Blauzungen krankheit ist zurück
03.09.2024 BaselbietDie Blauzungenkrankheit ist vor wenigen Tagen bei zwei Schafen im Kanton Jura und bei einem Schaf im Kanton Solothurn nahe der Baselbieter Grenze nachgewiesen worden. Ein Impfstoff gegen die aktuelle Virusvariante ist noch nicht verfügbar.
tho/sda. Die Ansteckung ...
Die Blauzungenkrankheit ist vor wenigen Tagen bei zwei Schafen im Kanton Jura und bei einem Schaf im Kanton Solothurn nahe der Baselbieter Grenze nachgewiesen worden. Ein Impfstoff gegen die aktuelle Virusvariante ist noch nicht verfügbar.
tho/sda. Die Ansteckung eines Schafs ist in Metzerlen-Mariastein im solothurnischen Bezirk Dorneck-Thierstein und damit nahe der Baselbieter Kantonsgrenze festgestellt worden, wie die Solothurner Kantonstierärztin Chantal Ritter auf Anfrage der «Volksstimme» sagte. Zusammen mit zwei jüngst im Kanton Jura entdeckten Fällen handelt es sich um die ersten bestätigten Blauzungenkrankheit-Infektionen mit dem Serotyp 3 (BTV-3) in der Schweiz, wie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) am Freitag mitteilte. Das BLV bereite nun gemeinsam mit den Kantonstierärztinnen und -ärzten die notwendigen Massnahmen vor; eine entsprechende Verordnung wird dieser Tage erwartet. Bei einem Rind in der Waadt war zuvor überdies der bereits bekannte Virus-Serotyp 8 (BTV 8) entdeckt worden.
Die Krankheit verbreite sich rasch, warnt die Solothurner Kantonstierärztin Chantal Ritter. Bereits gebe es im Schwarzbubenland weitere Verdachtsmeldungen – so auch aus Himmelried. Bis die Krankheit im Baselbiet ankomme, sei es wohl nur noch eine Frage von Tagen. Der Druck vor allem aus dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg sei riesig: Dort gebe es derzeit unzählige Fälle.
Die Blauzungenkrankheit wird durch kleine Stechmücken, sogenannte Gnitzen, verbreitet. Die Infektion mit dem neu in der Schweiz aufgetretenen Untertyp 3 verursache insbesondere bei Schafen schwere Symptome, schreibt das BLV. Dazu gehören Fieber, Entzündungen der Schleimhäute, Ödeme und Lahmheit. Die Zunge – daher der Name der Krankheit – kann anschwellen und aus dem Maul hängen. Die Sterblichkeit kann laut Angaben des Bundes sehr hoch sein. Bei Rindern verlaufe die Krankheit häufig etwas milder, aber auch sie könnten teilweise starke Symptome und einen Rückgang der Milchleistung zeigen. Rinder, bei denen die Erkrankung unentdeckt bleibt, sind während längerer Zeit ein «Reservoir» für das Blauzungenvirus: Die blutsaugenden Mücken nehmen den Erreger von diesen Tieren auf und verbreiten ihn weiter. Träger können alle Paarhufer mit Ausnahme von Schweinen sein.
Meldepflicht
Die Blauzungenkrankheit ist laut BLV eine meldepflichtige Tierseuche. Der Erreger ist für Menschen nicht gefährlich. Auch Fleisch und Milchprodukte können laut Angaben des Bundes ohne Bedenken konsumiert werden. Übertragen wird die Krankheit ausschliesslich durch Mücken.
Die Variante BTV-3 breitet sich seit 2023 in Europa aus und hat nun von Norden her die Schweiz erreicht. Die Blauzungenkrankheit wurde 2007 erstmals in der Schweiz festgestellt. Damals war jedoch die Variante Serotyp 8 (BTV-8) in Umlauf. Im Anschluss führte die Eidgenossenschaft zwischen 2008 und 2010 ein umfassendes Impfprogramm durch, das den gewünschten Erfolg brachte. Lange Zeit herrschte Ruhe um die Krankheit.
