtsausgabe schreibe, bewegen sich meine Weihnachtsaktivitäten auf kleinem Raum. Wir haben nicht einmal einen Baum.
Das macht in einem Wüstenklima ja auch keinen Sinn – ausserdem hatten wir früher in Wintersingen das Glück, jedes Jahr den Baum von der Bürgergemeinde auf der Sissacher Höhe kaufen zu können. Das 3-Meter-Teil sah amigs gar stattlich aus im Gang der Pfarrwohnung, und das Schmücken desselben war ein Fest für sich. Im Januar ging der Baum jeweils zur Nachbarin – besser gesagt zu ihren Ziegen, die noch daran herumnibbelten, bis seine Stattlichkeit bis auf ein paar dürre Zweiglein reduziert war. So etwas können wir hier eh nicht mehr reproduzieren, das war einmalig.
Die Krippe mit den vielen kleinen Santonsfiguren, die ich in 30 Jahren zusammengesammelt habe, steht farbig im Wohnzimmer und ist lustig und lieblich anzuschauen. Die Jesusfigur ist noch in der Streichholzschachtel und wartet auf ihren grossen Auftritt, wenn «die Zeit erfüllt» ist. Einen Adventskranz haben wir auch. Statt Tannenzweige schmücken ihn Zweiglein von unserem Olivenbaum.
Ergibt auch Sinn – ich glaube, Jesus hat in seinem Leben sowieso mehr Olivenzweige als Tannenzweige gesehen.
Lichtlein und grosses Licht
Ja, Weihnachten aus amerikanischer Sicht … Es ist gar nicht so anders als Weihnachten aus Schweizer Sicht. Vielleicht sind die Lichter an den Häusern etwas bunter, die aufblasbaren Rentiere auf den Dächern etwas grösser, in den Läden ist schon seit November der gleiche Lebkuchensturm wie in der Schweiz. Und sonst? Hüben wie drüben kuckt man meistens auf die kleinen Lichtlein – doch manchmal sieht man das grosse Licht dahinter.
Speaking of «hinkucken»: Was ist hier mit der politischen Situation? Inte- ressiert das irgendjemanden? Ja, die Menschen kucken hin, viele sehen sogar. Sie lesen Zeitung, schauen Nachrichten, um zu erfahren, was eine weitere Neuausgabe des Herodes nun wieder für menschenfeindliche Sachen angeleiert hat.
Das Böse, das sich in Menschen niederlässt, scheint kein Verfalldatum zu haben, solange wir es durch unser Hinkucken am Leben erhalten. Und genau das will «es» auch. Angeguckt werden, Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Gefühle von Angst und Ohnmacht wecken – das ist die Quelle seiner Lebensenergie. Was man füttert, bleibt am Leben. So knallt «es» mit der Peitsche, plustert sich auf und brüllt allerhand Profanes, damit sein Publikum es mit Aufmerksamkeit füttert.
Ganz gemäss Psalm 73, 10: «… und das Volk schlürft ihr Wasser in Fülle.»
Wenn die Aufmerksamkeit dann doch einmal kurz nachlässt, weil die Hypnose bricht, gerät es in Panik und veranstaltet wieder was Neues, brüllt halt wieder was anderes.
Es ist bemerkenswert, was Menschen mithilfe der Steigbügelhalter und Profiteure anstellen können. Ohne die Armee der Seilschaftler, die sich nicht in die erste Reihe stellen wollen, wären die Herodes dieser Welt armselige Würstchen. So wird in die fetten Lügen ein bisschen Wahrheit gemischt, sodass, was immer diese Leute und ihre Schergen von sich geben, ein bisschen plausibel klingt und ins Unterbewusstsein kriecht, und der Stammtisch diskutiert end- und resultatelos die Für und Wider.
Viel Lärm beim Sterben
Hat das Böse wirklich kein Verfalldatum? Doch, es hat eins, die Axt ist diesem Baum schon an die Wurzel gelegt. Die Scharade wird auch langsam durchschaut, je länger, desto deutlicher. Vielleicht ist es das, was mit «Erwachen» gemeint ist. Es ist interessant, wie schnell unbedarfte Teenager zu Erwachsenen mit sozialem Gewissen werden können.
