AUSGEFRAGT | KARL ODERMATT, FCB-LEGENDE
12.01.2024 Gesellschaft«Franz hat Deutschland vorwärtsgetrieben»
Am vergangenen Sonntag ist der ehemalige deutsche Fussballer Franz Beckenbauer – «der Kaiser» – 78-jährig gestorben. FCB-Legende Karli Odermatt (81) erinnert sich an seine Begegnungen mit ...
«Franz hat Deutschland vorwärtsgetrieben»
Am vergangenen Sonntag ist der ehemalige deutsche Fussballer Franz Beckenbauer – «der Kaiser» – 78-jährig gestorben. FCB-Legende Karli Odermatt (81) erinnert sich an seine Begegnungen mit dem deutschen Fussball-Idol.
Markus Vogt
Herr Odermatt, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hörten, dass Franz Beckenbauer gestorben ist?
Karl Odermatt: Ich war traurig. Mit Franz Beckenbauer ist ein ganz Grosser des Fussballs abgetreten, der letzte Mohikaner der Grössten. Ich denke an Eusebio aus Portugal, an Pelé aus Brasilien, an Diego Armando Maradona aus Argentinien, an Giacinto Facchetti aus Italien und einige andere mehr. Eine bessere Mannschaft als die des Himmels gibt es wahrscheinlich nicht. Einfach verrückt.
Wann sind Sie Franz Beckenbauer zum ersten Mal begegnet?
In Düsseldorf, als zur Stadioneröffnung ein Länderspiel Deutschland – Schweiz ausgetragen wurde. Da habe ich ihn kennengelernt. Später habe ich ihn auch in München noch zweimal gesehen, als ich mit meinem Freund Bernhard Burgener geschäftlich dort war.
Sie haben auch gegeneinander gespielt …
An der Weltmeisterschaft in England 1966 haben wir gegeneinander gespielt, Deutschland hat 5:0 gewonnen, Beckenbauer schoss zwei Tore. Später habe ich einmal mit ihm in der gleichen Mannschaft gespielt, das war in Barcelona, als eine Weltauswahl gegen ein Team aus Südamerika antrat. Zu unserem Team gehörten Eusebio, Johan Cruyff, Franz Beckenbauer, Gianni Rivera, Günter Netzer und eben auch der kleine Odermatt. Das war schlicht unvergesslich. Einmalig!
Wie war es denn mit ihm auf dem Fussballplatz?
Er war ein ganz bescheidener Typ, ein sehr ruhiger Mensch. Er konnte die Leute «abholen» wie kaum ein anderer. Er konnte ausserordentlich gut auf die Leute zugehen, was viel zu seinem Erfolg beitrug. Auf dem Feld und in der Kabine war er stets ein Vorbild. Er war ein prägender Typ.
Was hat ihn denn ausgemacht?
Franz Beckenbauer war ein grossartiger Techniker. Er war gertenschlank, er war wendig, er hatte immer den Überblick. Eigentlich hätte er mit diesen Fähigkeiten im Mittelfeld spielen müssen, was er am Anfang ja auch gemacht hat. Doch sie haben ihn dann zuhinterst aufgestellt, als Libero, weil es in Deutschland so viele gute Mittelfeldspieler gegeben hat. Was Franz konnte wie kein Zweiter: Er konnte mit einem einzigen Pass von hinten die Angriffe auslösen. Er spielte lange Pässe, kurze Pässe, diagonal, hohe Bälle, einfach alles. Er war ein fantastischer Fussballer, ein magistraler Lenker seiner Mannschaft.
Diese Mannschaft wies ja auch sonst grosses Potenzial auf …
… ja, da waren noch viele andere gute Spieler. Auch Wolfgang Overath und Uli Hoeness machten alles, was er sagte. Es brauchte schon nicht nur den grossen Superstar hinten, sondern das entsprechende Team dazu. Das Gefüge der Mannschaft muss stimmen.
Erklären Sie das doch bitte ein wenig genauer.
In der Verteidigung standen damals hinten Abräumer wie Berti Vogts und Dieter Höttges. Was von den Seiten kam, räumten die Aussenverteidiger ab. In der Mitte stand hinten Hans-Georg Schwarzenbeck, der mit seinen 1,95 Metern auch alle hohen Bälle wegbeförderte. Im Mittelfeld standen Netzer und Overath, zwei herausragende Spieler, und vorne machte Gerd Müller mit fast jedem Ball ein Tor. Da konnte Beckenbauer zuhinterst ganz gut den Libero geben. Aber: Er hatte das ganze Spiel im Griff.
Also eine absolute Ausnahmeerscheinung?
Ja, aber so läuft es im Fussball. Einer allein, und sei er noch so überragend, kann das Spiel nicht reissen, dazu braucht es um ihn herum die passenden Spieler. Er hatte eben auch ein fantastisches Team um sich. Das war in anderen Ländern auch nicht anders: In Holland stellten sie ein Team um Johan Cruyff zusammen, in Italien eines um Rivera, in Brasilien um Pelé, um ein paar zu nennen.
In Deutschland wurde Franz Beckenbauer von den Massen verehrt und zum «Kaiser» gemacht. Zu Recht?
Aus Deutschland war er für mich der grösste Fussballer aller Zeiten, mindestens auf gleicher Stufe wie Maradona, Pelé, Rivera. Beckenbauer trieb Deutschland vorwärts. Er hatte als Spieler gute Sekundanten, wie ich schon gesagt habe. Das habe ich ja selbst auch erlebt beim FC Basel, ich hatte auch immer ein gutes Team, das mich unterstützte. Beim FC Zürich beispielsweise war Köbi Kuhn die zentrale Figur.
Wie ging Beckenbauer mit den Spielern der gegnerischen Mannschaften um? Denn die hatten ja wohl nicht viel zu lachen …
Franz war immer korrekt auf dem Platz, ob es nun Mitspieler oder Konkurrenten waren. Auch neben dem Platz gab es nichts zu kritisieren, er verhielt sich immer vorbildlich und ist nie abgehoben. Auch als er nicht mehr spielte. Ich vergesse nie, wie ich in einem Münchner Restaurant, wo wir uns zufällig begegneten, von ihm herzlich und spontan begrüsst wurde. Ich habe seinen weiteren Lebensweg natürlich verfolgt, ebenso seine Bayern.
Wie haben Sie den Trainer Beckenbauer erlebt?
Er war im zwischenmenschlichen Bereich sehr stark. Er führte ja nicht irgendeine Truppe, sondern das deutsche Nationalteam mit vielen Stars. Rudi Völler und all die anderen, die mussten geführt werden. Das geht nicht einfach mal so. Er hatte das besondere Flair, und er strahlte eine ungewöhnliche Aura aus.
Schliesslich wirkte der «Kaiser» als Fussballfunktionär, unter anderem als OK-Präsident der Fussball-WM 2006 in Deutschland.
Dass diese WM in Deutschland stattfinden konnte, haben die Deutschen vor allem ihm zu verdanken. Danach wurde ihm vorgeworfen, 6 Millionen dafür eingesetzt zu haben, um beim Fussball-Weltverband die richtige Stimmung zu erzeugen. Dass sie ihm die 6 Millionen «angehängt» haben, verstehe ich eigentlich nicht. Er musste ja Überzeugungsarbeit leisten, das ist doch gang und gäbe bei solchen Dingen. Fest steht: Die WM in Deutschland war ein einziges, riesiges Fest. Wir haben es doch alle genossen. Besonders in Dortmund habe ich es sehr schön empfunden.