Änderung in der beruflichen Vorsorge
05.09.2024 BaselbietAm 22. September wird über BVG-Reform abgestimmt
Die Reform der beruflichen Vorsorge kommt vors Volk. Sie soll die Finanzierung der zweiten Säule stärken und die Absicherung von Personen mit tiefen Einkommen sowie von Teilzeitbeschäftigten verbessern.
...Am 22. September wird über BVG-Reform abgestimmt
Die Reform der beruflichen Vorsorge kommt vors Volk. Sie soll die Finanzierung der zweiten Säule stärken und die Absicherung von Personen mit tiefen Einkommen sowie von Teilzeitbeschäftigten verbessern.
sda./lug. Die Schweiz entscheidet am 22. September über die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Sie soll die zweite Säule stabilisieren und Menschen mit tiefen Einkommen zu mehr Rente verhelfen.
Die Vorsorge beruht auf dem 3-Säulen-Prinzip: die erste Säule mit der staatlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die zweite Säule mit der beruflichen Vorsorge, der Pensionskasse (PK) sowie die dritte Säule mit der freiwilligen privaten Vorsorge. Die berufliche Vorsorge ist eine wichtige Ergänzung zur AHV und deckt die Lebenskosten nach der Pensionierung. Während des Berufslebens sparen Arbeitnehmende mit ihren Lohnbeiträgen und den Beiträgen ihrer Arbeitgebenden ein Altersguthaben an. Damit wird später die PK-Rente bezahlt.
Da die Lebenserwartung und der Anteil Pensionierte steigt und gleichzeitig das von den PK angelegte Kapital weniger Rendite erzielt, sind die Renten im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge nicht mehr ausreichend finanziert. Hinzu kommt, dass Wenigverdienende später keine oder eine tiefe Pensionskassenrente haben. Betroffen sind oft Frauen, weil sie häufig Teilzeit oder in Branchen mit tiefen Löhnen arbeiten.
Die Vorlage
Die berufliche Vorsorge wurde 1985 mit dem Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge eingeführt. Bis zu einem bestimmten Einkommen legt das Gesetz fest, wie viel Rente pro gespartem Franken ausbezahlt wird. Der Mindestumwandlungssatz beträgt aktuell 6,8 Prozent. Das heisst: Pro 100 000 Franken Alterskapital werden 6800 Franken ausbezahlt.
Nach einer ersten Reform in den Nullerjahren sind mehrere Reformversuche gescheitert, darunter die Senkung des Umwandlungssatzes. 2020 hat das Parlament einen neuen Anlauf gestartet. Die neue Reform sieht vor, den Mindestumwandlungssatz auf 6,0 Prozent zu senken.
Gleichzeitig sollen Geringverdienende gemäss der Reform später eine höhere Rente erhalten: Sie und ihre Arbeitgeber sollen monatlich höhere Sparbeiträge als heute bezahlen. Der sogenannte fixe Koordinationsabzug, der heute das zu versichernde Einkommen bestimmt, fällt weg. Stattdessen sollen künftig 80 Prozent des AHV-pflichtigen Einkommens versichert werden, wovon insbesondere Geringverdienende profitieren. Der Koordinationsabzug wird abgeschafft, um den Versicherten einen grösseren Teil ihres Einkommens zu sichern. Dadurch wird ein grösserer Teil des Lohns versichert, was zu höheren Altersguthaben führt. Zudem sollen neu Personen eine zweite Säule erhalten, deren Einkommen heute dafür zu tief ist. Die Eintrittsschwelle in die PK wird von 22 050 auf 19 845 Franken Jahreslohn gesenkt. Rund 70 000 Personen sind davon betroffen.
Wer in den ersten 15 Jahren nach dem Inkrafttreten der Vorlage in Rente geht und keine Zeit für zusätzliches Sparen hat, kann einen lebenslangen Rentenzuschlag von bis zu 200 Franken im Monat erhalten, je nach Jahrgang und Grösse des Verlusts. Die Hälfte aller Versicherten dürfte den Zuschlag erhalten. Kommt die Reform 2027, sind es die Jahrgänge 1962 bis 1976. Die Zuschläge kosten über 15 Jahre insgesamt rund 11,3 Milliarden Franken. Finanziert werden sie von den PK und mit Beiträgen von Arbeitgebern und -nehmern.
