Carl Spitteler und sein grösster Fan
13.11.2025 Bezirk LiestalEine Buchpräsentation im «Distl» gibt Einblicke in alte Briefwechsel
Am vergangenen Freitag boten Erwin Marti und Dominik Riedo im «Distl» Kostproben aus dem von ihnen herausgegebenen Briefwechsel zwischen Carl Spitteler (1845–1924) und Carl Albert Loosli ...
Eine Buchpräsentation im «Distl» gibt Einblicke in alte Briefwechsel
Am vergangenen Freitag boten Erwin Marti und Dominik Riedo im «Distl» Kostproben aus dem von ihnen herausgegebenen Briefwechsel zwischen Carl Spitteler (1845–1924) und Carl Albert Loosli (1877–1959). Dabei entstand das Bild einer Freundschaft, in der die Gewichte ungleich verteilt waren.
Martin Stohler
Der Briefwechsel begann am 19. Januar 1908 mit einem Schreiben Carl Albert Looslis an Carl Spitteler. Dem Schreiben hatte Loosli einen Artikel über den von ihm bewunderten Schriftsteller und Dichter beigelegt. Darauf dankte ihm Spitteler am 23. Januar mit einem längeren Brief und lud Loosli ein, ihn anlässlich eines Vortrags in Bern zu treffen. Aus der persönlichen Begegnung wurde eine Freundschaft, die erst mit Spittelers Tod am 29. Dezember 1924 endete.
Carl Spitteler hatte lange auf die Anerkennung durch die zeitgenössische Literaturkritik warten müssen. Sein 1880 beziehungsweise 1881 erschienenes zweibändiges Epos «Prometheus und Epimetheus» wurde von den deutschen Zeitungen und Zeitschriften vollkommen ignoriert. Einzig sein Liestaler Jugendfreund Josef Viktor Widmann, langjähriger Feuilleton-Redaktor bei der Berner Tageszeitung «Der Bund», setzte sich unermüdlich für Spittelers Werk ein.
Im Jahr 1893 war Spitteler dank einer Erbschaft nach dem Tod seines Schwiegervaters finanziell unabhängig geworden und mit seiner Familie nach Luzern gezogen. Dort konnte er sich nun voll und ganz seiner Dichtkunst widmen. Zuvor hatte er sich in Redaktionsstuben und als Mitarbeiter von Zeitungen ein Auskommen finden müssen. 1908, dem Jahr von Looslis Kontaktaufnahme, war Spitteler allerdings auch in Deutschland kein Unbekannter mehr, doch die erhoffte Anerkennung liess noch immer auf sich warten.
Spittelers Freund und Bewunderer
Carl Albert Loosli war wesentlich jünger als Carl Spitteler. 1877 im bernischen Schüpfen als uneheliches Kind geboren, wuchs er bei einer Pflegemutter auf. Diese starb, als Loosli 12 Jahre alt war. Darauf kam er in verschiedene Anstalten, was ihm nicht gut bekam, wie Erwin Marti – zusammen mit Dominik Riedo, Herausgeber des Briefwechsels – am Freitag zu Looslis Werdegang sagte. Auch später noch kämpfte Loosli gegen Missstände im Heim- und Verdingwesen.
Als Loosli 1908 mit Spitteler Kontakt aufnahm, hatte er eine Stelle als Redaktor bei der sozialdemokratischen «Berner Tagwacht». Diese gab er bald zugunsten verschiedener publizistischer Vorhaben – unter anderem einer gross angelegten Biografie von Ferdinand Hodler – auf.
Loosli war ein grosser Spitteler-Fan. Dies brachte er auch dadurch zum Ausdruck, dass er immer wieder Artikel verfasste, in denen er Spittelers Schaffen lobend würdigte, und versuchte, diese in der Schweiz und in Deutschland in Zeitschriften unterzubringen. So schrieb er im Mai 1908 an Spitteler, ob er den Haasensteiner & Vogler’schen Zeitungskatalog kenne. Darin seien «sämtliche Zeitungen von Aachen bis Zürich in alphabetischer Reihenfolge aufgezählt und ich glaube dass Sie dort nur einige wenige finden werden, auf deren Redaction nicht schon mein zweiter Artikel über Ihren Prometheus seine Aufwartung gemacht hätte». Allerdings mit wenig Erfolg, wie aus dem Rest des Briefs klar wird.
Im Lauf des Briefwechsels kommt wiederholt die Arbeit an Spittelers «Olympischem Frühling» und am «Prometheus» zur Sprache. Dabei wird Loosli, ähnlich wie der eng mit ihm befreundete Literaturwissenschaftler Jonas Fränkel, zum mehr oder weniger kritischen Erstleser und Begleiter des Schaffensprozesses Spittelers. Andererseits nimmt auch Spitteler Anteil an Looslis Arbeiten, spendet Lob und gibt Ratschläge. Und wenn Loosli finanziell auf dem Trockenen sitzt, lässt Spitteler ihm auch mal eine Banknote zukommen.
Beleuchtet werden in der Korrespondenz der beiden auch die Gräben, die der Weltkrieg aufreisst, auf die Spittelers Vortrag «Unser Schweizer Standpunkt» am 14. Dezember 1914 reagiert.
Umfangreiches Konvolut
Der Briefwechsel von Loosli und Spitteler umfasst 160 Dokumente – Briefe, Postkarten, Telegramme, Visiten- und Trauerkarten. Für die Präsentation im «Distl» trafen Erwin Marti und Dominik Riedo eine geschickte Auswahl, welche die beiden unterschiedlichen Charaktere aus den Texten hervortreten und die Tonalität der Briefe anklingen liess.
