Braucht das Bewusstsein ein Gehirn?
14.08.2025 GesellschaftSind wir Menschen wirklich die einzigen Lebewesen, die ein Bewusstsein haben? Menschen können sich Gedanken machen über das Bewusstsein und es auch ausdrücken. Deshalb gibt es eine Unzahl von Meinungen zum Bewusstsein, und diese drehen sich mehrheitlich um unser Ich- oder ...
Sind wir Menschen wirklich die einzigen Lebewesen, die ein Bewusstsein haben? Menschen können sich Gedanken machen über das Bewusstsein und es auch ausdrücken. Deshalb gibt es eine Unzahl von Meinungen zum Bewusstsein, und diese drehen sich mehrheitlich um unser Ich- oder Selbstbewusstsein und um Denkmechanismen, die wir Menschen für uns beanspruchen. Über diesen für uns so wichtigen Teil habe ich schon geschrieben. In diesem Artikel geht es um etwas Kleineres, um Elemente des Bewusstseins, die auch unser Bewusstsein ausmachen. Das sind gefühlte Erfahrungen eines Lebewesens, die zu seinen Gunsten ausgewertet werden.
In der Natur treffen wir diese Anteile ständig bei verschiedensten Kreaturen. Insekten beeindrucken uns durch ihre Organisation im Zusammenleben, Bakterien und Pilze durch ihre Wandlungsfähigkeit oder ihre Überlebensfähigkeit. Wenn wir darüber sprechen oder nachdenken, benutzen wir oft unsere menschentypischen Ausdrucksweisen. Wir sprechen von Ameisen-«Staaten», von Bakterien-«Befall» oder, wenn wir Bakterien zur Produktion von Medikamenten nützen, von «Hilfe» durch Bakterien. Pilze «unterstützen» andere Pflanzen beim Überleben. Reden wir dann über elementares Bewusstsein, das auch in anderen Lebewesen existiert?
Wenn eine Pflanze keimt, «guckt» sie aus dem Boden. Was denken wir uns dabei? Auch einer menschlichen Eizelle muten wir kaum ein Bewusstsein zu. Dann aber, ab einem gewissen Moment, soll unbewusste Materie unmittelbar fähig sein, etwas zu produzieren, was wir Bewusstsein nennen. Wie kann die vorher unbewusste Materie plötzlich gefühlte Erfahrung sammeln? Schliesslich bestehen wir aus Teilchen, die sich nicht von denen unterscheiden, die in unserem Universum herumwirbeln; die Atome, aus denen unser Körper besteht, waren einst Bestandteile unzähliger Sterne in der Vergangenheit unseres Universums. Sie sind Milliarden von Jahren gereist, um hier zu landen. Welche besondere Konstellation braucht es, um diese Materie zu befähigen, alle Voraussetzungen zu erfüllen, um eine Entwicklung einzuleiten zu etwas, was uns schliesslich als Mensch ausmacht?
Zunächst gibt es, was das Bewusstsein betrifft, nichts, und dann von einem Moment auf den andern gibt es etwas. Das Geheimnis liegt in diesem Übergang. Woher kommt die Kraft für diese Entwicklung? So minimal dieses anfängliche Etwas auch sein mag, besteht offenbar die Möglichkeit von Erfahrung in einer unbelebten Welt und sie entsteht in einer vorerst unbekannten Dunkelheit und schreitet immer weiter voran: In der mikroskopisch kleinen Ansammlung von Zellen, aus denen ein menschlicher Frühkeimling besteht, ist gefühlte Erfahrung wohl nur in geringem Mass möglich. Aber mit der Zeit vermehren sich diese Zellen und werden langsam zu einem menschlichen Baby, das Veränderungen des Lichts wahrnimmt und die Stimme seiner Mutter erkennen kann, also bereits im Mutterleib entwickelt sich ein Bewusstsein. Auch wenn die werdende Mutter noch nicht viel von der Frucht spürt, nimmt sie nicht an, dass diese bewusstlos ist.