Die Betroffenen
Die Reform trifft gemäss Bund vor allem Erwerbstätige, die nach BVG-Minimum oder nur wenig mehr versichert sind. Das dürfte höchstens ein Drittel aller Versicherten sein. Modellrechnungen gehen davon aus, dass Menschen mit unter 60 000 Franken Jahreslohn sowie Mehrfachbeschäftigte von höheren Altersguthaben profitieren. Gewisse Personen werden mit der Reform zwar weniger zahlen müssen, aber auch weniger Rente erhalten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass jemand mehr einzahlen und dabei weniger Rente haben wird. Für wen die Reform wie aussehen wird, hängt von der persönlichen Situation ab – etwa der beruflichen Laufbahn und dem Reglement der Vorsorgeeinrichtung.
Über das Obligatorium hinaus Versicherte sind nicht direkt betroffen. Alle Arbeitnehmenden und ihre Arbeitgebenden finanzieren aber einen Teil des Rentenzuschlags für die Übergangsgeneration. Für bereits Pensionierte ändert sich nichts.
Die Befürworter
Für Bundesrat und Parlament ist die Reform nötig, damit künftige Renten der beruflichen Vorsorge wieder ausreichend und langfristig finanziert sind. Ohne Senkung des Umwandlungssatzes würden PK, die nur Minimalleistungen anbieten, weiterhin Erträge aus dem Altersguthaben von Erwerbstätigen für Renten einsetzen. Menschen, die wenig verdienen, würden im Alter besser abgesichert. Davon profitierten vor allem Frauen.
Im Ja-Komitee sitzen Politiker von SVP, FDP, «Mitte», GLP und EVP. Durch die Reform erhielten deutlich mehr Personen eine höhere als eine tiefere Rente, so das Hauptargument. Das Risiko für Altersarmut werde gesenkt.
Das Parlament habe seine Lehren aus der Vergangenheit gezogen, sagte «Mitte»-Präsident Gerhard Pfister bei der Lancierung der Ja-Kampagne. Einerseits sei auf eine Vermischung der Säulen verzichtet worden. Andererseits sei die Reform keine reine Sanierungsvorlage.
Die Gegner
Die Linke bekämpft die Reform mit dem Referendum. Mit der Vorlage müsse mehr in die zweite Säule einbezahlt werden, die Rente sei für viele dennoch tiefer, moniert sie. Das gelte besonders für Branchen mit tiefen Löhnen, aber auch für über 50-Jährige.
Für Frauen sei die Vorlage «eine Mogelpackung». Ihre Nachteile durch Erwerbsunterbrüche und die ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit würden nicht beseitigt. Zudem hätten die PK in den vergangenen Jahren hohe Renditen erzielt und «schwämmen in Geld». Bei der Lage der PK sei es an der Zeit, einen Teuerungsausgleich zu gewähren.
Im August lancierten acht Wirtschaftsverbände eine eigene Nein-Kampagne. Die Vorlage führe zu Fehlanreizen beim Sparen und zu mehr Bürokratie. Zudem seien die Zuschläge falsch kalibriert und unfair verteilt. Economiesuisse und der Arbeitgeberverband bezeichnen die Reform dagegen als überfällig und setzen sich für ein Ja ein.
DARUM STIMME ICH JA
Bessere Absicherung in der zweiten Säule!
Daniela Schneeberger, Nationalrätin FDP, Thürnen
Jahrelang war die Reform der zweiten Säule blockiert. Nun haben wir es im Parlament endlich geschafft und die BVG-Reform ermöglicht es, dass die Höhe der Altersrenten erhalten bleibt. Ausserdem gibt es sogar eine Verbesserung für tiefe Einkommen, Teilzeitbeschäftigte und Mehrfachangestellte. Auch werden Hürden für ältere Angestellte auf dem Arbeitsmarkt abgebaut. Diese Modernisierungen sind dringend nötig.
Ich möchte auf die drei Aspekte der Reform eingehen, die mir besonders wichtig sind, um ihr zuzustimmen: Erstens ist die Reform aus der Sicht von Frauen sehr wichtig, denn viele arbeiten in tiefen Pensen oder Teilzeit. Sie erhalten heute keine oder nur eine kleine BVG-Rente und sind nur im obligatorischen Bereich versichert. Ohne Versicherung in der zweiten Säule entgehen ihnen auch die Arbeitgeberbeiträge und die Verzinsung des Kapitals für ihre spätere Altersrente. Künftig sind sie im BVG versichert und erhalten für jeden einbezahlten Franken mindestens einen zusätzlichen Franken, der vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin einbezahlt wird plus eine zusätzliche Verzinsung. