«Bereiten uns auch auf einen Mangel vor»
12.01.2024 BaselbietBald zu wenig Lehrer? Bildungsdirektorin Monica Gschwind (FDP) spricht über Gegenmassnahmen
Ein drohender Mangel an Lehrkräften, eine unbefriedigende Situation bei den Primarschulen und leseschwache Schüler – in der Bildungspolitik steht das Baselbiet vor ...
Bald zu wenig Lehrer? Bildungsdirektorin Monica Gschwind (FDP) spricht über Gegenmassnahmen
Ein drohender Mangel an Lehrkräften, eine unbefriedigende Situation bei den Primarschulen und leseschwache Schüler – in der Bildungspolitik steht das Baselbiet vor verschiedenen Herausforderungen. Die zuständige Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) erklärt, wie sie diese anpacken will.
Janis Erne
Frau Gschwind, 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler im können nicht gut genug lesen. Der Kanton will deshalb bis 2028 rund 1,8 Millionen Franken in die Leseförderung investieren. Was erhoffen Sie sich davon?
Monica Gschwind: Wir streben an, dass alle Jugendlichen am Ende der Volksschule die Grundanforderungen erfüllen. Denn lesen zu können ist unerlässlich, um ein erfolgreiches Leben zu führen – sei es privat, beruflich oder gesellschaftlich. Primär soll die Freude am Lesen geweckt werden.
Im Baselbiet haben alle Schüler eigene Tablets. Experten und der Lehrerverband kritisieren, dass diese die Kinder und Jugendlichen zu sehr ablenkten. Zudem lasse sich das Lesen besser lernen, wenn von Hand geschrieben wird.
Persönlich finde ich, dass das Schreiben von Hand etwas vom Wichtigsten ist. Selbst schreiben und lesen zu können – vom Kochrezept über den Beipackzettel eines Medikaments bis hin zum Roman – ist essenziell. Gleichzeitig müssen wir unsere Kinder auf das Leben in einer digitalen Welt vorbereiten. Dazu zählt der Umgang mit Technologien und Geräten. Sie sollen auch ein Bewusstsein für die Risiken und Gefahren im digitalen Raum entwickeln – Stichwort Fake News. Tablets und digitale Lehrmittel ersetzen den analogen Unterricht aber nicht, sie ergänzen ihn. An jeder Schule gibt es seit 2022 speziell ausgebildete Lehrpersonen, die ihre Kolleginnen und Kollegen beim sinnvollen Einsatz der digitalen Lehrmittel im Unterricht coachen und unterstützen.
Wo setzt das Programm zur Leseförderung an?
Fünf von sieben Pilotschulen, an denen Massnahmen zur Leseförderung entwickelt und ausprobiert werden, sind Primarschulen. Dort liegt also der Fokus. Aber auch in der Sekundarschule kann die Freude am Lesen noch geweckt werden. Nach Möglichkeit beziehen die Schulen auch die Gemeinde-, Schul- oder Kantonsbibliothek ein. Die Pilotschulen tauschen sich regelmässig aus. Ihre Erkenntnisse sollen später an allen Baselbieter Volksschulen in den Unterricht einfliessen.
Eine Möglichkeit, um mehr Platz fürs Lesen freizuschaufeln, wäre die Abschaffung des Frühfranzösisch. Das Sprachenkonzept wird derzeit überprüft. Wann ist mit Resultaten zu rechnen?
Als die Baselbieterinnen und Baselbieter 2018 gegen die Abschaffung des Frühfranzösisch stimmten, kündigten wir bereits an, eine Evaluation durchführen zu wollen. Nun ist der richtige Zeitpunkt da. Wir haben ein entsprechendes Konzept erarbeitet.
Wie sieht dieses aus?
Zum einen analysieren wir die Ergebnisse verschiedener nationaler und internationaler Leistungstests, um zu schauen, wie unsere Kinder bei den Sprachen abschneiden. Zum anderen verschaffen wir uns nochmals einen Überblick über die vielen wissenschaftlichen Studien, die es zum Thema gibt. Ausserdem befragen wir Schulabgänger, Lehrpersonen und Eltern. So wollen wir eine faktenbasierte Grundlage für eine ergebnisoffene Diskussion schaffen.
Bis wann soll diese Auslegeordnung vorliegen?
