Als die Landräte in Sissach schlotterten
04.12.2025 RegionDie Gemeinde Sissach feiert heuer bekanntlich 800 Jahre – und die reformierte Kirche St. Jakob ihr 500-Jähriges. In unserer Serie «Das ist Sissach» beleuchtete der Sissacher Pfarrer Matthias Plattner jüngst, wie und wann endlich Licht und Wärme ins alte Gotteshaus ...
Die Gemeinde Sissach feiert heuer bekanntlich 800 Jahre – und die reformierte Kirche St. Jakob ihr 500-Jähriges. In unserer Serie «Das ist Sissach» beleuchtete der Sissacher Pfarrer Matthias Plattner jüngst, wie und wann endlich Licht und Wärme ins alte Gotteshaus einkehrten: Im Jahr 1899 lösten Glühbirnen die Fackeln, Kerzen und Laternen ab, 1924 wurde sodann eine Heizung installiert, die mit Warmwasser funktionierte. Zuvor gab es qualmende Holzöfen, welche im Sakralraum zuweilen für stark erhöhte Feinstaubwerte sorgten – nach Weihrauch roch das jedenfalls nicht. Geschlottert wurde im alten Gemäuer gleichwohl, selbst wenn der Sigrist (unter Protest) jeweils die ganze Samstagnacht durchheizen musste, damit der Gottesdienst am Sonntag überhaupt stattfinden konnte (siehe «Volksstimme» vom 21. November, Seite 7).
Von den unangenehmen Temperaturen in der Sissacher Kirche konnte auch die hohe Baselbieter Politik ein Lied singen. Vor 160 Jahren nämlich, man schrieb das Jahr 1865, zog das Kantonsparlament aus dem Landratssaal im Hauptort Liestal aus und tagte fortan im Exil in der Sissacher Kirche. Wohl der damalige Regierungsrat Christoph Rolle, eine ebenso wichtige wie umstrittene Figur zu jener Zeit, dürfte auf den Umzug vom «Stedtli» in den friedlich-ländlichen Bezirkshauptort Sissach hingewirkt haben. Laut seinem Biografen Albert Oeri verweigerte er sich den Sitzungen in Liestal. Oeri notierte 1905, dass Rolle sich 1865 in Liestal bedroht gefühlt habe und den Landratssaal kurzerhand mied. Vorausgegangen waren kleinere Tumulte auf der Landratstribüne. Die politischen Spannung zwischen den rivalisierenden Revisionisten («Revi») und den Antirevisionisten («Anti») hatten damals ihren Höhepunkt erreicht, was den als psychisch unstabil beschriebenen «Revi»-Anführer Rolle offenbar stark beunruhigte. Zuvor hatte der in Lausen wohnhafte Rolle im Streit den Lausner «Bären»-Wirt mit einem Messer schwer verletzt.
Jedenfalls schien sich der Regierungsrat mit Verfolgungswahn in Sissach besser aufgehoben zu fühlen als im Liestaler Regierungsgebäude. Nicht allerdings die Herren Landräte: Protokolle besagen, dass das Kantonsparlament ab dem 21. August 1865 in der Sissacher Kirche tagte und wohl bereits am 28. Oktober per Mehrheitsentscheid beschloss, dort rasch wieder auszuziehen. In einem späteren Dokument ist nachzulesen: «Da die Sissacher Kirche nicht oder nur ungenügend heizbar war, wurde beschlossen, wegen ‹rauher Witterung› die Sitzungen in den Sissacher ‹Löwen› zu verlegen» – in den Saal des Wirts Adolf Pümpin. Der Landrat tagte bis zum 10. April 1866 dort im offenbar wohligwarmen historischen Gasthaus. Danach folgten auf kantonaler Ebene Neuwahlen und anschliessend kehrte das Parlament nach Liestal in den angestammten Ratssaal zurück.
Süffige Details zu den Landratssitzungen in der Sissacher Kirche und im «Löwen» lassen sich in den Archiven leider nicht finden. Die Episode von 1865/66 zeigt jedoch, wie eng politische Debatten von Raum, Klima und menschlichen Schicksalen abhängen – und, dass es sich in einer warmen Beiz bei einem halben Roten auf jeden Fall besser politisieren lässt als frierend auf harten Kirchenbänken.
David Thommen
