Ausgeklügelter, grösser und schwerer
13.08.2024 BaselbietDie technischen Möglichkeiten von Traktoren haben in den vergangenen 30 Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht. Gleichzeitig haben die Fahrzeuge massiv an Grösse und Gewicht zugelegt.
Christian Horisberger
Obwohl es in der Schweiz immer weniger ...
Die technischen Möglichkeiten von Traktoren haben in den vergangenen 30 Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht. Gleichzeitig haben die Fahrzeuge massiv an Grösse und Gewicht zugelegt.
Christian Horisberger
Obwohl es in der Schweiz immer weniger Bauernbetriebe gibt, wächst die Anzahl der in Betrieb stehenden Traktoren stetig. Nicht nur die Anzahl, sondern auch deren Grösse. Dies wurde in den Konvois der Bauernproteste vom vergangenen Frühling augenscheinlich, in die sich Traktoren mehrerer Generationen eingereiht hatten.
Die Statistik belegt das Offensichtliche: Laut Angaben der Motorfahrzeugkontrolle Baselland haben die neu eingelösten Traktoren in den vergangenen Jahrzehnten stark an Grösse beziehungsweise Gewicht zugelegt. Seit den 1970er-Jahren hat sich das durchschnittliche Gewicht der Neufahrzeuge von 3,5 auf 7 Tonnen verdoppelt. Die Zunahme erfolgte stetig. In den 1980ern wog der Neutraktor im Durchschnitt 4,5 Tonnen, in den 90ern 5,5 Tonnen und in den 2000ern wiederum eine Tonne mehr.
Die Leistungskurve steigerte sich analog zum Gewicht deutlich, während der Hubraum seit der Jahrtausendwende tendenziell abnimmt. Auch sind die Traktoren, gemessen an ihrer Leistung, sparsamer geworden. Dies dürfte dem Fortschritt in der Motorentechnik zu verdanken sein.
Weniger Höfe, mehr Fläche
Hauptgrund für die extreme Gewichtsund Leistungszunahme der Fahrzeuge sei die höhere Effizienz im Arbeitseinsatz, sagt Michael Rubeli (41), Geschäftsführer der Arisdörfer Recher Landmaschinen GmbH. Die Bauernbetriebe seien in den vergangenen Jahrzehnten immer weniger geworden und die pro Betrieb bewirtschaftete Fläche grösser. Um in kürzerer Zeit mehr Boden zu bestellen, seien die Anbaugeräte zum Pflügen, Säen, Düngen oder Spritzen gewachsen und mit ihnen die Traktoren. Gesetzliche Vorgaben, ob zum Schadstoffausstoss – für Neufahrzeuge gilt Euro-Norm 5 –, zur Sicherheit oder für den Fahrerkomfort (geschlossene und klimatisierte Kabine), hätten viele weitere Kilo gebracht. Durch das grössere Gewicht haben auch die Räder vor allem in der Breite stark zugenommen, um die Last des Traktors auf mehr Bodenfläche zu verteilen und damit die Verdichtung im Rahmen zu halten.
Ein Standard-Traktor leistet heute 90 bis 130 PS, wiegt 5 bis 7 Tonnen und kostet je nach Ausstattung zwischen 90 000 und 170 000 Franken netto, sagt Rubeli. Die grössten Modelle, die meistens bei Lohnunternehmern im Einsatz stehen, wiegen um die 10 Tonnen und kosten eine Viertelmillion Franken oder mehr.
Beim Modell, das der Landmaschinen-Unternehmer der «Volksstimme» vorstellt, handelt es sich von der Grösse und vom Gewicht her um einen Vertreter der meistverkauften Klasse. Der Steyr 4130 Expert CVT, ein österreichisches Produkt, wiegt 5560 Kilogramm und ist mit einem 4,5-Liter-Turbodiesel mit Ladeluftkühlung und einer Maximalleistung von 140 PS ausgestattet. Die Kraft wird über ein stufenloses Getriebe auf alle vier Räder übertragen. Durch die umfangreiche Ausstattung ist der Nettopreis mit 170 000Franken für die Klasse eher hoch.
Zum Vergleich hat der Fachmann einen 45-jährigen Hürlimann neben den brandneuen Steyr gefahren. «Damals etwas vom Grösseren und Besseren auf dem Markt», sagt Rubeli. Mit Ausnahme des Lenkrads ist am Veteran alles um zwei Nummern kleiner als an der modernen Maschine. Das zeigt sich insbesondere auf der Waage: Der handgeschaltete Hürlimann T5200, Jahrgang 1979, wiegt gemäss Fahrzeugausweis 2360 Kilogramm. Der 2,9-Liter-Diesel leistet für damalige Verhältnisse stattliche 62 PS. Den einstigen Verkaufspreis schätzt der Fachmann auf 50 000 Franken. Für ein Allradfahrzeug wären 10 000 Franken mehr fällig gewesen.
