Blinken, bremsen und am Handy hängen
15.08.2025 BaselbietChrista Dettwiler
Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, dennoch ist der hiesige Strassenverkehr immer für eine Überraschung gut. Wir debattieren regelmässig darüber, ob Inder oder Chilenen die schlechtesten Autofahrer der Welt sind. Zwar ...
Christa Dettwiler
Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, dennoch ist der hiesige Strassenverkehr immer für eine Überraschung gut. Wir debattieren regelmässig darüber, ob Inder oder Chilenen die schlechtesten Autofahrer der Welt sind. Zwar herrscht in der Regel nicht viel Verkehr auf den Landstrassen, aber der hat es in sich. Man muss einfach immer auf alles gefasst sein: auf galoppierende Schweine, verirrte Kühe, vorwitzige Hühner, streunende Pferde und Schafe, im Strassengraben badende Enten und natürlich auf die Hunde, die im Gebüsch auf vorbeifahrende Autos lauern.
Gefasst muss man auch auf das erratische Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer sein. Bis ich endlich begriffen habe, dass Fahrerinnen, die links abbiegen wollen, rechts blinken, um die Autos hinter sich vorbeizulassen, hat es gedauert. Oder aber sie schalten den Warnblinker ein, um abzubiegen. Oder es wird gar nicht geblinkt. Alle Varianten sind möglich. Einfahrten sind ebenfalls voller Tücken. Entweder schiesst ein Auto ohne Rücksicht auf Verluste von rechts oder links auf die Fahrbahn oder die Lenkerin oder der Lenker wartet, bis man ganz nah ist und kriecht dann auf die Strasse, dass einem nur noch die Vollbremsung bleibt.
Die Chilenen sind in der Regel keine Raser, ganz im Gegenteil. Sie tuckern gemütlich durch die Welt. Am Berg vergessen sie die Gangschaltung und kriechen geradezu die Steigung hoch, überholt wird mit ein, zwei km/h mehr, vor jeder Kurve wird konsequent gebremst. Vielleicht hat das mit den Schlaglöchern zu tun, die sich scheinbar über Nacht auf den Strassen bilden. Jetzt, während der Regenzeit, nehmen sie Ausmasse an, in denen ein Kleinwagen verschwinden könnte. Von Zeit zu Zeit werden sie mit Sand und Kies aufgefüllt, nur um am nächsten Morgen wieder da zu sein.
Vielleicht liegt es auch am Zustand der meisten Autos. Mit Bindfaden, Plastikfolie und Gottvertrauen notdürftig zusammengehalten, verkehren hier die abenteuerlichsten Karossen auf den Strassen. Obwohl jedes Fahrzeug einmal jährlich zur technischen Revision antreten muss. Vielleicht liegt’s aber auch an der chilenischen Passion, dauernd am Handy zu hängen. Natürlich ist das auch hierzulande verboten, aber wen kümmert’s? Denn Freisprechanlagen sind ebenfalls verboten: zu gefährlich.
Verkehrsregeln gibt es wahrscheinlich, aber kennen tut sie keiner. Geschwindigkeitsbegrenzungen, doppelte Sicherheitslinien, Vorfahrtsschilder et cetera sind zwar vorhanden, werden aber konsequent ignoriert. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als dauernd die Augen offen zu halten und situativ zu handeln. Seit Kurzem ist übrigens ein neues Gesetz in Kraft: Alle Autoscheiben, plus Rückspiegel müssen mit dem Autokennzeichen graviert sein. Das, um einer weiteren chilenischen Passion vorzubeugen …
Die Journalistin Christa Dettwiler ist 2022 gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau von Rünenberg nach Chile ausgewandert. Sie erzählt regelmässig von ihrem Alltag.