AUSGEFRAGT | CLAUDIA RÄBER UND GIUSEPPE PUGLISI, ANBIETER VON SICHERHEITSTRAININGS
26.01.2024 Gesellschaft, Polizei, Gesellschaft«Gelassen und trotzdem parat sein»
Der Frauenverein Niederdorf organisiert für seine Mitglieder in Liestal den Workshop «Mentale Stärke und Selbstverteidigung». Das Leitungsteam stellt sich vor und gibt einen Einblick, was die Frauen erwarten ...
«Gelassen und trotzdem parat sein»
Der Frauenverein Niederdorf organisiert für seine Mitglieder in Liestal den Workshop «Mentale Stärke und Selbstverteidigung». Das Leitungsteam stellt sich vor und gibt einen Einblick, was die Frauen erwarten können.
Brigitte Keller
Frau Räber, Herr Puglisi, morgen Samstag bieten Sie gemeinsam den exklusiven Workshop für Frauen «Mentale Stärke und Selbstverteidigung» an. Wie kam Ihre Zusammenarbeit zustande?
Claudia Räber: Als ich als Polizistin angefangen hatte zu arbeiten, hatte ich schnell das Bedürfnis, mich persönlich weiterzuentwickeln, um bei einer gefährlichen Situation noch besser vorbereitet zu sein, falls ich mich verteidigen müsste. So habe ich Giuseppe Puglisi kennengelernt, der damals Ausbildner war bei der Polizei. Das ist jetzt über 20 Jahre her.
Giuseppe Puglisi: Claudia Räber war 2004 die erste Frau in der Schweiz, welche die Ausbildung zur Krav-Maga-Instruktorin abgeschlossen hatte. Schon bald haben wir angefangen, zusammen Kurse zu entwickeln, die sich speziell an Frauen richteten. Das ganze Programm haben wir auch verfilmt und veröffentlicht. Natürlich passen wir die Kurse laufend den neuen Gegebenheiten an.
Der Anteil an Frauen in allen Ihren Kursen wächst ständig. Wer kommt in Ihre Kurse und aus welchen Gründen?
Räber: Einerseits hat es damit zu tun, was in der Welt und auch bei uns in der Region Basel passiert. Immer wieder liest oder hört man von Übergriffen. Das verunsichert. Viele Frauen wollen es aber nicht einfach hinnehmen, sondern etwas tun, um besser auf solche Situationen vorbereitet zu sein. Viele der Frauen, die unsere Workshops besuchen, befanden sich selber schon in einer beängstigenden Situation oder kennen jemanden in ihrem Umfeld.
Puglisi: Im Anmeldeformular fragen wir immer, ob jemand bereits ein negatives Erlebnis hatte. Falls die Person einverstanden ist, kann es als Beispiel im Workshop dienen. Wichtig ist auch, sich bewusst zu sein, dass während des Workshops plötzlich Erinnerungen hochkommen könnten. Wenn wir davon wissen, können wir achtsam damit umgehen.
Räber: Ich erinnere mich ganz besonders an eine Teilnehmerin, die beim Übergriff auf eine Kollegin anwesend war und sich noch heute, nach über 20 Jahren, vorwirft, dass sie damals so hilflos war und nichts unternommen hatte.
Puglisi: Richtig, Personen, die «nur» als Aussenstehende einen Übergriff miterleben, können genauso darunter leiden, manchmal sogar noch heftiger.
Was ist das Besondere an Ihren gemeinsamen Workshops?
Räber: Da ist einmal die Kombination Mann und Frau, die sehr effektiv ist. Es macht mehr Eindruck, wenn ich als Frau den Teilnehmerinnen zeige, wie ich mich erfolgreich wehren kann. Und Giuseppe kann einen angreifenden Mann simulieren, was für deutlich mehr Authentizität sorgt, als wenn sich zwei Frauen gegenüberstehen. Und dann ist da natürlich unsere jahrelange Erfahrung als Polizistin und Polizist. Neben all dem theoretischen Wissen können wir zurückgreifen auf unsere langjährige Arbeit und Situationen, die sich daraus ergeben haben.