Wie im Heli-Cockpit
Im Hürlimann ist sowohl unter der Motorhaube als auch im Cockpit alles sehr übersichtlich: Drei Rundinstrumente und zwei Dreh- oder Kippschalter müssen reichen. Die Kabine besteht aus einem Metallgestell mit Dach und Windschutzscheibe. Am Heck befinden sich Anschlüsse für Hydraulik und Strom zur Verbindung mit Landmaschinen. Hinten am Steyr dagegen befindet sich ein gutes Dutzend hydraulische und elektrische Anschlüsse.
Hat man das Cockpit des modernen Traktors über eine Leiter erklommen, nimmt man Platz in einem luftgefederten Sitz. Die klimatisierte Kabine ist rundum geschlossen, damit ist der Lenker oder die Lenkerin bei der Arbeit vor Staub und Pflanzenschutzmitteln geschützt. Die Palette von Schaltern und Anzeigen ist erschlagend. Der Laie ist hier so ratlos, als sässe er im Cockpit eines Helis. Alle Bedienelemente befinden sich auf der rechten Seite des Fahrers. Links befindet sich der Beifahrersitz. Als Erstes stechen ein Steuerknüppel und ein grosses Display ins Auge. Mit dem mit Tasten übersäten «Multifunktionshebel» werden die Fahrtrichtung bestimmt oder die Hubwerke vorne und hinten bedient, weitere Tasten können frei belegt werden.
Das seitlich in Augenhöhe angebrachte Touch-Display gehört zur Sonderausstattung. Damit lassen sich diverse Funktionen des Traktors und der angeschlossenen Geräte überwachen und steuern. Extras wie dieses würden eher von jüngeren, technikaffinen Kunden geordert, sagt Michael Rubeli dazu.
Eine weitere digitale Anzeige befindet sich in der Säule vorne rechts vom Fahrer, die das Dach trägt. Im Armlehnenbereich, an der hinteren Säule und am Kabinendach befindet sich eine Vielzahl weiterer Tasten und Regler zur Steuerung von Traktor, Hydraulik, Anbaugeräten und Maschinen. Geradezu nüchtern wirkt dagegen der Lenkrad-Bereich ohne jegliche Anzeige.
Hilfe aus dem All
Zu den Extras dieses Traktors gehört GPS, mit dem sich dank Satelliten-Navigation präziser und damit wirtschaftlicher und umweltschonender arbeiten lässt, zum Beispiel beim Säen, Spritzen, Düngen oder Ernten. Noch werde diese Option am häufigsten von Lohnunternehmern geordert, sagt Rubeli. Er geht aber davon aus, dass die Technologie in nicht allzu ferner Zukunft Standard sein wird. Wer heute keinen Bedarf habe, konfiguriere den Traktor allenfalls so, damit er leicht nachgerüstet werden kann, so der Fachmann. Denn ein Traktor stehe auf einem Hof in der Regel 10 bis 15 Jahre im Einsatz. «Da überlegt man schon, was in drei oder fünf Jahren sein könnte.»
Wovon Rubeli, der 2017 die Firma Heinz Recher Landmaschinen von seinem einstigen Lehrmeister übernommen hat, nicht ausgeht, ist, dass der Elektrotraktor die Landwirtschaft bereits in den kommenden Jahren erobern wird. Irgendwann werde sich Elektro durchsetzen – wenn die Batterien deutlich effizienter, leichter und vor allem auch günstiger geworden seien. Schliesslich ist ein Traktor auch so eine kostspielige Anschaffung.
Dass wie früher der volle Kaufpreis bei Übergabe auf den Tisch gelegt wird, komme kaum noch vor, sagt der Fachmann. In den meisten Fällen würden Abzahlungs- oder Leasingverträge abgeschlossen. Die öffentliche Hand unterstützt die Landwirte beim Kauf von Traktoren und anderen Landmaschinen nicht mit Zuschüssen.
Was bedeutet der Technologiefortschritt für den Händler? Wie zuverlässig arbeiten die modernen Traktoren? Er bekomme nicht selten zu hören, dass die Qualität der Traktoren früher besser gewesen sei, sagt Rubeli und relativiert: «Schauen Sie unter die Haube! Die heutigen Traktoren verfügen über sehr viele Komponenten mehr, da ist die Wahrscheinlichkeit von Systemausfällen auch höher als bei rein mechanischen Geräten.»
In der Werkstatt haben Diagnosegeräte und Abgasmessgeräte Einzug gehalten, die Mechaniker bilden sich laufend weiter. Und wenn heute ein Traktor auf dem Feld streike, könne der Mechaniker via Satellit auf die Software des Traktors zugreifen und im besten Fall zusammen mit dem Kunden den Fehler umgehend beheben.