«Arbeit des Bundesrats wurde beeinträchtigt»
21.11.2023 Schweiz, Rünenberg, WahlenDer Rünenberger SVP-Nationalrat Thomas de Courten hat die Corona-Indiskretionen untersucht
Am Freitag wurde der Untersuchungsbericht zu den sogenannten Corona-Leaks vorgestellt. Zur Arbeitsgruppe, welche die Indiskretionen nachgewiesen hat, gehört der Rünenberger ...
Der Rünenberger SVP-Nationalrat Thomas de Courten hat die Corona-Indiskretionen untersucht
Am Freitag wurde der Untersuchungsbericht zu den sogenannten Corona-Leaks vorgestellt. Zur Arbeitsgruppe, welche die Indiskretionen nachgewiesen hat, gehört der Rünenberger SVP-Nationalrat Thomas de Courten. Er wählt deutliche Worte.
sda./vs. Die zahlreichen Indiskretionen rund um Covid-19-Geschäfte können nicht direkt SP-Gesundheitsminister Alain Berset angelastet werden. Jedoch habe er wie alle anderen Bundesratsmitglieder zu wenig gegen die Leaks unternommen. Zu diesem Schluss kommt die parlamentarische Oberaufsicht.
Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat (GPK) veröffentlichten am Freitagabend ihren mit Spannung erwarteten Untersuchungsbericht. Eine Arbeitsgruppe hatte untersucht, zu wie vielen Indiskretionen es gekommen war und sich dabei auf die Rolle von Bersets Innendepartement fokussiert. Der gesamte Bundesrat, ebenso der Bundeskanzler und mehrere Angestellte wurden befragt, weil es in allen Departementen zu Indiskretionen gekommen war.
Aufgrund der «sehr lückenhaften Quellenlage» hätten die Untersuchungsfragen nicht abschliessend beantwortet werden können, heisst es im Bericht. Offensichtlich wird aber das grosse Ausmass der Indiskretionen aus dem Bundesrat. Unter 500 untersuchten Zeitungsartikeln von 24 Medientiteln basierten laut der GPK rund 200 sicher auf Indiskretionen. «Von 50 analysierten Sitzungen des Bundesrates waren 38 kontaminiert», sagte SVP-Nationalrat Thomas de Courten vor den Medien in Bern. Der Rünenberger ist Mitglied der GPK und Vizepräsident der Arbeitsgruppe, welche die Corona-Leaks untersucht hat. Er sagt, dass die Indiskretionen die Arbeit des Bundesrats beeinträchtig haben (siehe Interview unten).
So hätten die Indiskretionen zu einem Vertrauensverlust im Bundesrat geführt und konkrete Auswirkungen auf dessen Beschlussfassung gehabt, wie die GPK festhalten. Verschiedene Medien hätten besonders häufig über «klassifizierte Informationen» verfügt und darüber berichtet. Die beiden grossen Medienhäuser Tamedia und Ringier – dazu gehört etwa der «Blick» – haben laut de Courten am häufigsten über geleakte Inhalte berichtet.
Berset teilweise entlastet
Marc Walder, CEO der Ringier AG, habe vom ehemaligen Kommunikationschef des Innendepartements, Peter Lauener, vertraulich klassifizierte Informationen erhalten, schreiben die GPK weiter. Die Auswertung der Medienberichterstattung habe aber «keine Hinweise auf die Verwendung der übermittelten Informationen in der Berichterstattung ergeben».
Berset wusste laut den GPK vom regelmässigen Kontakt zwischen Lauener und Walder. Es lägen jedoch keine Nachweise vor, wonach er über den konkreten Inhalt dieses Austausches informiert gewesen sei oder dass die Indiskretionen in seinem Auftrag erfolgt seien. Letztlich sei der Sachverhalt nicht abschliessend beurteilbar.
Allerdings ist es für die GPK nur beschränkt nachvollziehbar, dass Berset im Wissen um diese Kontakte und die zahlreichen und wiederholt auftretenden Indiskretionen zu Geschäften seines Departements keine spezifischen Massnahmen ergriffen hat. Gegenüber der GPK habe Berset betont, die Indiskretionen könnten unmöglich aus seinem Departement kommen.
