Auf dem Weg in den Süden
13.06.2025 PersönlichDas Misox ist eines der weniger bekannten Täler der Schweiz. Als das Schweizer Fernsehen unlängst einen Bericht darüber ausstrahlte, hiess es in der Ankündigung, es befinde sich im «zauberhaften Tessin». Wenn man dies vor Ort öffentlich so äussern ...
Das Misox ist eines der weniger bekannten Täler der Schweiz. Als das Schweizer Fernsehen unlängst einen Bericht darüber ausstrahlte, hiess es in der Ankündigung, es befinde sich im «zauberhaften Tessin». Wenn man dies vor Ort öffentlich so äussern würde, wäre man einen Kopf kürzer, denn das Misox (oder Val Mesolcina, wie es in der Sprache heisst, die dort gesprochen wird) gehört selbstverständlich zum Kanton Graubünden. Dabei ist es einigermassen erstaunlich, dass das Misox nicht bekannter ist. Jede und jeder ist wohl schon durchgefahren, wenn es am Gotthard staute und man die A13 via San Bernardino als Ausweichroute nahm. Doch kaum jemand hält an und steigt aus. Dabei gibt es dort einiges zu sehen. Und in diesem Sommer sogar noch etwas mehr als sonst.
Ich kam meiner Frau wegen ins Misox. Genauer zeigte sie mir einen Ort namens Soazza – und ich verliebte mich sogleich in das schroffe Tal mit seinen begnadeten Metzgern und den steilen Velowegen, den unter Steinen schlafenden Skorpionen und diesem Mix aus waldiger Bergwelt und südlicher Palmen-Romantik. Schon nur die uralten Kastanienbäume in ihren Selven sind eine Reise wert! Soazza ist der Ort, wo wir nicht nur Ferien verbringen, sondern auch arbeiten. Es ist eine ideale Umgebung, um Ideen zu haben und auf andere Gedanken zu kommen. Nun, irgendwann hatte meine Frau eine dieser Ideen: Wir könnten doch ein paar Künstler und Künstlerinnen einladen, um zu sehen, wie sie den Ort sehen – und dann sollen sie Kunstwerke für diesen Ort erschaffen. Wie es Ideen manchmal so an sich haben: Sie machen viel Arbeit, wenn man an sie glaubt und weiterverfolgt. Nun aber ist diese Idee dank vieler helfender Hände und Hirne konkret geworden – morgen Samstag eröffnet die Ausstellung ArteSoazza. Über drei Monate hinweg sind Kunstwerke von zehn Künstlerinnen und Künstlern zu sehen, die eigens für den Ort geschaffen wurden, etwa von Roman Signer oder von Bob Gramsma. Er zeigt eine Skulptur aus verbogenen Leitplanken und Geländern, welche nach dem schrecklichen Murgang im vergangenen Jahr von einer zerstörten Brücke im Nachbardorf übrig geblieben sind. «ArteSoazza» ist jeden Tag geöffnet, der Eintritt ist gratis, ein Parcours lädt ein, die Kunst spazierend zu entdecken, aber auch das Dorf kennenzulernen.
Sicherlich sind viele in diesem Sommer auf dem Weg in den Süden. Also einfach von der Autobahn abfahren und in Soazza eine Pause einlegen, die Beine vertreten und ein bisschen Kunst anschauen. Davor oder danach im schattigen Grotto eine kalte Gazosa zu trinken, ist sicherlich auch nicht verkehrt. Und eben: Die Metzger im Tal sind genial. Zum Beispiel die Macelleria Alpina in Mesocco oder Bernasconi-Fumagalli in Grono.
Max Küng wurde 1969 geboren und ist auf einem Bauernhof in Maisprach aufgewachsen. Heute lebt er mit seiner Familie in Zürich und ist ein landesweit bekannter Kolumnenschreiber.