«Bei uns stimmen die Sachen»
21.11.2023 Bezirk Sissach, SissachNachrichtenfrau Andrea Vetsch zu Gast im «Volksstimme»-Nachtcafé
Weshalb die SRF-«Tagesschau» trotz zunehmendem News-Konsum auf Social Media eine Zukunft hat und warum sich der Coiffeur bei ihr nicht austoben darf, verriet Moderatorin Andrea Vetsch im ...
Nachrichtenfrau Andrea Vetsch zu Gast im «Volksstimme»-Nachtcafé
Weshalb die SRF-«Tagesschau» trotz zunehmendem News-Konsum auf Social Media eine Zukunft hat und warum sich der Coiffeur bei ihr nicht austoben darf, verriet Moderatorin Andrea Vetsch im Nachtcafé der «Volksstimme».
Christian Horisberger
Privat sucht sie das Rampenlicht gar nicht, im Beruf steht sie sieben Mal im Monat mittendrin: Andrea Vetsch, Moderatorin der Hauptausgabe der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens. Am Donnerstag war die Zürcherin zu Gast im Nachtcafé der «Volksstimme», das erstmals im Bistro Cheesmeyer stattfand. Die Fernsehfrau und alleinerziehende Mutter wirkte im Gespräch mit Anita Crain bodenständig und unkompliziert. Und als es ihr erst im dritten Anlauf gelang, das Wort «palästinensische» korrekt auszusprechen – «Kaum läuft keine Kamera, bringe ich das nicht zustande» – hatte sie das Publikum in der Tasche.
Vetschs Beschreibung der Produktion einer Sendung zeigte auf, wie die Macher der «Tagesschau» dafür sorgen, dass sie ihrem Anspruch auf Wahrheit und Glaubwürdigkeit gerecht werden. Alles, was gesendet werde, müsse einem Faktencheck standhalten und auf zwei Quellen beruhen, sagte sie. Jede Moderation und jeder Beitrag werde zudem im Sechs-Augen-Prinzip überprüft: von der jeweils verantwortlichen Person in Moderation, Produktion und Korrekturdienst. Vetsch: «Bei uns stimmen die Sachen. Damit profilieren wir uns.» Die Sachen stimmen nicht nur, sie werden vor der Kamera auch korrekt ausgesprochen. Dafür stehe den Moderierenden eine Datenbank mit Worten in phonetischer Schrift sowie Tonproben zur Verfügung, verriet Vetsch. So habe sie auch den Namen des unaussprechlichen isländischen Vulkans gelernt und trat umgehend den Beweis an: «Eyjafjallajökull. Eyjafjallajökull. Eyjafjallajökull.»
Keine Angst vor KI
Wegen der hohen Qualität der «Tagesschau» ist Vetsch davon überzeugt, dass dieser Sendung die Luft lange nicht ausgehen wird, auch wenn das Fernsehpublikum immer älter wird und sich der Nachrichtenkonsum zunehmend in die Sozialen Medien verlagert. «Wer abstimmen und wählen geht, muss eine Ahnung vom Thema haben», sagte sie, «dafür reichen Instagram & Co. nicht.» Sie habe auch keine Angst, von einer mit künstlicher Intelligenz generierten Kollegin vom Moderatoren-Pult verdrängt zu werden. «Ich glaube, das Publikum schätzt Menschen aus Fleisch und Blut.» Dies zeigten unter anderem die Sympathiebekundungen aus dem Fernsehpublikum, wenn in einer Sendung einmal etwas nicht rund gelaufen ist.
Ebenfalls für die «Tagesschau» sprächen die stabilen Einschaltquoten von 600 000 bis 700 000 Zuschauern – während Corona seien es regelmässig mehr als 1,2 Millionen gewesen. Ansonsten würden Spitzenquoten erreicht, «wenn etwas passiert ist», ein heftiges Unwetter zum Beispiel. Auch die nachfolgende Sendung beeinflusse die «Tagesschau»-Quote. Gute Zugpferde seien Sendungen wie «Kassensturz» oder «Landfrauenküche». Weniger relevant für die Quote sei, wer vom vierköpfigen Moderations-Team vor der Kamera steht.
Ihre Aufgabe als Moderatorin beschrieb Vetsch so: «Das Publikum an einen Beitrag heranführen, es darauf «gluschtig» machen – dies auch dann, wenn es sich um eher trockene Themen wie Mehrwertsteuer, Inflation oder Strompreis handle. Die inhaltliche Verantwortung der Sendung liege beim Produzenten oder der Produzentin. Doch könnten sich die Moderatorinnen als Mitglieder des Redaktionsteams bei Auswahl und Gewichtung der Themen einbringen: «Manchmal wird ziemlich gefightet.»
Immer wieder Diskussionen gebe es auch darüber, wie viel Grauen man angesichts Terror, Krieg und Naturkatastrophen im Fernsehen zeigen dürfe. Bei der «Tagesschau» gelte die Richtlinie, dass Todesopfer nicht aus der Nähe gezeigt würden. Die Tagesschau fahre nicht die «Sensationsschiene», sagte Vetsch, «wir haben einen anderen Auftrag». Das wiederum heisse nicht, dass man nur nüchtern und trocken informiere. «Auch wir wollen etwas fürs Auge bieten – aber gegenüber Youtube sind wir Schwarzbrot.»
Klapproths Käsli
Den Erstkontakt mit dem Fernsehen hatte die Tochter eines Gymnasiallehrers während ihres Germanistik-Studiums. Ab 1999 jobbte sie als Produktionsassistentin in der «10vor10»- Redaktion, wo sie unter anderem für den damaligen Moderator Stephan Klapproth in der Kantine «Käsli» habe holen müssen, wie sie im Nachtcafé erzählte. Ihren ersten Moderatorinnenposten bei der «Tagesschau» erhielt Vetsch 2005 und trat damit ein bisschen in die Fussstapfen von Silvia von Ballmoos. Die TV-Ansagerin hatte die junge Andrea Vetsch so stark beeindruckt, dass sie mit deren Foto zum Coiffeur gegangen sei …
A propos Coiffeur: Heute lässt die Moderatorin von Frisur-Experimenten lieber die Finger. Boulevard-Journalisten würden hinter einer auffälligen Veränderung der Garderobe oder Frisur einer Moderatorin allzu gerne eine neue Liebschaft vermuten. Das erspare sie sich lieber. «Mein Privatleben gehört mir», sagte sie, für Homestories sei sie nicht zu haben, und den roten Teppich suche sie auch nicht. Eine Ausnahme bilde jeweils die Premiere des Circus Monti, die sie jeweils mit ihrer heute zehnjährigen Tochter besuche. Diese habe sich daran gewöhnt, ein Mami zu haben, dessen Gesicht die halbe Schweiz kennt, erzählte Andrea Vetsch. Mehr noch: «Sie will ebenfalls Moderatorin werden.»
Und was wollte Andrea Vetsch werden, als sie klein war? «Bäuerin. Ich dachte, dass eine Bäuerin sicher nicht so viel Zeit vor dem Spiegel verbringen muss wie damals meine Mutter.»