Klar sei, dass die Massnahmen gegen solchen Indiskretionen nicht gegriffen hätten, sagte de Courten. «Wenn Indiskretionen geschehen, muss dies auch aktiv im Bundesrat thematisiert werden.» Während der Corona-Krise habe im Bundesrat «eine gewisse Resignation» geherrscht. Keiner habe die Durchsetzungskraft gezeigt, um diese Indiskretionen zu unterbinden. Auch in der jüngeren Vergangenheit habe es wieder Indiskretionen gegeben. Aufgrund der von den Bundesräten betonten Nulltoleranz sei dies «erstaunlich».
Eine wichtige Massnahme im Kampf gegen Indiskretionen stellt aus Sicht der Kommissionen die konsequente Einreichung einer Strafanzeige wegen einer Amtsgeheimnisverletzung dar. Auch brauche es klarere Regeln für Hintergrundgespräche von Kommunikationsverantwortlichen mit Medienvertretern sowie für Debriefings der Bundesräte mit ihren Stabsmitarbeitenden. Insgesamt richten die GPK neun Empfehlungen an den Bundesrat.
Dieser muss bis Anfang Februar zum Bericht Stellung nehmen. Bereits am Freitagabend reagierte Bersets Innendepartement (EDI). Es hob unter anderem hervor, «dass die regelmässigen Kontakte zwischen dem EDI und dem CEO von Ringier in den Kontext von dessen Unterstützungsbereitschaft und entsprechende Projektideen gehörten». Das EDI kritisiert den GPK-Bericht. Dieser fokussiere einseitig auf den ehemaligen Kommunikationschef des EDI.
NACHGEFRAGT | THOMAS DE COURTEN, SVP-NATIONALRAT UND VIZEPRÄSIDENT DER GPK-ARBEITSGRUPPE, RÜNENBERG
Herr de Courten, die Arbeitsgruppe konnte zahlreiche Indiskretionen direkt aus dem Bundesratszimmer nachweisen. Waren Sie überrascht vom Ausmass?
Thomas de Courten: Die Menge hat mich nicht überrascht. Erschreckend fand ich aber, welche Auswirkungen die Indiskretionen auf die Arbeit des Bundesrats hatten. Das Misstrauen untereinander führte dazu, dass bewährte Regeln nicht mehr eingehalten wurden: Konsultationen von Ämtern und Stabsstellen, also Experten, wurden bei Covid-19-Geschäften nicht mehr ausreichend durchgeführt. Entscheide des Bundesrats waren deshalb nicht breit abgestützt – und das in einer Krisensituation. Das geht nicht.
Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass Bundesrat Alain Berset (SP) Kenntnis vom Inhalt der vertraulichen Informationen hatte, die sein ehemaliger Kommunikationschef weitergab. Weshalb nicht?
Wir konnten keine schriftlichen Belege für diesen Vorwurf finden, also die Kausalkette nicht schliessen. Doch wir konnten nachweisen, dass als vertraulich klassifizierte Informationen aus dem Innendepartement an gewisse Medien weitergegeben wurden. Diese Fakten liegen auf dem Tisch. Sie zeigen ein ziemlich vollständiges Bild: Eine zu lasche Führung ermöglichte die Indiskretionen.
Verschiedene Medien kritisieren, dass der Arbeitsgruppe der Wille gefehlt habe, tiefer zu graben. Weshalb wurde nur das Innendepartement durchleuchtet?
Nachdem die engen Kontakte zwischen dem ehemaligen EDI-Kommunikationschef und dem Ringier-CEO bekannt geworden waren, erhielten wir den klaren Auftrag, die Vorgänge im Innendepartement zu untersuchen. Alleine das war mit einem enormen Aufwand verbunden. Hinzu kommt, dass wir den Untersuchungsbericht noch vor dem Ende der laufenden Legislatur veröffentlichen wollten, was wir nun geschafft haben.
Konkrete Verantwortliche für die Indiskretionen konnten keine ausgemacht werden. Wäre es im Nachhinein besser gewesen, eine parlamentarische Untersuchungskommission einzusetzen?
Nein. Für die Strafverfolgung sind die Gerichte zuständig. Als parlamentarisches Gremium konzentrierten wir uns auf die politische Untersuchung. Dabei haben wir dem Bundesrat neun Empfehlungen übergeben. Denn entscheidend ist nicht die Schuldzuweisung, sondern, dass die Indiskretionen gestoppt werden.
Interview Janis Erne