Agri-PV – noch dominieren die Vorbehalte
16.07.2024 Baselbiet, LandwirtschaftEnergiegewinnung auf landwirtschaftlichen Flächen
Flächen, auf denen Beeren oder Trauben produziert werden, eignen sich für die Errichtung von Photovoltaikanlagen mit doppelter Wirkung: zur Energiegewinnung und zum Witterungsschutz für die Kulturen. Das Potenzial ...
Energiegewinnung auf landwirtschaftlichen Flächen
Flächen, auf denen Beeren oder Trauben produziert werden, eignen sich für die Errichtung von Photovoltaikanlagen mit doppelter Wirkung: zur Energiegewinnung und zum Witterungsschutz für die Kulturen. Das Potenzial für solche Agri-Photovoltaikprojekte wäre auch im Baselbiet vorhanden – zumindest theoretisch.
Thomas Gubler
Scheunendächer, bestückt mit Photovoltaikanlagen, gehören längst zum ländlichen Landschaftsbild und sind eine sinnvolle Art der Sonnenenergiegewinnung. Mittlerweile gibt es aber auch in der Schweiz Pilotprojekte, die einen wesentlichen Schritt weitergehen: Danach würden nicht nur die Dächer von Bauernhöfen mit Sonnenkollektoren versehen, auch landwirtschaftliche Kulturen sollten ein Kollektorendach erhalten. Die Rede ist von der Agri-Photovoltaik.
Die Idee hinter der Agri-Photovoltaik (Agri-PV) ist eine Art Doppelnutzung: auf einer landwirtschaftlichen Fläche werden Nutzpflanzen angebaut und gleichzeitig wird auf der gleichen Fläche durch Überdachung mit Sonnenkollektoren erneuerbarer Strom produziert. Und weil landwirtschaftliche Obst- und Beerenkulturen immer mehr durch extreme Witterungsverhältnisse bedroht sind, könnte eine Agri-Photovoltaikanlage zusätzlich sogar eine Schutzwirkung für die Kulturen aufweisen.
Das tönt beinahe schon nach dem Ei des Kolumbus und deshalb fast zu gut. Kommt hinzu, dass die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in einer Studie vom Januar dieses Jahres für die gesamte Schweiz ein gewaltiges Potenzial ausgemacht hat. Und auch für den Kanton Baselland wurde ein solches von 6,1 Terawattstunden (6,1 Milliarden Kilowattstunden) pro Jahr errechnet.
Allerdings nur theoretisch. Das heisst, falls der grösste Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche mit Agro-Photovoltaikanlagen versehen würde. Und das ist aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, der Infrastruktur, der Opportunität und vor allem der Raumplanung nicht möglich. Am Schluss bleibt dann auch nur noch sehr wenig übrig, im Wesentlichen die Dauerkulturen.
Wirtschaftlichkeit fragwürdig
«Das realistische theoretische Potenzial reduzierte sich dadurch auf etwa 3 Prozent des Gesamtpotenzials», schreibt die Regierung des Kantons Baselland in der jüngst veröffentlichten Beantwortung eines Postulats von SVP-Landrat Markus Graf zu diesem Thema. Von über sechs Terawattstunden blieben gerade noch 180 Gigawattstunden (180 Millionen Kilowattstunden) übrig. Zum Vergleich: Ein Schweizer Haushalt verbraucht jährlich 4500 Kilowattstunden. Und ob dieses Potenzial realisierbar wäre, ist mehr als ungewiss.
«Die Erstellungs- und Erschliessungskosten sowie die Vorgaben des schweizerischen Raumplanungsrechts stellen die Wirtschaftlichkeit eines solchen Projekts von vornherein infrage», sagt Stefan Weber vom Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung. «Tatsächlich sprechen wir beim Investitionsaufwand von von mehreren Millionen Franken. Und dann stellt sich das Problem der Infrastruktur, sprich der Fortleitung des Stroms. Dies kann je nach Lage eine hohe Hürde darstellen.»
Eine ganz wesentliche Hürde aber stellen die Raumplanungsbestimmungen dar. Agro-Photovoltaikanlagen sind gemäss Raumplanungsverordnung nur zugelassen in «wenig empfindlichen Gebieten» und wenn sie «Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion bewirken», oder wenn sie «entsprechenden Versuchs- oder Forschungszwecken dienen». Und selbst dann bedarf es in jedem Fall einer umfassenden Interessenabwägung.
Laut Stefan Weber bedeuten die Vorteilsbedingungen vor allem eines: «Der Ertrag aus dem landwirtschaftlichen Produkt muss höher sein als der aus der Stromproduktion. Das bedeutet, dass die Ertragseinbusse durch die Photovoltaikanlage bei einer Kultur nicht sehr gross sein darf.» Für Weber kommen daher in erster Linie Beerenund Rebkulturen infrage. Bereits bei den Kirschen hegt Weber Zweifel.
Schon mit Agri-Photovoltaik in Berührung gekommen ist Moritz Fiechter, Beeren- und Obstbauer in Zunzgen. Aufgrund der günstigen Lage seines Betriebs sei er vor zwei Jahren von einer Firma für ein Agri-PV-Projekt kontaktiert worden, sagt Fiechter. Dabei wären ihm keine Investitionskosten entstanden, er hätte aber auch keinen Profit von der Stromproduktion gehabt, erklärt er. Und er hätte sich für 20 Jahre verpflichten müssen.
Letzteres ging Moritz Fiechter entschieden zu weit, zumal er mit Mindererträgen bei den Beeren von gegen 40 Prozent hätte rechnen müssen. «Weil die Landwirtschaft für uns klar Vorrang hat, kam ein solches Projekt nicht infrage», betont Fiechter.
Und möglicherweise wäre das Projekt unter diesen Umständen bei der geltenden Rechtslage mangels klarem Vorteil für die Landwirtschaft auch kaum bewilligt worden. Die Pläne verliefen dann aber auch deshalb im Sand, weil sich die Stromableitung als problematisch erwiesen hatte.
Für Zeit und Ewigkeit vom Tisch ist die Sache für den Zunzger Landwirt deshalb aber gleichwohl nicht. «In ein paar Jahren, wenn die technischen und rechtlichen Voraussetzungen möglicherweise besser sind und wir auch mehr wissen, könnte die Sache durchaus wieder aktuell werden.» Zurzeit, so Moritz Fiechter, sei das Ganze für ihn auch wegen der Komplexität der Bewilligung ganz einfach eine Nummer zu gross.
Auch für den Ormalinger Biobauern Marcel Itin, der am Farnsberg eine grosse Obstanlage besitzt, ist Agri-PV «überhaupt nichts Abwegiges, aber im Moment noch mit zu vielen Fragezeichen versehen».
Zurückhaltung übt zurzeit auch die Baselbieter Regierung. Sie strebt ausserhalb der Bauzonen in erster Priorität die «vollständige Ausschöpfung des Potenzials auf bestehenden Dächern an». Agri-PV-Anlagen sollen erst in zweiter Priorität bewilligt werden. Und dies nur bei Dauerkulturen (Obst-/Beerenanlagen, Reben und Gemüse im geschützten Anbau). Agri-PV-Anlagen auf Ackerflächen hätten keine Priorität, schreibt die Regierung in der Antwort auf das Postulat Graf.
Fazit: Agri-Photovoltaik scheint in der Schweiz zwar spruch-, aber noch kaum realisierungsreif. Theoretisch würde es funktionieren, in der Praxis aber hapert es noch schwer.