Herr Gross, Sie haben gesagt, dass die Abstimmungsbeteiligung in der Schweiz seit Jahren zunehmend sei. Wie lässt sich das begründen? Mit der direkten Demokratie?
Andreas Gross: Gewiss. Viele Bürgerinnen und Bürger partizipieren gern. Detaillierte ...
Herr Gross, Sie haben gesagt, dass die Abstimmungsbeteiligung in der Schweiz seit Jahren zunehmend sei. Wie lässt sich das begründen? Mit der direkten Demokratie?
Andreas Gross: Gewiss. Viele Bürgerinnen und Bürger partizipieren gern. Detaillierte Untersuchungen haben gezeigt, dass über 80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer mindestens einmal während einer vierjährigen Legislaturperiode abstimmen gehen. Nicht immer, aber immer, wenn sie von der Bedeutung der Vorlage überzeugt sind und diese auch verstehen.
Mit mehr Geld können Abstimmungen beeinflusst werden. Lassen sich Abstimmungen kaufen?
Während einer Abstimmungskampagne gilt es, Aufmerksamkeit zu erregen für die eigene Argumentation. Da ist Geld sehr hilfreich. Die sehr ungleich verteilten Ressourcen symbolisieren die unfairen Bedingungen, die den politischen Wettbewerb in der Schweiz prägen. Dennoch lassen sich Volksabstimmungen nicht einfach kaufen. Doch die Geschichte zeigt, dass mit mehr Geld die Ablehnung eines Gesetzes in einem Referendum eher erreicht werden kann, als wenn man über das kleinere Budget verfügt.
Kürzlich äusserten Sie sich auch zum National- und zum Ständerat. Sie sagten, dass das Parlament ausserordentlich käuflich sei. Wie begründen Sie den Vorwurf?
Fast alle Mitglieder der Gesundheitskommissionen im National- und Ständerat sind von einer der wichtigsten Branchen der «Gesundheits-Industrie» bezahlt, entweder von einzelnen Kassen, deren Verbänden, den Spitälern, den Ärzten oder der Pharma. Mehr als zwei Drittel der Schweizer Parlamentarier aller Parteien lassen sich von den mehr als 1000 kleineren und grösseren Interessen-Organisationen in Bern bezahlen. Albert Rösti hatte vor seiner Wahl in den Bundesrat als Nationalrat beispielsweise 18 solcher Posten, die ihm 350 000 Franken eingebracht haben sollen. Damit kompensieren sie die pekuniären Defizite einer zur nationalen Lebenslüge verkommenen «Miliz-Kultur». Der Preis dieses «Lobby-Parlaments»: Die Parlamentarier sind nicht mehr dem Allgemein-Interesse verpflichtet, sondern priorisieren die Interessen jener, die sie bezahlen.
Wünschten Sie sich ein Berufsparlament?
Die Bundesparlamentarier sollten so anständig bezahlt werden wie beispielsweise die Gymnasiallehrer. Dann darf man ihnen die Übernahme von Posten von Lobby-Gruppen verbieten. Die direkte Demokratie wird dafür sorgen, dass auch ein solches Parlament den Kontakt mit den Bürgern nicht verliert, diesen immer wieder zuhört und deren Interessen mehr einfliessen lässt in die Gesetzgebung als die Interessen der Verbände und Lobbys.
Interview Willi Wenger