Unter den ausgewählten Briefstellen war auch eine zum sogenannten Gotthelf-Handel von 1913. Loosli hatte sich den Jux erlaubt, die etablierten Literaturwissenschaftler und -kritiker aufs Glatteis zu führen, indem er in einem Artikel «aufdeckte», dass nicht Albert Bitzius der Verfasser von Jeremias Gotthelfs Werken sei, sondern ein gebildeter Bauer. Dabei sind Loosli einige, die es hätten besser wissen können, auf den Leim gegangen, was ihm diese sehr übel nahmen. Auch Spitteler fiel zunächst auf den Jux herein, sehr zur Belustigung seiner Frau und seiner Töchter, wie er Loosli schrieb.
Zu Spittelers Stil als Briefschreiber bemerkte Dominik Riedo: «Spitteler rast in Gedanken voraus, und beim Schreiben hinkt er hinterher. Spitteler schreibt nicht immer ganze Sätze.» Anzumerken ist: Diese Briefe wurden aus dem Moment, aus einer bestimmten Situation heraus geschrieben, sie waren nie für die Veröffentlichung bestimmt.
Bleibt die Frage: Was hat man heute davon, diesen Briefwechsel zu lesen? Dominik Riedos Antwort: «Die Briefe enthalten sehr viel Kulturhistorisches und erlauben einen Blick hinter die Kulissen des damaligen Kulturbetriebs.» Und Erwin Marti ergänzte: «Sie sind auch psychologisch interessant und zeigen die Freundschaft eines ungleichen Paares.» Die Veranstaltung hatte am Freitag ein kleines, aber sehr interessiertes Publikum angezogen. Die anregende Einführung durch Erwin Marti und Dominik Riedo und die Präsentation einzelner Briefe lieferten vielerlei Gesprächsstoff beim anschliessenden Apéro.
Loosli, Spitteler und die Finanzen
sto. Als Journalist und freier Schriftsteller war Carl Albert Loosli ab und zu knapp bei Kasse und froh über einen Zustupf. Aber auch bei Spitteler war in finanzieller Hinsicht nicht alles Gold, was glänzt. In den folgenden Auszügen aus dem Briefwechsel (aus dem Buch «… von olympischen Höhen lachen») nehmen die beiden kein Blatt vor den Mund.
Spitteler an Loosli, 30. Oktober 1908
«Nehme auch das kleine Nachdruckhonorar an, obwohl ungern, und mich schämend, dass ich nicht sage ich lehne alles Honorar ab. Grund und Entschuldigung hiefür: Abgesehen von sehr hohen grossen Auslagen (eine Tochter in Pension in Paris, das kostet mich viel) muss ich ja immer bald hier bald dort mit einem oder mehreren Geldbillets nachhelfen Anderen die es nöthig, dringend nöthig haben. (…) Meine Buchhonorare sind ja einstweilen noch so gering, dass sie fast nicht in Betracht kommen. Sie reichen gerade aus, dass ich meine Steuern bezahlen kann, nicht weiter.»
Loosli an Spitteler, 21. April 1909
«Seit drei Monaten schufte ich daran herum, mir bei deutschen Zeitschriften und Verlegern durch Anbringen von Feuilletons und Lieferung von Uebersetzungen ein einigermassen lohnendes Absatzgebiet zu schaffen, allein bis jetzt waren die Erfolge mehr oder weniger jämmerlich. (…) Lauter Gründe, die mich dazu bewegen, Ihre Freundlichkeit sans phrases entgegenzunehmen und dafür zu danken.» (Spitteler wusste von der prekären Lage Looslis und hatte ihm fünfzig Franken zukommen lassen.)
Spitteler an Loosli, Anfang Oktober 1910
«Von Hodler malen lassen? Ja was glauben Sie denn von meinem bescheidenen Vermögen, das nicht einmal ausreicht unser Leben aus den Zinsen zu bezahlen, sondern so, dass ich Jahr für Jahr an der Londoner Börse ‹speculiern› (d. h. Geschäfte treiben) muss, um nachzuhelfen. Ich gestatte mir nur einmal im Jahr ein Buch zu kaufen von Gemälde bezahlen (noch dazu Hodler!) gar keine Rede.»
Loosli an Spitteler, 3. September 1913
«Verehrter lieber Freund, Sie waren vor einigen Wochen so freundlich, mir Ihre auch sonst so wertvolle Freundschaft auch noch dadurch zu beweisen, dass Sie mir Ihre Börse zur Verfügung stellten. Ich hatte gehofft, dass mir gerade die nächste Zeit mehr als zuvor Gelegenheit bieten werde, mich finanziell wieder zu erholen und bin nun einem gewissenlosen Verleger neuerdings zum Opfer gefallen, der mir mein verdientes und vertraglich zugesichertes Geld in schnöder Weise vorenthält, wahrscheinlich in der menschenfreundlichen Absicht mich auszuhungern und mich zu noch ärgerer Ausbeutung kirre zu machen. (…) In einigen Wochen werde ich für Arbeiten, die ich aber immerhin noch erst schreiben muss einiges Geld erhalten und dann wird‘s wohl ein wenig besser gehen, aber bis dahin sehe ich nicht mehr wo aus und wo ein. Wenn Sie also hundert Franken entbehren können, aber bitte nur, wenn Sie es können ohne sich selbst Unbequemlichkeiten zu schaffen, so bitte ich Sie darum. Ob und wann ich sie Ihnen zurückgeben kann weiss ich freilich nicht, hoffe jedoch, dass mir die nächsten Jahre einträglicher sein werden als die verwünschte Gegenwart.»
Carl Spitteler, Carl Albert Loosli: «… von olympischen Höhen lachen». Der Briefwechsel 1908–1924. Herausgegeben und mit Nachworten von Erwin Marti und Dominik Riedo. Chronos-Verlag, Zürich 2025. 333 Seiten.



