Bundesrat erschwert Schutz für Ukrainer
10.10.2025 Schweiz, BaselbietAb November wird zwischen Herkunftsgebieten unterschieden
Die Landesregierung verschärft die Regeln für Geflüchtete aus der Ukraine: Wer aus vermeintlich sicheren Regionen stammt, soll künftig keinen Schutzstatus S mehr erhalten und das normale Asylverfahren ...
Ab November wird zwischen Herkunftsgebieten unterschieden
Die Landesregierung verschärft die Regeln für Geflüchtete aus der Ukraine: Wer aus vermeintlich sicheren Regionen stammt, soll künftig keinen Schutzstatus S mehr erhalten und das normale Asylverfahren durchlaufen. Die Flüchtlingshilfe kritisiert den Entscheid. Zuvor übte auch schon der Kanton Baselland Kritik.
vs./sda. Ob Geflüchtete aus der Ukraine in der Schweiz den Schutzstatus S erhalten, hängt bald davon ab, woher sie kommen. Das hat der Bundesrat vorgestern entschieden. Mit der unterschiedlichen Behandlung je nach Herkunftsregion will die Landesregierung eine Forderung aus dem Parlament erfüllen. Die Räte überwiesen dazu eine Motion von Ständerätin Esther Friedli (SVP/SG). Je nach Herkunftsgebiet gilt eine Rückkehr dorthin als zumutbar oder als nicht zumutbar.
Zurzeit als zumutbar gilt eine Rückkehr in sieben Gebiete im Westen des Landes. Konkret sind es die Regionen Wolyn, Riwne, Lwiw, Ternopil, Transkarpatien, Ivano Frankivsk und Tscherniwzi. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) überprüft die Liste laufend aufgrund der Sicherheitslage. Die neue Regel gilt bereits ab dem 1. November. Angewendet wird sie bei allen Gesuchen, die ab diesem Stichtag geprüft werden, auch wenn sie vorher eingereicht wurden. Neue Regeln gelten ab dann auch für Heimat-Reisen: Wer den Status S hat, darf nur noch 15 Tage pro Halbjahr statt wie heute 15 Tage pro Quartal in die Ukraine reisen.
Die Unterscheidung nach Herkunftsregion gilt nicht für jene Menschen, die bereits mit Schutzstatus in der Schweiz leben. Auch bei Familienmitgliedern von Geflüchteten mit Status S, die noch in der Ukraine sind, wird die neue Bestimmung nicht angewendet.
Wie heute schon, prüft das SEM jedes Gesuch von Ukraine-Flüchtlingen einzeln. Gesuchstellende aus einem der Gebiete, in das eine Rückkehr zumutbar ist, werden künftig weggewiesen. Ist eine Wegweisung nicht zulässig oder aus individuellen Gründen nicht zumutbar, werden die Betroffenen vorläufig aufgenommen. Wer den Schutzstatus nicht erhält, kann zudem ein Asylgesuch stellen, muss aber das reguläre Verfahren durchlaufen. Ukrainerinnen und Ukrainer können heute ohne Visum und mit dem erforderlichen Ausweis für bis zu 90 Tage in die Schweiz einreisen. Wollen sie jedoch arbeiten, benötigen sie ein Visum.
Angriffe nahmen zu
Die Schweizer Flüchtlingshilfe (SFH) mit der Ormalingerin Miriam Behrens an der Spitze kritisiert die künftige unterschiedliche Behandlung der Ukraine-Flüchtlinge in der Schweiz. «Der Bundesrat beugt sich dem politischen Druck, anstatt seine Entscheidung an der tatsächlichen Bedrohungslage auszurichten», schreibt die SFH in einer Medienmitteilung. Nachdem SVP-Politikerin Friedli ihre Motion im März 2024 eingereicht habe, habe der Einsatz von Drohnen und Raketen in der Ukraine abseits der Front zugenommen, so die SFH weiter. Drohnenangriffe habe es in den vergangenen Monaten auch in den nun als sicher eingestuften Regionen gegeben. Überall seien Zivilpersonen umgekommen.
Auch der Kanton Baselland dürfte nicht ganz glücklich sein mit dem Entscheid des Bundesrats, den Schutzstatus S einzuschränken. Im Vernehmlassungsverfahren äusserte sich der Regierungsrat dahingehend, dass eine stärkere Konzentration «auf tatsächlich gefährdete Personen grundsätzlich nachvollziehbar» sei, in der praktischen Umsetzung jedoch erhebliche Risiken bestünden. So sei es in vielen Fällen kaum möglich, die genaue Herkunft einer ukrainischen Person zuverlässig festzustellen. Zudem befürchtete der Regierungsrat längere Verfahren und einen Anstieg der Pendenzen beim SEM. Auch betonte sie, dass der rechtliche und humanitäre Umgang mit Geflüchteten aus «sicheren Gebieten» in der Ukraine geregelt werden müsse.
EU kennt keine Einschränkung
Grundsätzlich steht der Bundesrat hinter dem Modell des Schutzstatus S. Er will diesen bis März 2027 weiterführen. Erstmals angewendet wurde der Schutzstatus Anfang März 2022, in der Folge des anhaltenden russischen Angriffs auf die Ukraine. Seither hat der Bundesrat den Schutzstatus mehrmals verlängert.
Das tat er am Mittwoch nun ein weiteres Mal. Dass sich die Lage in der Ukraine nachhaltig stabilisiere, sei nicht absehbar, trotz internationaler Friedensbemühungen, so der Bundesrat. Eine sichere Rückkehr sei mittelfristig nicht realistisch. Bis heute sind laut UNO mindestens rund 14 000 ukrainische Zivilisten wegen des Krieges gestorben. Hinzu kommen enorme Verluste in den Reihen der Armee. Dem Bundesrat ist es wichtig, beim Status S im Einklang mit der EU vorzugehen. Deren Mitgliedstaaten beschlossen schon im Sommer, den Schutzstatus bis zum März 2027 zu verlängern – allerdings ohne geografische Einschränkung.
Verlängert hat der Bundesrat auch die Unterstützung für Menschen mit Status S. Die Kantone erhalten vom Bund weiterhin 3000 Franken pro Kopf und Jahr für die Integration der Geflüchteten. Das Geld ist für Sprachkurse sowie für den Zugang zu Ausbildungen und zum Arbeitsmarkt vorgesehen.
Der Kanton Baselland hat prozentual vergleichsweise viele Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen. Von Kriegsbeginn bis Ende 2024 waren es insgesamt knapp 3400 Personen. Allerdings leben inzwischen nicht mehr alle davon im Baselbiet. Wie die «bz Basel» gestern berichtete, erfüllen aktuell lediglich 15 der 86 Gemeinden die vorgesehene kantonale Flüchtlings-Aufnahmequote von 2,6 Prozent der Wohnbevölkerung.