Derzeit wird das Konzept für die Überprüfung des Sprachenkonzepts ausgearbeitet. Mit Ergebnissen, die als Erstes dem Bildungsrat vorgelegt werden, ist vermutlich Anfang 2026 zu rechnen. Wichtig ist: Es soll keine Schnellschüsse geben.
Der Lehrplan ist das eine, die Lehrpersonen sind das andere. Mit ihrer Arbeit steht und fällt der Lernerfolg der Schüler. Nun beklagen sich viele Lehrpersonen, nicht mehr genügend Zeit für den Unterricht zu finden. Können Sie das verstehen?
Der Lehrerberuf beinhaltet seit jeher nicht nur das Unterrichten – Elterngespräche, administrative Arbeiten und die eigene Weiterbildung gehören auch dazu. Aber klar: Die Gesellschaft ist im Wandel und Veränderungen bekommen die Schulen als Erste zu spüren. Der Lehrerberuf ist kein einfacher, aber umso spannender.
Eine grosse Herausforderung für Lehrpersonen sind lernschwache und verhaltensauffällige Kinder. Gemäss Aussage von Ihnen vor dem Lehrerverein Baselland gibt es zu wenig Sonderschulplätze. Was unternimmt der Kanton dagegen?
Vorweg: Man muss differenzieren; lernschwach und verhaltensauffällig ist nicht das Gleiche. Zudem gibt es Kinder mit psychischen Problemen oder körperlichen Beeinträchtigungen. Sie alle bedürfen jeweils individueller Lösungen. In den vergangenen Jahren haben wir schon viele neue Sonderschulplätze geschaffen. Jetzt schauen wir, wo wir noch Bedarf haben. Erschwerend ist der Fachkräftemangel im heil- und sonderpädagogischen Bereich.
Neu sollen Zivildienstleistende auch in der Sekundarschule zum Einsatz kommen und Lehrpersonen unterstützen.
Auf Primarstufe handhaben wir dies bereits so, und zwar mit grossem Erfolg. Die jetzt angedachte Ausweitung ist ein Pilotprojekt, um herauszufinden, ob auch Sekundarlehrpersonen von Zivildienstleistenden administrativ und organisatorisch entlastet werden könnten. Es steht aber noch am Anfang. Die ersten Zivildienstleistenden werden frühestens im kommenden Schuljahr starten. Wichtig ist, dass die Lehrpersonen dadurch auf keinen Fall zusätzlich belastet werden.
Um dem Lehrpersonenmangel entgegenzutreten, sind weitere Bestrebungen im Gange. Wo sehen Sie am meisten Potenzial?
Alle Massnahmen sind Mosaiksteinchen. Wir müssen uns bewusst sein: Der demografische Wandel betrifft die Schulen doppelt. Einerseits werden in den nächsten Jahren zahlreiche Lehrpersonen pensioniert und zu wenige rücken nach. Andererseits werden die Schülerzahlen weiter ansteigen. Hinzu kommt, dass viele andere Branchen ebenfalls um Fachkräfte buhlen. Wir stehen in Konkurrenz mit ihnen und müssen schauen, dass möglichst viele Menschen den Lehrerberuf ergreifen.
Die Löhne anzuheben, wäre eine Möglichkeit.
Auf Sekundarstufe I und II sind wir sehr konkurrenzfähig. Bei den Primarlehrpersonen hinken wir beim Einstiegslohn und beim Maximallohn den Nachbarkantonen ein wenig hinterher, ansonsten sind wir schweizweit gesehen auch auf dieser Schulstufe gut mit dabei.
Das Baselbiet könnte lohntechnisch zur nationalen Spitze aufschliessen und sich so von den Mitbewerbern abheben.
Ein hoher Lohn alleine reicht nicht, um mehr Lehrpersonen anzulocken. Bei der Stellenauswahl spielen weitere Faktoren mit. Im Baselbiet haben wir einiges zu bieten: zum Beispiel eine vergleichsweise tiefe Anzahl Pflichtlektionen oder eine Entlastungslektion für Klassenlehrpersonen. Noch höhere Löhne könnten in der aktuellen Situation auch kontraproduktiv sein und den Anreiz schaffen, das Pensum zu reduzieren. Dann hätten wir unter Umständen einen noch grösseren Mangel …
Wie wird die Ausbildung attraktiver gestaltet?