Der aktuelle, aggressivere Erreger stellt Behörden und Landwirtschaft vor neue Herausforderungen. Zwar gibt es drei Impfstoffe gegen BTV-3. Davon sei jedoch keiner in der Schweiz oder in der EU zugelassen, so das BLV. Im Gegensatz zur Schweiz gebe es in der EU jedoch eine gesetzliche Grundlage, die es den Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen erlaube, die Anwendung eines nicht zugelassenen Impfstoffs rasch zu genehmigen.
In der Schweiz könnten Impfstoffhersteller indessen eine Zulassung beantragen, die vom Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic priorisiert und beschleunigt behandelt würde. Das Problem dürfte mit der Impfung allerdings nicht ganz aus der Welt geschafft sein: Die Impfstoffe können die klinischen Symptome lediglich verringern, sie verhindern jedoch nicht die Infektion und die Weiterverbreitung des Virus.
Schutz vor Mücken
Tiere vollständig vor Mücken zu schützen, sei kaum möglich, so das BLV. Netze und physische Barrieren können aber die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass Mücken die Tiere stechen und das Virus verbreiten. Der Einsatz von Insektiziden könne zusätzlich helfen, die Anzahl der Mücken in der Umgebung der Tiere zu reduzieren. Zudem wird von der zuständigen Stelle des Bundes empfohlen, stehendes Wasser zu entfernen, da dies ein idealer Brutplatz für Mücken ist.
In der Schweiz wird als Folge der entdeckten Fälle nun wieder eine Blauzungenkrankheits-Zone eingerichtet. Damit bleibt der Tierverkehr im Inland ohne Einschränkungen möglich, wie das BLV schreibt. Doch der Export in Länder ohne Fälle von Blauzungenkrankheit ist nur noch mit Auflagen möglich. Davon betroffen sind auch Samen, Eizellen und Embryonen. Für den Kanton Baselland blieben die neuen Zonen-Vorschriften ohne grosse Auswirkungen, heisst es auf Anfrage beim kantonalen Amt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Ein grosser Austausch von Nutztieren über die Landesgrenze hinweg finde hier ohnehin nicht statt.
Schnelle Verbreitung
tho./vs. Die Gnitzen, also die 1 bis 3 Millimeter grossen blutsaugenden Mücken, welche die Blauzungenkrankheit verbreiten, sind zwar keine guten Flieger, können aber durch Winde innerhalb relativ kurzer Zeit bis zu 200 Kilometer weit verfrachtet werden. Dadurch kann das Virus sozusagen ohne Vorwarnung in einer Region auftauchen.
Das Blauzungenvirus kommt auf allen Kontinenten vor. In Europa breitete es sich in den Jahren nach 2000 vom Süden bis nach Nordeuropa aus. In der Schweiz wurde der erste Fall einer durch den Erreger BTV-8 ausgelösten Blauzungenkrankheit im Oktober 2007 registriert. Bis Ende 2011 wurden 76 Fälle verzeichnet, in ganz Europa Zehntausende.
Die Schweiz führte von 2008 bis 2010 ein umfangreiches Impfprogramm durch. 2008 war die Impfung für alle Rinder, Schafe und Ziegen während dreier Monate obligatorisch. 2009 und 2010 mussten nur noch Rinder und Schafe geimpft werden.
Was die Ankunft des neuen Virus-Typs für die Nordwestschweiz bedeutet, lasse sich derzeit noch nicht abschätzen, sagt Kantonstierärztin Marie-Louise Bienfait gegenüber der «Volksstimme». Begünstigt worden sei die Ausbreitung des Virus in diesem Sommer durch die häufig feuchtwarme Witterung, die ideal für die Vermehrung der Gnitzen sei. Bienfait rechnet damit, dass mit dem Rückgang der Temperaturen im Herbst das Ansteckungsrisiko für die Tiere rasch sinken wird.