Wenn wir durch Ultraschallbilder sehen, dass der Embryo sich bewegt, haben wir das Gefühl, das werdende Kind winke, wenn es den Arm bewegt. Nach der Geburt, beim Heranwachsen, häufen sich Erfahrungen. Das Kind muss noch durch Erziehung geschützt werden, Gefahren erkennen können. Danach entwickelt es mehr Persönlichkeit, Reife und Ausdruck.
Kenntnisse über das menschliche Bewusstsein stammen stets aus Selbstaussagen, und diese können nicht mit Sicherheit von einem äusseren Beobachter bestätigt werden. So sind wir gezwungen, eine von zwei Annahmen zu treffen: Entweder entstehen gefühlte Erfahrungen aus vorher unbewussten Prozessen, oder das Bewusstsein könnte eine Eigenschaft von etwas noch Grundlegenderem sein, das auch in der Materie schlummert. Also eine eigentliche Beseelung der Natur, welche die Kapazität hat, Organismen die Fähigkeit zur Auswertung von gefühlter Erfahrung zu verleihen. In diese Richtung gehen Erkenntnisse von Quantenphysikern, die Regeln im Verhalten der Quanten sehen, die solche Vorgänge noch am ehesten erklären.
Wir haben die Intuition, dass etwas, das sich wie wir Menschen verhält, ein Bewusstsein hat. Hat deine Partnerin ein Bewusstsein? Ja, sicher. Hat dein Schuh ein Bewusstsein? Sicher nicht. Haben ein Fadenwurm, eine Ameise, eine Pflanze ein Bewusstsein? Da wird die Antwort schon schwieriger. Sie alle erwerben während ihres Daseins mit Sensoren Erfahrung, die sie für ihr Überleben einsetzen. Verglichen mit dem menschlichen Bewusstsein ist es viel weniger komplex, jedoch für sie ebenso wirksam, sogar ohne eigentliches Gehirn in unserem Sinn.
Man kann die Frage stellen: Ist Bewusstsein ein grundlegenderer Aspekt des Universums als die Wissenschaften bisher angenommen haben, so wie etwa die Schwerkraft oder die elektrische Spannung? Wenn wir diese Möglichkeit durchdenken, wo landen wir dann? Das würde bedeuten, dass der Platz, den beispielsweise ein Stein einnimmt, Bewusstsein beinhaltet, weil dort Materie vorhanden ist.
Wir können uns nicht vorstellen, wie sich dieser Bereich aus Teilchen anfühlt. Was wir mit ziemlicher Sicherheit sagen können, ist, dass er keine menschenähnliche Erfahrung hat oder auch nur Gedanken hätte. Wir erwarten nicht, dass ein Stein aufsteht und geht oder singt – das ist nicht das, was Atome in einer solchen Konfiguration tun. Sie könnten es nur, wenn Leben in ihnen wäre. Bewusstsein und Leben sind offenbar eng verbunden, beides ungeklärte Phänomene.
Ist es aber auch möglich, dass neben der bewussten Erfahrung, die ich als Person empfinde, eine viel schwächere Erfahrung jeder Zelle oder jedes Neurons in meinem Körper wirkt? Im Sinn von Bewusstsein im kleinen Stil. Könnte es auch sein, dass im Universum buchstäblich Bewusstseinsinhalte herumwimmeln, die aufblitzen und verschwinden, sich durch Erinnerung verbinden, sich trennen, überlappen, fliessen, auf eine Weise, die wir uns nicht vorstellen können – und dies alles unter physikalischen Gesetzen, die wir auch noch nicht verstehen? Dies würde auch eine Erklärung dafür liefern, wie wir mit anderen Lebewesen in unserer Umgebung interagieren: mit Mitmenschen, Tieren oder Pflanzen, die auf uns positiv wirken (uns aber auch bedrohen können).
Wichtige Hinweise darauf, dass Bewusstsein in der Natur flexibler eingebaut ist als wir uns vorstellen, sind Erkenntnisse, dass wir in der Gruppe mehr erreichen (oder zerstören) können, dass sich ein Zeitgeist entwickeln kann oder dass Bewusstsein fliessend weitergegeben wird. Solange Leben besteht, lässt sich Bewusstsein nicht einfach löschen. Für mich sieht es so aus: Unser und auch das Bewusstsein anderer Lebewesen wirkt über die jeweilige individuelle Grenze hinaus.
Max Handschin