Amerikas Takt – Chinas Schatten
30.10.2025 Bezirk LiestalWarum Digitalisierung und China die US-Politik antreiben
China als Fixstern, KI als Beschleuniger: SRF-Korrespondent Pascal Weber zeigt am Gesprächsabend in der Kantonsbibliothek Liestal, wie Digitalisierung und Machtverschiebung die Vereinigten Staaten verändern.
...Warum Digitalisierung und China die US-Politik antreiben
China als Fixstern, KI als Beschleuniger: SRF-Korrespondent Pascal Weber zeigt am Gesprächsabend in der Kantonsbibliothek Liestal, wie Digitalisierung und Machtverschiebung die Vereinigten Staaten verändern.
Nikolaos Schär
«China, China, China – das steht über allem.» Mit diesem Satz setzt Pascal Weber früh den Rahmen. Der SRF-Korrespondent beschreibt am Gesprächsabend in der vollen Kantonsbibliothek die USA als Land, das von zwei «tektonischen Verschiebungen» – der rasenden Digitalisierung im Inneren und dem permanenten China-Vergleich nach aussen – angetrieben wird.
Selbst widersprüchliche Aussenpolitik wie das Umgarnen von Moskau im Lichte des Ukraine-Kriegs werde lesbar, wenn man den China-Filter anlegt: Das Ziel sei, Russland nicht tiefer in Pekings Arme zu treiben, kritische Rohstoffe zu sichern und Abhängigkeiten zu reduzieren.
Der politische Betrieb passt sich dem beschleunigten Takt der Digitalisierung an. Weber beschreibt keine Technikbegeisterung, sondern Machtkonzentration. Noch nie hätten so wenige Menschen so viel ökonomische, mediale und politische Steuerkraft besessen. Das verändere nicht nur Geschäftsmodelle, sondern auch Wahrnehmung: Algorithmen belohnen die sofortige Reaktion – und entwöhnen die Öffentlichkeit vom langsamen Abwägen. Die Politik passt sich an: «You have to win the day» ist für Weber mehr als eine Wahlkampf-Floskel; es ist ein Betriebssystem. Wer den Tag gewinnt, dominiert den Nachrichtenfluss, setzt die Themen von morgens bis abends – und zwingt Medien wie Gegner in eine Taktung, die langfristige Planung schwächt. «Wir Medien laufen hinterher», sagt er, «und wir haben noch keine Antwort auf eine Politik, die den ‹Newscycle› Tag für Tag dominiert».
Das verändert Arbeitsmärkte ebenso wie die Informationsordnung. Algorithmen belohnen die sofortige Reaktion; Verfahren, die früher «Wahrheit» herstellten wie Statistik, Expertise, Verwaltung und die Debatte geraten unter Druck. Wenn Weber über den US-Präsidenten Donald Trump spricht, vermeidet er Psychologisierungen. Ihn interessiere die Praxis Trumps, die «den Tag gewinnt».
«Project 2025»: Horrendes Tempo
Trumps zweite Amtszeit unterscheidet Weber in drei Punkten von seiner ersten: mehr Rücksichtslosigkeit, mehr Organisation, mehr Tempo. Chiffre dafür ist das «Project 2025», der konservative Umbauplan für die Bundesregierung. Nach Webers Auswertung sind rund 48 Prozent der Vorhaben umgesetzt: Behörden wie «USAID» (Entwicklungshilfe) wurden abgewickelt oder geschwächt, Kommissionen abgeschafft, Kompetenzen in Ministerien neu zugeschnitten. Vieles geschehe «an hellichtem Tag»: Trump kündigt an, verfügt und lässt sich vor Gericht ziehen. Die Öffentlichkeit sehe dabei alles, könne jedoch wenig davon verarbeiten, so Weber. Die Arbeit der Journalisten sei durch diese bewusste Transparenz der Vorgänge einfacher geworden. Doch künftige Entwicklungen, wie die Verkürzung des Journalisten-Visa und dessen Bewilligung durch das Offenlegen der eigenen Social-Media-Kanäle, sind eine Herausforderung, um nicht die «Schere im Kopf» anzuwenden, sprich sich nicht selbst zu zensieren.
