AUSGEFRAGT | OLIVIA JENNI, KURATORIN IN DER KUNSTHALLE PALAZZO, LIESTAL
29.11.2024 Baselbiet«Kunst hinterfragt unsere Identität»
Im Rahmen der «Regionale 25» findet die Ausstellung «Furnace Creek» im Palazzo statt. Kuratorin Olivia Jenni lädt ein, in die regionale Kunstszene einzutauchen – inspiriert von den rauen ...
«Kunst hinterfragt unsere Identität»
Im Rahmen der «Regionale 25» findet die Ausstellung «Furnace Creek» im Palazzo statt. Kuratorin Olivia Jenni lädt ein, in die regionale Kunstszene einzutauchen – inspiriert von den rauen Landschaften des amerikanischen «Death Valley».
Melanie Frei
Frau Jenni, Sie können drei Dinge in die Wüste mitnehmen – welche und warum?
Olivia Jenni: Aus meiner Erfahrung heraus: Einen guten Schlafsack, da die Nächte sehr kalt sein können. Natürlich genug zu Trinken. Und einen Fotoapparat, um die Farben und das Licht der Stimmungen einzufangen – oder zumindest zu versuchen, diesen flüchtigen Zauber festzuhalten.
Die Wüste wird in Ihrer Ausstellung «Furnace Creek» im Palazzo in weiterem Sinne aufgenommen und nimmt Bezug auf den Film «Zabriskie Point». Warum gerade dieser Film?
Zabriskie Point (1970) von Michelangelo Antonioni ist ein Film, der aktuelle Fragen aufwirft. Es geht um Freiheit, Hierarchien und das Ringen junger Menschen mit gesellschaftlichen Zwängen. Themen wie Abhängigkeit, Liebe und der Wunsch nach Veränderung sind nach wie vor relevant – genauso die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Systemen. Antonionis filmische Sprache ist beeindruckend: visuelle Kompositionen und starke Bilder, die oft mehr ausdrücken als Worte.
Inwiefern spiegelt die Wüstenlandschaft – genauer das «Death Valley» – die zentralen Themen der Ausstellung wider?
Das Death Valley steht sinnbildlich für extreme Bedingungen und radikale Veränderungen. Die karge, faszinierende Weite symbolisiert Aufbruch und Neubeginn und Herausforderungen, die damit verbunden sind. Es ist ein Ort der Grenzerfahrung, der uns zwingt, über die Beziehung zur Umwelt und uns selbst nachzudenken.
«Furnace Creek» bewegt sich im Rahmen des Ausstellungsprojekts «Regionale 25» und zeigt Werke von 13 Künstlern. Wie wurden diese ausgesucht?
Die «Regionale» basiert auf einem offenen Bewerbungsprozess, bei dem Künstler aus der Region Basel, dem Elsass und Süd-Baden ihre Arbeiten einreichen können. In diesem Jahr gab es 863 Bewerbungen – eine unglaubliche Vielfalt. Diese Dossiers geben uns Einblick in das aktuelle Schaffen der Region, und es ist immer spannend, neue Talente zu entdecken. Nach intensiver Sichtung und Diskussion jedes einzelnen Dossiers haben wir Werke ausgewählt, die zum diesjährigen Thema passen.
Identität ist eines der grossen Themen der Ausstellung. Wie wird es in den Werken aufgegriffen?
Die Kunstschaffenden setzen sich auf sehr unterschiedliche Weise mit Identität auseinander. Maya Hottarek erforscht in ihren Arbeiten Kreisläufe von Geburt und Wiedergeburt, während Alberto Papparotto mit Drag-Performances Rollenzuschreibungen und Geschlechteridentitäten hinterfragt. Auch gesellschaftliche Strukturen werden thematisiert, etwa durch Manuela Morales Délano, deren Arbeit die Fragilität sozialer und politischer Systeme aufzeigt. Jede Arbeit erzählt eine eigene Geschichte, die uns fordert, über unsere Identität und die Dynamik unserer Gesellschaft nachzudenken.
Weitere Schwerpunkte sind Aufbruch und Rebellion.
Es gibt Werke, die politische Systeme und soziale Ungerechtigkeiten hinterfragen. Eine Künstlerin aus Damaskus verarbeitet die Auswirkungen von Krieg und der Distanz, die wir in sicheren Ländern empfinden. Andere Künstler lenken den Blick auf Umweltzerstörung, zum Beispiel durch Darstellung von Plastikmüll in der Natur.
Gab es Werke, die Sie persönlich besonders berührt haben?
Alle Werke berühren mich auf ihre eigene Weise. Aber das Ölbild von Maya Hottarek hat mich tief beeindruckt. Es ist nicht nur wegen seiner Dimensionen – es ist fast 20 Zentimeter dick – ein imposantes Werk, sondern auch wegen seiner haptischen Präsenz im Raum. Man fühlt förmlich die Kraft, die in diesem Bild steckt.
Und wie sollen die Besucherinnen und Besucher berührt werden?
Die Arbeiten sollen die Besuchenden inspirieren und dazu bringen, ihre Perspektiven zu hinterfragen. Kunst hat die Fähigkeit, uns emotional zu berühren und Bilder in unserem Gedächtnis zu verankern, die uns lange begleiten. An der Ausstellung kann jeder das herausgreifen, was einen anspricht.
Welche unerwartete Assoziation hatten Sie selbst mit dem Film «Zabriskie Point», die es nicht in die Ausstellung geschafft hat?
Für mich persönlich ist «Furnace Creek» ein Ort voller Erinnerungen. Als 15-Jährige war ich zwei Monate in den USA und habe dort eine Weite und Intensität erlebt, die mich bis heute prägen. Der Titel der Ausstellung hat für mich also auch etwas Nostalgisches, obwohl wir ihn vor allem wegen des Films gewählt haben.
Das Ausstellungsprojekt «Regionale»
mef. Die «Regionale» ist ein jährliches Ausstellungsprojekt, das zeitgenössische Kunst aus der Region Basel, dem Elsass und Süd-Baden präsentiert. Seit mittlerweile 25 Jahren schafft es eine Plattform für bekannte und weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler, um den Austausch mit anderen Kunstschaffenden, Institutionen und einem vielfältigen Publikum zu fördern. Auf den Open-Call, der im Frühjahr veröffentlicht wurde, haben fast 900 Kunstschaffende aus unterschiedlichen sozialen Kontexten reagiert. Daraus wählten die Kuratorinnen und Kuratoren der 18 beteiligten Kunstinstitutionen insgesamt 186 Künstlerinnen und Künstlern sowie 10 Kollektive aus. Über sechs Wochen hinweg bietet die «Regionale» Raum für künstlerischen Dialog und stärkt den Zusammenhalt in der Region, während sie gleichzeitig neue Perspektiven und kreative Impulse sichtbar macht. Sie ist nicht nur ein bedeutender Treffpunkt für die Kunstszene rund um Basel, sondern auch ein Ort, an dem gesellschaftliche Themen mit internationaler Relevanz verhandelt werden.
Vernissage ist morgen Samstag, 30. November, 14 Uhr. Auch an der Kulturnacht ist die Kunsthalle offen. Am Donnerstag, 12. Dezember, wird im Stadtkino «Sputnik» der Film «Zabriskie Point» gezeigt.