Bürger und Brandstifter
11.11.2025 Persönlich«Diesen Bauernhof haben wir auch angezündet», höre ich und bin plötzlich hellwach. Längere Zeit habe ich zwar am Tisch gesessen, aber meine Gedanken hatten sich irgendwo tief in meinen Hirnwindungen verloren. Irgendwo zwischen den Siegchancen meines Teams im American ...
«Diesen Bauernhof haben wir auch angezündet», höre ich und bin plötzlich hellwach. Längere Zeit habe ich zwar am Tisch gesessen, aber meine Gedanken hatten sich irgendwo tief in meinen Hirnwindungen verloren. Irgendwo zwischen den Siegchancen meines Teams im American Football, dem nächsten Training meines Volleyballteams und den Zeitfenstern, für die es noch Hütedienst für die Kinder zu organisieren gilt. Die Sachen halt, die mein Gehirn üblicherweise recht zuverlässig auslasten.
Aber dieser eine Satz holt mich sofort zurück an den Tisch. Wer hat hier einen Bauernhof angezündet? Mir ist ja bewusst, dass ich nicht alle am Tisch gut kenne. Ich bin am Helferessen der Bürgergemeinde für den vergangenen Banntag. Ich treffe hier Menschen, die ich üblicherweise genau einmal im Jahr sehe. Ich kenne einige nur mit Hut, Mäien und Wanderschuhen. Aber sind hier Brandstifter?
Die Bürgergemeinde ist für mich eine spezielle «Bubble»: Die Menschen, die sich hier treffen, können komplett unterschiedliche Hintergründe, Beschäftigungen, politische Ansichten, Alter und so weiter haben. Sonst bewege ich mich in der Familie, dem «Volksstimme»-Team oder in Gruppen, in denen alle ähnlich alt sind, alle dieselbe Sportart ausüben oder alles junge Eltern sind. Bei der Bürgergemeinde ist das vereinende Merkmal nur der Heimat- und für die meisten der Wohnort.
Heute geht es weder um Resultate und Spielpläne für die Zeitung noch um Trainingsschwerpunkte und Saisonziele für die Volleyballer noch um Windeln und Schlafstrategien für die Kinder. Mit den beiden Ingenieuren am Tisch werden Fragen zu Bauprojekten diskutiert. Mit dem Ex-TV-Präsidenten und dem BSKD-Angestellten geht es um die Sportpreisverleihung. Und alle wollen vom Polizisten wissen, was es bedeutet, wenn er diese Nacht «zweites Pikett» für die Spurensicherung ist. Seine Frau fügt hinzu, dass auch ihr Handy im Notfall klingle, wenn ihr Mann zu langsam ausrücke.
Und dann ist da Chläusel (Name der Redaktion bekannt). Er diskutiert heftig mit dem Polizisten, ob er jetzt den Hof von dessen Eltern angezündet habe oder nicht. Ich kenne Chläusel, wer kennt ihn nicht. Aber länger geredet habe ich noch nie mit ihm. Das war ein Versäumnis, wie ich jetzt merke. Nicht weil ich Anzeige wegen Brandstiftung erstatten müsste, nein: Chläusel war bei der Feuerwehr und «früher konnte man eben Bauernhöfe noch anzünden, wenn sie abgerissen werden sollten». Das hat er offenbar häufiger gemacht, denn jeden zweiten Bauernhof, der zur Sprache kommt, will er angezündet haben.
Ich lasse mich informieren, wie man denn einen Bauernhof anzündet und was am Ende übrig bleibt – es sei ein Subaru-Schlüssel und der Reissverschluss einer Helly-Hansen-Jacke. Item, wir lachen viel und laut – und in meine Gedanken verabschiede ich mich nach einem unterhaltsamen Abend erst wieder, als ich schon zu Hause bin.
Sebastian Wirz, Sportredaktor «Volksstimme»

