China lockt die Leute an
03.09.2024 BaselbietGut besuchter Talk mit «Club»-Moderatorin Barbara Lüthi
Die Schweiz und China wollen ein neues Freihandelsabkommen aushandeln. Nicht nur diese Aktualität, sondern auch grundsätzliche Fragen im Umgang mit der autoritären Supermacht wurden im ...
Gut besuchter Talk mit «Club»-Moderatorin Barbara Lüthi
Die Schweiz und China wollen ein neues Freihandelsabkommen aushandeln. Nicht nur diese Aktualität, sondern auch grundsätzliche Fragen im Umgang mit der autoritären Supermacht wurden im «Cheesmeyer» diskutiert. Mehr als 100 Personen sind erschienen.
Janis Erne
War es das Thema? «Club»-Moderatorin Barbara Lüthi als Gast? Oder das angenehme Sommerwetter? Schwer zu sagen, wahrscheinlich von allem etwas. Jedenfalls besuchten am Donnerstagabend mehr als 100 Personen den jüngsten Talk von Soziologieprofessor Ueli Mäder im Sissacher «Cheesmeyer». Oder besser gesagt: vor dem «Cheesmeyer». Denn für einmal fand der Talk im Freien auf einer Theaterbühne statt.
Thema des Gesprächs war China, das zweitbevölkerungsreichste Land der Erde. Die langjährige China-Korrespondentin Barbara Lüthi, die Chinesisch-Lehrerin Brigitte Koller und der Sinologie-Student Joshua Gossweiler sprachen über Land und Leute, über Politik und Wirtschaft. Sie erzählten von der Unzufriedenheit der Bevölkerung, die aber nicht gross genug ist, damit sie zum Sturz der kommunistischen Staatsführung führen könnte, oder vom Prinzip «Wandel durch Handel», das nur für eine – die falsche – Seite funktioniert hat.
Doch der Reihe nach: Lüthi – von 2006 bis 2014 für das Schweizer Radio und Fernsehen in China tätig – sprach von einer «prägenden Zeit» in Fernost. 15 Mal sei sie verhaftet, unzählige Male ihr Büro durchsucht worden. Und zwar von den chinesischen Behörden, die Lüthi wie jedem ausländischen Journalisten eine Betreuungsperson zur Seite stellten. Diese traf sich monatlich mit ihr zum «Tee trinken».
Als Schweizerin kam Lüthi glimpflich davon. Chinesische Journalistinnen und Journalisten dagegen verschwanden zum Teil im Gefängnis, von einigen Bekannten hat Lüthi seither nichts mehr gehört. «Die Zeit in China hat mich als Mensch demütiger und als Journalistin hartnäckiger gemacht», sagte sie. Nicht nur die chinesischen Behörden, auch Schweizer Firmen, die ihre Interessen gefährdet sahen, versuchten, Lüthis preisgekrönte Reportagen und Enthüllungsgeschichten zu sabotieren. Eine Gruppe von Unternehmern sammelte einst Unterschriften, um Lüthi als Korrespondentin abzusetzen.
Damit sind wir mitten im Thema des Talks: die Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz mit China. Diese basierten jahrelang auf der Vorstellung, dass sich China durch den Austausch von Gütern und Kontakten mit dem Westen eines Tages demokratisieren würde. Das dahinter stehende Prinzip «Wandel durch Handel» legitimierte lange Zeit die Wirtschaftsbeziehungen demokratischer Staaten mit dem autoritären China, das die Menschenrechte regelmässig mit Füssen tritt.
«Die Chinesen sind unzufrieden»
Auf der Theaterbühne vor dem «Cheesmeyer» sagte Lüthi: «‹Wandel durch Handel› hat funktioniert – aber nur für eine Seite.» Gemeint war China. Das Milliardenreich konnte durch den Handel mit dem Westen sein Wirtschaftswachstum ankurbeln, die Armut im Land besiegen und den Wohlstand der Mittel- und Oberschicht steigern. Gegenüber der Bevölkerung löst die Kommunistische Partei damit ihr Versprechen ein, für sie zu sorgen. Im Gegenzug gehorchen ihr die Menschen.
Grosse – und vor allem: vernetzte – Aufstände hat es in China seit dem Tian’anmen-Massaker in Peking 1989 nicht mehr gegeben, als das Militär Proteste der Bevölkerung mit Gewalt niederschlug. Sprachlehrerin Brigitte Koller, die 1984 zum ersten Mal in China war und vor allem die städtische Mittelschicht gut kennt, sagte: «Die Menschen sind unzufrieden mit der strengen Führung unter Xi Jinping, obwohl sie meist selbst Parteimitglieder sind.»
Sie äusserten den Unmut im privaten Raum. Öffentlicher Protest gegen die Herrschenden käme ihnen aber nicht in den Sinn – «weil es ihnen zu gut geht», so Koller. Wenn, dann kämen die Proteste von unten, von der Landbevölkerung, von denen, die nichts mehr zu verlieren hätten, so wiederum Lüthi.
Grüne drohen mit Referendum
Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer, dass die Chinesen («sehr freundliche Menschen») einen beeindruckenden Pragmatismus an den Tag legten: «Sie passen sich den zum Teil sehr schwierigen Gegebenheiten an», sagte Lüthi. Sie erzählte von einer Wirtin, die nur mit den Achseln zuckte, als ihr Restaurant vor den Olympischen Spielen 2008 in Peking einem Hochhaus weichen musste und mit Bulldozern niedergewalzt wurde. «Dann fange ich eben woanders neu an», habe sie gesagt.
Unter den Diskussionsteilnehmern herrschte eine gewisse Ratlosigkeit, wie sich die Schweiz gegenüber China verhalten soll. Lüthi betonte zwar, dass wir uns alle fragen müssten, wie weit wir unsere Werte aufgeben wollen, um das Wirtschaftswachstum zu stärken. Abgesehen von Lieferketten, die durch Unternehmen überprüft werden sollen, wurden aber keine konkreten Massnahmen oder Strategien aufgezeigt, wie dieses Ziel erreicht werden könnte.
Sinologiestudent Joshua Gossweiler, der einst am Gymnasium Liestal Chinesisch lernte, meinte, es sei Aufgabe der Gesellschaft und nicht nur der Politik, «rote Linien» im Umgang mit China zu ziehen. Dazu wird die Bevölkerung – zumindest die stimmberechtigte – in einigen Monaten vielleicht Gelegenheit haben: Die Grünen haben angekündigt, das Referendum gegen das revidierte Freihandelsabkommen mit China zu ergreifen, sollten die Menschenrechte darin nicht besser geschützt werden. Befürworter dagegen betonen, dass der Freihandel mit China auch den Wohlstand in der Schweiz stärke.