Ausprobieren, Lernen und Staunen
04.09.2025 PersönlichChrista Dettwiler
Ich musste tatsächlich nachsehen, ob wir Anfang Juni ins dritte oder ins vierte Jahr in Chile gestartet sind. Die Zeit vergeht so ungeheuer schnell. Es hätte nach meinem Gefühl auch schon das zehnte gewesen sein können. Es erscheint ...
Christa Dettwiler
Ich musste tatsächlich nachsehen, ob wir Anfang Juni ins dritte oder ins vierte Jahr in Chile gestartet sind. Die Zeit vergeht so ungeheuer schnell. Es hätte nach meinem Gefühl auch schon das zehnte gewesen sein können. Es erscheint mir unwirklich, was wir in zwei Jahren alles geschafft haben, und wie nahtlos wir in die Existenz von Kleinbauern geschlüpft sind. Nicht nur Bohnen, Mais oder Kartoffeln sind gediehen, auch eine Familie von drei Generationen ist hier auf dem Campo erblüht.
Von den beruflichen Voraussetzungen her waren wir nicht eben prädestiniert für ein Leben weitab von den Errungenschaften der Zivilisation. Yvonne hat Sprachen studiert und ist ausgebildete Übersetzerin. Johnny bringt einen naturwissenschaftlichen Hintergrund mit und einen Abschluss einer USamerikanischen Golf-Akademie. Und ich kann eigentlich nicht viel mehr als lesen und schreiben.
Die einzige echte Erfahrung, die wir fürs Bauern mitbrachten, war die aus Johnnys Zeit im Zivildienst. Umso mehr verfolge ich die Debatte in der Schweiz um das Erschweren dieser überaus sinnvollen Variante zur Armee mit Kopfschütteln. Seine «Zivi»- Zeit auf Bauernhöfen und in den Wäldern und auf den Bergmatten der hintersten «Chrachen» im Bündnerland und im Tessin hat ihm nicht nur gutgetan, er hat auch eine ganze Menge gelernt. Das kommt ihm gerade beim Holzen sehr zugute.
Meine landwirtschaftlichen Erfahrungen liegen noch viel weiter zurück. Ich habe einen Grossteil meiner Kindheit auf dem Hof meiner Grosseltern im Schwarzbubenland verbracht. Und meine Mutter war eine echte Meisterin in Hand- und Hauswerk, eine begnadete Gärtnerin und einer jener Menschen, die für praktische Probleme stets eine Lösung zur Hand haben. Zu ihrem Leidwesen konnte sie mich nie für das begeistern, was ihr so wichtig war. Ich wollte lieber fort, hinaus in die grosse Welt. Aber heute schöpfe ich immer wieder aus Abgeschautem und Vorgemachtem und bin dankbar für ihre damals meist vergeblichen Bemühungen.
Dank eines ungewöhnlich sonnigen Winters können wir auch zu dieser Jahreszeit viel draussen arbeiten. Noch mehr Zäune ziehen, Bäume pflanzen, das neue grosse Hühnerhaus fertigstellen … Weil wir mehr Brennholz brauchen, haben wir die toten Strünke rund 100-jähriger Scheinbuchen (Nothofagus obliqua) aus der Kuhweide baggern lassen. Strünke, die um die 40 Jahre im Boden steckten.
Die schwarzen Strünke sehen aus wie auf der Wiese gestrandete Urtiere. Beim Zersägen entfalten sie ein ganz erstaunliches Innenleben. Das Holz schimmert in intensiven Rottönen. Das Spalten erfordert maximale Kraft. Die Scheite sehen aus wie gut abgehangene Steaks und der Boden mit dem roten Sägemehl gleicht einem Schlachtfeld. Alles erinnert uns daran, dass wir es auch hier mit Lebewesen zu tun haben.
Die Journalistin Christa Dettwiler ist 2022 gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau von Rünenberg nach Chile ausgewandert. Sie erzählt regelmässig von ihrem Alltag.