Hoffen wir, dass Eckehard Tolle recht hatte, als er sagte: «Das Neue ist schon da, das Alte macht nur viel Lärm beim Sterben.» Die Bibel sagt es ähnlich. Dort heisst es lapidar: «Der Teufel ist wütend und peitscht um sich, denn er weiss, dass er nur noch kurze Zeit hat.» Und prompt versucht «das Ding» alles, um den Blick von Gott wegzulenken, sodass Menschen wie hypnotisiert in die Dunkelheit starren, gegen alles und jeden misstrauisch werden und selber anfangen, um sich zu schlagen.
Ich kann mich erinnern, als Kind, als die ersten langhaarigen Hippies in unserem norddeutschen Dorf auftauchten, da hörte ich einmal den Satz vom Erwachsenentisch: «Der Adolf hätte mit denen kurzen Prozess gemacht.» Ich wusste nicht, wer dieser «Adolf» war. Ich kannte keinen, weil der Vorname in den Sechzigern doch nicht mehr so populär war. Nun sind es nicht mehr die Langhaarigen, sondern halt andere – aber das Lied war schon immer das gleiche.
Mal sehen – die Sterne stehen jedenfalls gut, dass der Spuk dann auch wieder einmal ein Ende hat. Gott hat einen Plan, allerdings darf ich nicht in die Werkstatt schauen. Sie, werte Lesende, wahrscheinlich auch nicht. Ich nehme das Buch der Bücher als Schlüsselloch, um ein bisschen was von der Werkstatt zu erhaschen. Da sehe ich viel Hilfreiches und Ermutigendes!
Vor allem sehe ich, dass Gott etwas Neues hervorbringen kann, wo nach menschlichem Ermessen nichts Neues entstehen kann. Das ist schon mal nicht nichts! Ich sehe, dass es dazumal schon Kräfte gab, die es nicht verknusen können, wenn Menschen den Blick von ihnen abwenden hin zu etwas mehr Lichtvollem. Ich sehe auch, dass dieses Neue inmitten von Chaos und Verfolgung und ökonomischer Unsicherheit tatsächlich das Licht der Welt erblicken kann. Oder besser gesagt, die Dunkelheit der Welt mit seinem eigenen Licht erhellen kann.
Ich glaube, Maria hat das begriffen. Ich glaube auch, dass sie zunächst die Einzige war, die verstanden hat, wer da auf die Welt kommt. Sie war schliesslich die Mama und kuckte nicht nur, sie bewegte auch alles in ihrem Herzen und wurde sehend. Es ist mir klar, dass in den Geburtsgeschichten viel legendarisches Material ist, aber die Bedeutungswelten, die diese Bilder eröffnen, sagen doch mehr aus, als eine reduzierte, lineare Sprache zu leisten vermag. Marias Lobgesang im Lukasbericht jedenfalls klingt weitsichtig, fast schon prophetisch.
Altes-neues Zuhause
Und wie geht’s den drei Wielands? Sehr gut! Die Katze hat ihren zweiten Umzug über den grossen Teich gut überstanden und hat ihr altes-neues Zuhause wieder in Besitz genommen, und wir zwei Menschen entdecken jeden Tag weitere Schönheiten dieses Landes und seine liebevollen, resilienten, lustigen, mutigen, manchmal nervenden und ach so verletzlichen Menschen – eigentlich auch gar nicht so anders als in der Schweiz.
Und wenn die «Zeit erfüllt» ist, wird sich zeigen, was Gott vorhat. Ich glaube an Wunder und entdecke manchmal, wie durch ein Schlüsselloch, etwas, das wie eines aussieht. Aber nur, wenn ich nicht nur kucke, sondern versuche, zu sehen.
Merry Christmas und schöni Wienachte!
Zur Person
vs. Sonja Wieland (62) war von 2014 bis 2024 Pfarrerin in Wintersingen-Nusshof und in Arisdorf.
Im Januar 2025 ist sie mit ihrem Mann Stefan nach Kalifornien, schon zuvor ihrer beider Wahlheimat, zurückgekehrt. Dort, in San Diego, hält sie etwa einmal monatlich Gottesdienste und die eine oder andere Hochzeit. Sie malt, gärtnert, hat das Kung-Fu-Training wieder aufgenommen und erkundet wandernd die Umgebung.

