AUSGEFRAGT | SEBASTIAN EXL, PEER / GENESUNGSBEGLEITER, PSYCHIATRIE BASELLAND
20.09.2024 Baselbiet«Nichts machen ist am schlimmsten»
Sebastian Exl leidet an unheilbaren Autoimmunerkrankungen, die ihn auch psychisch stark belasten. Heute arbeitet er als Genesungsbegleiter in der Psychiatrie Baselland und hält am 25. September einen Vortrag in ...
«Nichts machen ist am schlimmsten»
Sebastian Exl leidet an unheilbaren Autoimmunerkrankungen, die ihn auch psychisch stark belasten. Heute arbeitet er als Genesungsbegleiter in der Psychiatrie Baselland und hält am 25. September einen Vortrag in Liestal.
Tobias Gfeller
Herr Exl, als erste Frage natürlich: Wie geht es Ihnen heute?
Sebastian Exl: Ich kämpfe weiterhin mit der Depression. Sonst geht es mir eigentlich gut. Körperlich bin ich stabil, psychisch auch. Das ist die Voraussetzung, um die Arbeit machen zu können.
Wie sieht Ihre Rolle als Peer/Genesungsbegleiter in der Psychiatrie Baselland aus?
Wir sind sieben Personen, die selber psychisch krank waren oder noch sind, die hier auf verschiedenen Abteilungen arbeiten. Wir therapieren nicht im engeren Sinne. Wir suchen das Gespräch und geben so den Patientinnen und Patienten das Gefühl, verstanden zu werden, weil wir als Selbstbetroffene gut nachvollziehen können, wie es ihnen geht. Ich kann mir mehr Zeit nehmen für die Patienten, wenn es nötig ist.
Inwiefern bringt Ihr Wirken einen Mehrwert?
Durch meine persönliche Geschichte bin ich glaubwürdig. Die Patienten schätzen meine Arbeit, weil sie merken, der ist für mich da. Dadurch sind die Gespräche oft auch viel tiefer. Mit Einverständnis des Patienten kann ich die Gesprächsinhalte auch den Ärzten und Therapeuten weitergeben. Das kann wichtig sein, weil sich die Patienten vor den Ärzten und Therapeuten nicht richtig fallen lassen können und nicht immer ehrlich sagen, wie es ihnen geht. Das Einbeziehen von Betroffenen ist in der Psychiatrie Baselland relativ neu. Wir merken, dass die Patienten durch die Gespräche mit uns weniger sediert werden müssen und weniger Medikamente brauchen. Es klappt nicht bei allen Patienten, das ist klar.
Sie referieren am 25. September über Suizidprävention. Wieso ist es wichtig, dass darüber geredet wird?
Es ist ein grundlegendes Problem in unserer Gesellschaft. Suizide sollten nicht mehr tabuisiert werden. Es wird zwar mehr darüber geredet als früher, aber noch lange nicht genug. Es gibt in der Schweiz noch immer viel zu viele Suizide.
Warum sind gerade Sie die richtige Person, um darüber zu referieren? Bringt Ihre eigene Geschichte den nötigen Mehrwert dafür?
Nach mehreren gescheiterten Suizidversuchen kam ich an einen Punkt, an dem ich realisierte, dass es sich lohnt zu leben. Durch meine Geschichte hoffe ich, dass ich Leute erreichen kann, weil ich glaubwürdiger bin. Ich kann aufzeigen, dass die Phase sehr hart ist, es aber wieder besser werden kann, wenn man das Leben umstrukturiert. Diese Suche ist schwierig.
Wie haben Sie es geschafft?
Ich brauchte dafür viele Jahre, irrte umher und ging von Therapie zu Therapie. Es brauchte Jahre, bis ich selber akzeptieren konnte, dass ich aufgrund meiner somatischen Erkrankung die Leistung von früher nicht mehr erbringen kann. Mit der Geburt meines Sohnes änderte sich alles. Ich merkte, dass ich nicht der Mittelpunkt der Welt bin. Das Gefühl, gebraucht und geschätzt zu werden, zeigte mir, dass es auch anders geht. Das erweckte bei mir die Leidenschaft zum Leben. Mein Sohn gab mir unbewusst die Freude am Leben zurück.
Sehen Sie sich als Vorbild für die Patientinnen und Patienten?
Als Vorbild nicht gerade. Ich möchte, dass sie mich sehen und denken: «Ich schaffe das auch, ich lasse mich nicht hängen.» Wenn ein Patient nur etwas mitnimmt aus den Gesprä- chen, bin ich schon zufrieden. Ich versuche, ihnen so viele Werkzeuge und Fähigkeiten mitzugeben, dass sie bei der Entlassung einen Rucksack mitnehmen, auf den sie bei Bedarf zugreifen können.
Sie referieren regelmässig über das Thema Suizidprävention. Was möchten Sie vermitteln?
Es geht mir ums Aufklären, was man machen kann, wenn man den Eindruck hat, jemandem geht es nicht gut. Viele haben das Gefühl, es sei besser, die Person ja nicht anzusprechen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Es geht darum, ein Gespräch zu suchen und nicht zurückzuschrecken. Das ist meine Hauptbotschaft. Wenn man eine Person gut kennt, kann man auch fragen, ob die Person suizidale Gedanken hat. Man muss aber nicht das Gefühl haben, alle Probleme lösen zu können. Alleine das Ansprechen ist schon wichtig. Ich möchte auch zeigen, dass Suizide ein schlimmes Problem sind, weil man sie nicht kommen sieht.
Kann man auch etwas falsch machen?
Meiner Meinung nach nicht. Nichts machen ist am schlimmsten. Dadurch lässt man die Person alleine und die Chance ist höher, dass sie sich das Leben nimmt.
Haben Sie konkrete Forderungen an die Gesellschaft, die Politik und die Behörden?
Dass psychische Erkrankungen nicht tabuisiert werden. Sie sind ein reelles Problem. Mit den Behörden ist es immer noch ein Kampf. Psychisch Kranke werden oft hängengelassen, auch von der Invalidenversicherung. Es braucht schnelle Eingliederungsversuche und Strukturen. Die Patienten müssen ernst genommen werden. Ich fände es wichtig, dass Peers/Genesungsbegleiter bei der IV angestellt werden. In gewissen Kantonen ist dies bereits der Fall. In Baselland meines Wissens nicht. Es gibt noch sehr viel zu tun.
Infoabend in der Kantonsbibliothek
gfe. Am kommenden Mittwoch, 25. September, lädt die Kantonsbibliothek Baselland in Liestal zum Informationsabend zum Thema Suizidprävention im Rahmen der nationalen Kampagne «Wie geht’s dir?» ein. Sebastian Exl referiert über seine persönlichen Erfahrungen und gibt wertvolle Einblicke in die Suizidprävention. Zusätzlich wird eine Fachperson anwesend sein und ihr umfangreiches Fachwissen zu den psychischen Aspekten und therapeutischen Ansätzen in der Suizidprävention einbringen.
Zur Person
gfe. Sebastian Exl (32) erkrankte an verschiedenen unheilbaren Autoimmunerkrankungen – unter anderem an Morbus Crohn – und einer Nebenniereninsuffizienz mit schwerwiegenden Folgeerkrankungen. In der Folge wurde der Zuger psychisch schwer krank, drogenabhängig und suizidal. Heute unterstützt er als Peer/Genesungsbegleiter psychisch und physisch kranke Menschen und wirkt in der Psychiatrie Baselland in Liestal als Festangestellter als Bindeglied zwischen Patienten, Pflege, Therapeuten und Ärzten.