Puglisi: Grosses Gewicht legen wir bei unseren Kursen auf die mentale Stärke: Wie trete ich auf, wie verhalte ich mich, wie nutze ich meine Stimme? Denn im besten Fall kommt es gar nicht zu einem Übergriff. Für den Fall, dass es trotzdem brenzlig wird, zeigen und üben wir eben auch Techniken der Selbstverteidigung.
Was kann aus einem dreistündigen Workshop mitgenommen werden?
Räber: Ganz viel, davon sind wir überzeugt. Nach einem Einstieg zum Mindset – «Ich kann mich wehren!» – zeigen wir zuerst, was ein guter Stand ist.
Puglisi: Ein sicherer Stand und damit auch die Möglichkeit, schnell reagieren und wegrennen zu können ohne zu stürzen, ist wichtig und schon die halbe Miete.
Räber: Danach geht es weiter mit dem Thema «Begegnungen». Wie verhalte ich mich, wenn ich jemandem ausweichen oder jemanden stoppen will? Im weiteren Verlauf üben wir, sich aus Notfallsituationen zu befreien. Im Kurslokal stehen dafür sogenannte «Dummies» und Köpfe aus Gummi zur Verfügung, an denen die Frauen üben können, wie es sich anfühlt, notfalls jemanden ins Gesicht zu schlagen. Denn im Notfall muss eine Technik wirklich konsequent angewendet werden, um effizient zu sein.
Haben Sie weitere konkrete Beispiele, was die Teilnehmerinnen in Ihrem Workshop lernen können?
Räber: Da sind beispielsweise die Themen «Mentale Vorbereitung» und «Gefahrenradar». Wie gehe ich zum Beispiel nach Mitternacht zu meinem Auto in der Tiefgarage oder zum Parkplatz im Dunkeln? Mit eingezogenem Kopf, oder gar noch mit Handy vor der Nase und Kopfhörern auf den Ohren? Oder gehe ich ganz bewusst, aufmerksam und nehme meine Umgebung wahr? Das strahlt eine ganz andere Wirkung aus. Die mentale Vorbereitung ist ein wichtiges Thema. Falls jetzt etwas wäre, was könnte ich tun? Um nur ein Beispiel zu nennen, könnte ich in solchen Momenten die Nummer des Partners oder der Polizei auf dem Handy bereits vorgewählt haben und sofort anrufen. Die eigene Wahrnehmung zu schärfen, lohnt sich. Das kann jede und jeder in den Alltag einbauen und trainieren.
Puglisi: Das Wichtigste ist, in Ausnahmesituationen einen möglichst klaren Kopf zu behalten. Gelassen und trotzdem parat sein, notfalls zu signalisieren: Ich kann mich wehren.
Räber: Genau. Wie intelligent gehe ich mit meinen Emotionen um? Was «triggert» jemanden? Das habe ich immer wieder gesehen bei meiner Tätigkeit als Polizistin: Erkennen, wie jemand seine Emotionen im Griff hat, oder anders gesagt, «managen» kann, das ist das A und O. Das und noch weitere Themen sind Teil unseres Workshops.
Zu den Personen
bk. Claudia Räber ist im Aargau aufgewachsen. Für die Ausbildung zur Polizistin kam sie ins Baselbiet und arbeitete während 24 Jahren bei der Polizei Basel-Landschaft, 14 Jahre davon im Ausseneinsatz. Seit Anfang Jahr ist sie in Vollzeit tätig für ihr eigenes Unternehmen, mit dem sie Sicherheitstrainings für Frauen, Leadership Trainings sowie Coaching anbietet. Sie ist 48 Jahre alt und verheiratet.
Giuseppe Puglisi stammt aus der Region und war ebenfalls lange Jahre bei der Baselbieter Polizei in verschiedenen Funktionen tätig, zuletzt als Ausbildner. Als Hobby betrieb er schon immer Kampfsport und gründete nebenbei vor über 35 Jahren die Kampfsportschule Budo in Liestal. Er ist 61 Jahre alt, verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne und einen Enkel.