Als das Musizieren noch Männersache war
18.09.2025 Bezirk LiestalDie Stadtmusik Liestal feiert dieses Jahr ihren 150. Geburtstag mit verschiedenen Aktivitäten. Sie war der erste Musikverein der Schweiz, der eine Frau aufnahm. Auch sonst hat der Blick in die Vergangenheit einige spannende Anekdoten zu bieten.
Hanspeter Thommen
...Die Stadtmusik Liestal feiert dieses Jahr ihren 150. Geburtstag mit verschiedenen Aktivitäten. Sie war der erste Musikverein der Schweiz, der eine Frau aufnahm. Auch sonst hat der Blick in die Vergangenheit einige spannende Anekdoten zu bieten.
Hanspeter Thommen
In einer Zeit des Überangebots an Freizeitbeschäftigungen und der Individualisierung der Gesellschaft haben es Vereine schwer. Viele litten derart unter Mitgliederschwund, dass sie aufgeben oder fusionieren mussten. Deshalb ist es bemerkenswert, wenn ein Verein sein 150-jähriges Bestehen feiern kann.
Die Jubilarin ist die Stadtmusik Liestal. Obwohl auch sie nicht von der wachsenden Konkurrenz und von der Veränderung der Gesellschaft verschont blieb, steht sie mit ihren 25 Aktivmitgliedern als gesunder Verein da.
Zwar wird in der Liestaler Heimatkunde von 1863 bereits eine Musikgesellschaft erwähnt. Doch diese scheint nicht lange existiert zu haben. Auf Antrag des Musiklehrers Jakob Rosenmund beschloss der Gemeinderat am 19. Juni 1875, die Gründung eines «Musikvereins der Stadt Liestal» zu unterstützen. 32 Musikanten – und solche, die es werden wollten – meldeten sich auf einen entsprechenden Aufruf. Später wurde der Verein umbenannt in «Stadtmusikverein Liestal», noch etwas später wurde das Wort «Verein» weggelassen.
Bereits vier Jahre nach der Gründung, im September 1879, nahm die Stadtmusik, zusammen mit sechs weiteren Vereinen, am ersten kantonalen Musikfest in Birsfelden teil. 1884 war die Stadtmusik selbst Organisatorin eines kantonalen Musikfestes.
Belohnungen und Bussen
Wie in vielen Vereinen gab es auch bei der Stadtmusik Liestal eine anfängliche Findungszeit mit vereinsinternen Spannungen und etlichen Wechseln in Vorstand und Direktion. Ausschlüsse von Mitgliedern wegen «Rüpelei» und «Trunkenheit» wurden vollzogen. An einem Hochzeitsständchen wurden die Musikanten von «Ausgestossenen» sogar mit Steinen beworfen. Ein Problem gab immer wieder zu Diskussionen Anlass: der mangelhafte Probenbesuch. Man versuchte, diesem Übel entgegenzutreten mit Massnahmen von Geldprämien für regelmässigen Besuch bis hin zu Bussen fürs Fernbleiben oder sogar Ausschluss nach dreimaligem unentschuldigtem Fehlen. Eine wirksame Lösung für dieses Problem hat jedoch auch heute noch kein Verein gefunden …
Mit den Jahren etablierte sich das Vereinsgeschehen und gelangte in geordnete Bahnen. Da früher nur sehr wenige Haushalte ein Telefon besassen, kommunizierte der Vorstand bis in die 1950er-Jahre, zum Beispiel Terminänderungen, mittels Inseraten in der Tagespresse. Die Verbreitung des Telefons und die spätere technische Entwicklung ergaben eine erhebliche Erleichterung der vereinsinternen Kommunikation.
Eine Vorreiterrolle spielte die Stadtmusik Liestal in Bezug auf die Gleichberechtigung. 1962 trat mit Stephanie Gisin-Vogt die erste Frau in die Stadtmusik und somit schweizweit die erste Frau in einen Musikverein ein. In der Männerwelt «Musik» schaffte dies einige Unruhe. Doch die männlichen Musikanten gewöhnten sich schliesslich daran.
Musikalisch vielfältig
Die Stadtmusik beteiligte sich aktiv am gesellschaftlichen Leben von Liestal. Sie organisierte neben ihrem Jahreskonzert jeweils ein Waldfest, anfangs waren es sogar zwei. Das Waldfest wurde später abgelöst durch einen Grillplausch im «Stedtli». In frühen Jahren nahm die Stadtmusik jedes Jahr am Fasnachtsumzug teil. Auch wenn sie am Umzug mit «ordentlichem Spiel» teilnahm, ist nicht auszuschliessen, dass daraus die eine oder andere Guggenmusik entstand.
Die Gesellschaft entwickelt sich. Die Stadtmusik Liestal bemühte und bemüht sich laufend, sich dieser Herausforderung zu stellen. Das fängt an bei der gespielten Musik. Längst beschränkt sich das Repertoire nicht nur auf Marschmusik oder konzertante Stücke. Gespielt wird wohl die ganze Palette der spielbaren Musik, sei es Rock, Pop, Funk, Musical oder Walzer. Es hat für jede Person etwas dabei, sei es zum Zuhören oder zum Mitspielen. Der Gang mit der Zeit spiegelt sich auch in der Uniform der Stadtmusik Liestal. Was mit einer militärgleichen Uniform – sogar mit Degen – begann, entwickelte sich zum heutigen modernen Anzug im speziellen schwarz/roten Design.
Was macht heute die Stadtmusik Liestal für neue Mitglieder attraktiv? Linda Stocker, PR-Verantwortliche des Vorstands, nennt vor allem das gute Klima und den guten Zusammenhalt im Verein. Jede Person setze bereitwillig ihre spezifischen Fähigkeiten, musikalischer oder anderer Natur, zum Gelingen der verschiedenen Projekte ein. Dies zeigte sich auch beim Höhepunkt des Jubeljahrs, einem Jubiläumsanlass unter dem Titel «Zeitreise in Bild und Ton», an dem die Stadtmusik das Jubiläum gemeinsam mit Partnervereinen feierte. Vereinspräsident Marco Ruch streicht dieselben Qualitäten der Stadtmusik heraus. Er blickt hoffnungsvoll in die Zukunft seines Vereins.
Die Stadtmusik Liestal wird im Jubiläumsjahr immer wieder zu sehen sein. Sie spielt zur Unterhaltung am Trüffelmarkt im «Stedtli», der diesen Samstag, 20. September stattfindet. Die Vereins- und Sportlerehrung von Liestal am 7. November wird von ihr musikalisch umrahmt. Das jährliche Kirchenkonzert, das am 30. November in der Stadtkirche Liestal stattfindet, darf auch nicht fehlen. Den Jahresabschluss bilden am 14. Dezember zwei «Weihnachtsständeli» beim Kantonsspital und am Weihnachtsmarkt.