Für die Primarstufe existiert seit Kurzem die Möglichkeit, berufsbegleitend zu studieren. Auch gibt es ein Mentoringprogramm: Erfahrene Lehrpersonen unterstützen Berufseinsteiger. Ab 27 Jahren können sich Menschen mit Berufserfahrung zudem als Quereinsteigende zur Lehrperson ausbilden lassen. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch auf die Situation vorbereiten, dass irgendwann tatsächlich zu wenig Lehrpersonen vorhanden sein werden.
Wie machen Sie das?
Im Zentrum der Überlegungen stehen aktuell schulorganisatorische Massnahmen und Innovationen. Es geht um die Frage, ob und wie man Schule und Unterricht so organisieren kann, dass auch mit weniger Personal Bildungsqualität, Chancengerechtigkeit und Arbeitsbedingungen gewährleistet bleiben. Prüfbare Möglichkeiten wären zum Beispiel, dass Lehrpersonen den Unterricht gemeinsam vorbereiten oder mehrere Klassen einen Verbund bilden. Solche Massnahmen sollen keine Notlösung sein, sondern langfristig funktionieren. Spruchreif ist aber noch nichts.
«Mitte»-Landrätin Béatrix von Sury d’Aspremont stellt in einem Vorstoss Fragen zur Einführung von Freien Schulen. Das sind Privatschulen, die öffentlich finanziert und beaufsichtigt werden, ihr pädagogisches Konzept aber frei wählen können. Wie stehen Sie dazu?
Meine Meinung ist klar: Die finanziellen Mittel, die mir als Bildungsdirektorin zur Verfügung stehen, möchte ich für die Weiterentwicklung der Volksschule, der Sekundarstufe II und der Hochschulen nutzen. Gleichzeitig eine neue Kategorie von öffentlichen Schulen zu finanzieren, liegt nicht drin – ansonsten leidet die Bildungsqualität. Zudem würde die Chancengerechtigkeit geschwächt. Das können wir bestens in den USA beobachten …
Immer wieder zu diskutieren gibt die Rollenverteilung bei der Primarschule. Die Gemeinden bezahlen, der Kanton bestimmt. Gibt es Pläne, die Trägerschaft zu vereinheitlichen?
Für mich als Bildungsdirektorin steht im Vordergrund, dass wir auch die Primarschulen weiterentwickeln können. Die unterschiedliche Trägerschaft hemmt uns dabei aber des Öfteren. Als ehemalige Gemeindepräsidentin kenne ich die Situation der Gemeinden. Deshalb ist es mir wichtig, Neuerungen zusammen mit ihnen zu erarbeiten.
Sind der Kanton und die im Gespräch?
Der Gemeindeverband und die Finanzdirektion widmen sich gemeinsam der Frage, wie die Trägerschaft der Primarschule in Zukunft aussehen soll, selbstverständlich unter Mitwirkung der Bildungsdirektion. Die Diskussionen laufen, dazu hat uns der Landrat beauftragt.
Könnte der Kanton die Primarschulen übernehmen?
Es gibt verschiedene Lösungsansätze, die geprüft werden. In der entsprechenden Landratsvorlage hat der Regierungsrat fünf Möglichkeiten aufgezeigt: Dass die Primarschulen ganz oder nur deren Betrieb, also ohne die Liegenschaften, an den Kanton übergehen. Oder dass die Kosten künftig mit Schülerpauschalen abgegolten werden. Hinzu kommen Untervarianten. Fakt ist: Bei der Schulstruktur ist heute kein anderer Kanton so aufgestellt wie das Baselbiet.
Zur Person
je. Die Hölsteinerin Monica Gschwind (60) ist seit 2015 Regierungsrätin und aktuell zum zweiten Mal Regierungspräsidentin. Seit ihrem Amtsantritt steht sie der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion vor. Im Vordergrund steht dabei naturgemäss die Bildungspolitik. Hier musste Gschwind nach ihrem Amtsantritt für Ruhe sorgen, nachdem in den Jahren zuvor etliche Schulreformen beschlossen und wieder verworfen worden waren. Auch das zerrüttete Verhältnis mit dem Lehrerverband musste sie kitten, was ihr offenbar gelang: So schrieb der Lehrer- und Lehrerinnenverein Baselland jüngst, dass es heute wieder eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gebe. Unabhängig davon stehen einige Herausforderungen an: Die Schulen müssen fit gemacht werden für die Digitalisierung, wobei der drohende Lehrermangel viele Ressourcen bündelt und es auch bei der Organisation der Primarschulen ungeklärte Fragen gibt.