Die Zentralisierung der Macht in den Händen des US-Präsidenten werde gemäss dem Umbauplan mit dem Argument begründet, dass der US-Präsident der einzige Amtsträger sei, der vom gesamten Volk gewählt wird, so Weber.
Die Einschränkung des Wahlrechts fasst Weber mit bekannten Schlagwörtern: der Briefwahl, die Trump einschränken will, «Gerrymandering», dem Neuziehen von Wahlkreisen auf Bundesstaatsebene, um «Gratis-Sitze» zu gewinnen, und «Checks and Balances», die das Parlament nicht mehr wahrnehme und welche die Gerichte mit ihren langsamen Mühlen vor Herausforderungen stellen. Ist die USA noch eine Demokratie? Für Weber ist das schwer messbar. Einen Prüfstein findet er dennoch: Was kostet Widerrede? «Heute spürbar mehr als früher», sagt er; Kosten reichen von Karriere- und Finanzierungsdruck bis zu öffentlicher Diffamierung.
Wie sehr sich Trumps Politik und dessen Auswirkungen reiben, zeige der Blick in die weite Fläche der USA. Wochenlang ist Weber durch Iowa, Utah, New Mexico und Colorado gefahren. Dort begegneten ihm Sojabohnenfarmer, die unter Zöllen und gestrichenen Abnahmeprogrammen leiden – China fällt als Hauptabnehmer weg, «USAID» als zweiter Kanal ebenso – und die dennoch sagen: «Wahrscheinlich müssen wir da durch.» Das relativiert den alten Satz: «It’s the economy, stupid». Das ökonomische Argument für oder gegen eine Politik hielt Weber immer für gültig. Doch Trumps Versprechen, die Vereinigten Staaten zur alten Grösse zurückzuführen («Make America great again»), überdeckt die konkreten ökonomischen Nachteile, die durch seine Politik entstehen. Besonders sein Optimismus verfange in einer Gesellschaft, die nicht mehr an seine Aufstiegserzählung («American Dream») glaube und mittlerweile von einem starken Pessimismus durchdrungen sei, sagt Weber.
Und was macht das mit Europa? Für Weber steht der Kontinent an einem neuralgischen Punkt. «Wir haben keine militärische und kaum technologische Souveränität.» Seine Folgerung ist unsentimental: «Nehmen wir den Weckruf an – holen wir kluge Leute, bauen wir Universitäten und Innovation aus. Sonst bleibt die Abhängigkeit.»
An Prognosen beteiligt sich Weber ungern. «Ich weiss es nicht», sagt er, auf die Frage, ob Trump für seine Politik bei den Zwischenwahlen («Midterms») abgestraft werde, und fügt an: «An Prognosen glaube ich seit 2017 nicht mehr.» Damals habe niemand vorausgesehen, dass Trump die Wahl gewinnen werde, so Weber. Seine Aufgabe als Auslandskorrespondent sei es, aus der Distanz zu beobachten, Verfahren zu erklären, Zweifel zu markieren und Raum zu lassen.
Zum Ende schlägt Weber den Bogen zur Sprache der Republikaner. Nach einem Attentat auf Charlie Kirk, eine prominente Figur der rechten Szene, habe er auf politische Fragen häufiger religiöse Antworten erhalten; Rituale und Symbole gewännen an Gewicht. Die «Maga»-Bewegung klinge «kirchlicher». Diese Aufladung trifft, so Weber, auf die Ideologie mancher «Tech Bros»: der Glaube an Disruption und Monopol, an Fortschritt als Heilsweg – eine säkularisierte Erlösungserzählung, die Politik als Hindernis betrachtet. Entsteht daraus eine dauerhafte Allianz aus religiöser Frömmigkeit und technokratischem Erlösungsdenken? «Ich weiss es nicht», sagt Weber – und lässt es bewusst dabei. Sicher scheint ihm nur: Der digitale Umbau geht weiter. Und über allem steht – noch immer – China.

