AUSGEFRAGT | SUSANNE WÄFLER-MÜLLER, LEITERIN DER KANTONSBIBLIOTHEK IN LIESTAL
31.05.2024 Baselbiet«Das Buch wurde schon öfters totgesagt»
Susanne Wäfler leitet die Kantonsbibliothek Baselland. Im Interview spricht sie über das Besucherwachstum, den «Leseknick» bei Jugendlichen, den Vergleich mit anderen Bibliotheken und die ...
«Das Buch wurde schon öfters totgesagt»
Susanne Wäfler leitet die Kantonsbibliothek Baselland. Im Interview spricht sie über das Besucherwachstum, den «Leseknick» bei Jugendlichen, den Vergleich mit anderen Bibliotheken und die Herausforderungen rund um die Lage neben der Bahnhofsbaustelle.
Jürg Gohl
Frau Wäfler, wie oft müssen Sie die Frage beantworten, welches Buch gerade auf Ihrem Nachttisch liegt?
Susanne Wäfler-Müller: Nicht gleich zehnmal am Tag, aber immer wieder.
Und was antworten Sie?
Gegenwärtig lese ich «Die Entflammten», weil Simone Meier am 23. Mai bei uns in der Kantonsbibliothek daraus vorlas. Daneben liegt ein Reiseführer zur französischen Atlantikküste, weil unsere Sommerferien dorthin führen.
Die Ferien werden Sie besonders geniessen können, verzeichnete die Kantonsbibliothek 2023 doch ein Besucherwachstum von 12 Prozent. Insgesamt suchten 187 000 Menschen die Bibliothek auf und 11 126 Menschen nutzen sie aktiv. Das sind 300 Personen mehr als noch 2022. Wie steht Ihr Haus im Vergleich zu anderen Bibliotheken im Land da?
In den nationalen Statistiken werden alle möglichen Werte verglichen. Für mich sind aber die Publikumszahlen – Besuchende und Nutzende – besonders wichtig. Sie zeigen, dass sich unser Publikum bei uns willkommen fühlt und unser Angebot schätzt. Hier mischen wir im Vergleich vorne mit. Das freut mein Team und mich natürlich sehr.
Was antworten Sie der Konkurrenz, die sich sicher nach Ihrem Erfolgsgeheimnis erkundigt?
Wir konkurrenzieren uns nicht, sondern tauschen uns aus. Wir fördern gemeinsam die Freude am Lesen und unterstützen Gross und Klein in ihrer Medienkompetenz. Bibliotheken haben viel zu bieten. Diese Wahrnehmung zu stärken, gelingt uns gemeinsam besser als alleine. Unsere erfreulichen Zahlen lassen sich auf eine ganze Reihe von Faktoren zurückführen. Es ist das Gesamtpaket, das stimmt: Ein gutes Medienangebot – vor Ort und digital – sowie Veranstaltungen für Gross und Klein. Im vergangenen Jahr waren das rund 200. Und wir verfügen über ein grossartiges Haus.
Vergleichen Sie sich auch mit internationalen Bibliotheken?
Selbstverständlich. Bibliotheken wie jene im dänischen Aarhus inspirieren uns. Besuche vor Ort haben mich persönlich beeindruckt. Im nationalen Vergleich gehören wir zu den innovativsten öffentlichen Bibliotheken, im internationalen gibt es auch für uns Luft nach oben.
Zurück nach Liestal. Gibt es eine Altersgruppe, die sich mit dem Lesen besonders schwertut?
Untersuchungen zeigen, dass zwischen 12 und 14 Jahren bei einem Teil der Kinder und Jugendlichen ein «Leseknick» stattfindet. Wir versuchen deshalb, die Kinder und Jugendlichen möglichst früh mit tollen Erlebnissen an die Bibliothek zu binden. Dazu gehören unser Geschichtenkoffer, Veranstaltungen zu Lego-Robotik oder KI. Weiter haben wir in Zusammenarbeit mit dem Amt für Volksschulen den sogenannten Bibliotheksfahrplan entwickelt. Dieser orientiert sich am Lehrplan und hält für jede Klassenstufe – vom Kindergarten bis zur 9. Klasse – ein spezifisches Bibliotheksangebot bereit. Mit dem Bibliotheksfahrplan unterstützen wir das Lesen und Verstehen, das Recherchieren und richtige Einordnen von Informationen. Längerfristig möchten wir den Bibliotheksfahrplan kantonsweit einführen. Dafür arbeiten wir auch mit den Gemeinde- und Schulbibliotheken zusammen.
Die Kantonsbibliothek befindet sich gleich beim Bahnhof und liegt damit ideal. Sie gilt auch als architektonisches Schmuckstück. Welche weiteren Vorteile hat sie sonst noch zu bieten?
Unsere beiden grössten Vorzüge haben Sie bereits erwähnt. Hinzu kommen die zentrale Lage, grosszügige Öffnungszeiten, eine hohe Aufenthaltsqualität, ein einladendes Café sowie ein freundlicher Service. Zusammengefasst kann man in der Kantonsbibliothek auf angenehme Weise wertvolle Zeit verbringen.
Der Verleih des klassischen Buchs zwischen zwei Buchdeckeln ist rückläufig. Besorgt Sie das?
Das Buch wurde schon öfters totgesagt. Das digitale Angebot führt sicher dazu, dass das physische Buch teilweise abgelöst wird. Deshalb bauen wir unser E-Angebot auch ständig aus. Und dennoch bleibt die Nachfrage nach dem Buch gross, was mich nicht erstaunt. Nach einem Tag vor dem Bildschirm kann es durchaus ein Vorteil sein, die Freizeit offline zu verbringen. Das kann mit einem Buch, Kultur, Sport, einem Hobby und so weiter sein.
Die Kantonsbibliothek liegt gleich bei der grössten Baustelle des Kantons und versinkt bald neben grösseren Häusern. Und Sie müssen deshalb viel erdulden. Wird das Ihre Qualitäten und Ihren Erfolg bremsen?
Wir haben uns inzwischen an die Situation gewöhnt. Aber natürlich sehnen wir den Tag herbei, an dem Ende kommenden Jahres der Baulärm verschwindet und der neue Bahnhof eröffnet wird, auch wenn wir dann mit unserer Strahlkraft und unserer typischen Farbe im Bild von Weitem weniger gut sichtbar sind. Wir sehen es aber positiv. Trotz Bauarbeiten und fehlender Parkplätze konnten wir die Zahl aktiver Nutzender steigern. Zudem entsteht am Bahnhof ein neues Zentrum, das uns noch mehr Laufkundschaft und Belebung bringt. Und vielleicht tragen die neuen Gebäude dazu bei, den Bahnlärm einzudämmen, sodass sogar ein kleiner Traum von mir Realität werden könnte: eine Lesung vor der Kantonsbibliothek unter freiem Himmel.
Zur Person
jg. Susanne Wäfler-Müller leitet als Nachfolgerin von Gerhard Matter seit dem 1. Mai die Kantonsbibliothek Baselland am Emma-Herwegh-Platz beim Liestaler Bahnhof. Sie steht in dieser Funktion zugleich dem Kantonsverlag Baselland vor. Susanne Wäfler ist 47 Jahre alt und wohnt mit ihrer Familie in Bennwil.