Altlast mit 170 Tonnen Arsen
30.11.2023 BaselbietPratteln | Die Sanierung der «Rheinlehne» wird knapp 180 Millionen Franken kosten
Das stark mit Arsen belastete «Rheinlehne»-Areal in Pratteln wird saniert. Der Kanton Baselland und die heutigen Grundeigentümer haben eine Kooperationsvereinbarung ...
Pratteln | Die Sanierung der «Rheinlehne» wird knapp 180 Millionen Franken kosten
Das stark mit Arsen belastete «Rheinlehne»-Areal in Pratteln wird saniert. Der Kanton Baselland und die heutigen Grundeigentümer haben eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Die Sanierungskosten belaufen sich auf 179 Millionen Franken.
tho./sda. Mit der Vereinbarung werden die Projektorganisation und weitere Rahmenbedingungen geregelt sowie das kantonale Hochbauamt mit der Umsetzung der Sanierung beauftragt, wie die Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD) am Dienstag mitteilte. Die Arbeiten für die Ausführung werden zwei bis drei Jahre dauern.
Das bewilligte Sanierungsprojekt sehe einen Aushub der am stärksten mit Arsen belasteten Bereiche mittels konventionellen Aushubs sowie Austauschbohrungen in grundwasserführenden Bereichen des Areals vor. Durch den Aushub von etwa 120 000 Kubikmetern Material soll das Schadstoffpotenzial um rund 98 Prozent verringert werden. Das Material, so heisst es auf Nachfrage bei der BUD, werde «entsprechend seines Belastungsgrads auf geeigneten Deponien im In- und Ausland abgelagert».
Zur Verhinderung von zusätzlichen Schadstoffmobilisierungen während der Sanierung werde eine «umfassende hydraulische Sicherung» installiert. Vorgesehen ist, dass Grundwasser mittels mehrerer Sicherungsbrunnen abgepumpt, gereinigt und in den Rhein geleitet wird.
Neue Gebäude geplant
Die Kosten der rund dreijährigen Sanierung belaufen sich Stand heute auf 179 Millionen Franken. Der Bund hatte im Juni bekannt gegeben, dass er im Zeitraum von 2024 bis 2029 schweizweit 265 Millionen Franken für die Sanierung von Altlasten ausgeben will – darunter etwa 70 Millionen Franken für die «Rheinlehne». 3 Millionen Franken wird der jetzige Arealbesitzer an die Kosten beisteuern. Auf der «Rheinlehne» sind fünf grössere, mehrgeschossige Gewerbegebäude mit Wohnungen in den obersten Etagen geplant. 500 Arbeitsplätze sollen dort entstehen, sagte der Besitzer im Januar 2016 der «bz Basel». Er verfüge über die Baubewilligung und er sei zuversichtlich, dass die ersten Gebäude 2018 bezogen werden könnten, sagte er damals. Dies war angesichts der giftigen Hinterlassenschaft der Gelände-Vorbesitzer eine zu optimistische Annahme.
Firma ohne Nachfolger
Die inzwischen nicht mehr existierende Firma F. Petersen & Sichler hatte zwischen 1862 und 1908 auf dem Areal gegenüber der Saline Schweizerhalle den intensiven rotblauen Farbstoff «Fuchsin» hergestellt. Fuchsin – benannt nach der Zierpflanze Fuchsie – kommt der Druck-Grundfarbe Magenta nahe und wurde vor allem in der Textil- und Lederindustrie eingesetzt. Zur Herstellung kamen grosse Mengen Arsensäure und Anilinöl zum Einsatz – eine giftige Rezeptur: Bereits 1895 wurde Fuchsin erstmals als Auslöser für Blasenkrebs beschrieben. Die Farbproduktion bildete den Ausgangspunkt für die Entwicklung der bedeutenden chemischen Industrie in der Region Basel.
Wegen der Ablagerung von Produktionsabfällen sowie damals undichten Abwasserleitungen auf dem «Rheinlehne»-Areal soll der Untergrund heute mit 170 Tonnen Arsen stark belastet sein. Die Verunreinigungen reichen gemäss dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) teilweise bis in eine Tiefe von zehn Metern und somit in Bereiche, die das Grundwasser durchströmt.
Dies ist umso problematischer, weil Arsen wasserlöslich ist, wie das Bafu auf seiner Website schreibt: Täglich werden dort durchschnittlich 900 Gramm Arsen ausgewaschen. Im Grundwasser werde das Arsen zwar verdünnt, überschreite aber dennoch deutlich die für einen Sanierungsbedarf massgebenden Konzentrationen. Arsen könne potenziell zwar durch den Untergrund in den Rhein sickern, fliesse aber momentan hauptsächlich zu den Brauchwasserpumpen zweier Industriebetriebe in der Umgebung.
Belastetes Material verteilt
Im Jahr 1950 ist die Altlastensituation auf dem «Rheinlehne»-Areal unbeabsichtigt verschlimmert worden, wie das Bafu in seinem Bericht festhält. Damals wurden alte Gebäude abgebrochen und durch neue ersetzt. Mit dem Bauschutt sei ein Abhang ausgeebnet worden und dabei sei «die gefährliche Hinterlassenschaft der früheren Betriebe über eine Fläche von 30 000 Quadratmeter verteilt worden», so das Bafu. Analysen ermittelten neben Arsen auch umweltschädliche polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und verschiedene Schwermetalle im Untergrund. Die einstige Firma F. Petersen & Sichler war in französischer Hand. Der Firmengründer war seinerzeit in die Schweiz ausgewichen, weil in Frankreich eine andere Firma das Monopol auf die Produktion von Fuchsin hatte. 1908 verstarb der Firmengründer, worauf die F. Petersen & Sichler in der «Chemischen Fabrik Schweizerhalle» aufging, wie es in einer historischen Festschrift heisst. Eine Rechtsnachfolge für heute noch existierende Unternehmen lasse sich daraus aber nicht ableiten: «Gemäss unserem Kenntnisstand wurde die Firma F. Petersen & Sichler damals liquidiert», heisst es bei der BUD. Somit bleiben die hohen Kosten für die Altlast an der öffentlichen Hand hängen. Rückstellungen dafür würden bereits seit rund 10 Jahren getätigt, so die BUD weiter, auf Ende dieses Jahres werden sie nochmals massiv erhöht und betragen dann 200 Millionen Franken. Künftig kann der Kanton Mittel aus der neuen Deponieabgabe für Altlastensanierungen verwenden. Das Stimmvolk hat einer entsprechenden Vorlage soeben zugestimmt.
Baselland sitzt auf einer weiteren bedeutenden Altlast: Mit der etwa 282 Millionen Franken teuren Sanierung der Deponie Feldreben auf Muttenzer Gebiet soll 2024 begonnen werden. 40 Prozent der Kosten wird voraussichtlich auch hier der Bund übernehmen. Dazu kommen Beiträge des Kantons Baselland, der Gemeinde Muttenz und der Industriegruppe, bestehend aus BASF Schweiz, Novartis und Syngenta. Die Deponie Feldreben war einst eine Kiesgrube und wurde von 1918 bis 1967 mit Hauskehricht, Bauschutt und Gewerbeabfällen aufgefüllt. Von 1940 bis 1957 lagerten auch Basler Chemie- und Pharmafirmen darin Abfälle ab. Nach der Schliessung wurde das rund 52 000 Quadratmeter grosse Gelände von Gewerbebetrieben überbaut und als Lastwagenterminal genutzt. Die Örtlichkeit ist vielen Baselbietern bekannt: Dort wurde während der Pandemie das Covid-19-Impfzentrum betrieben.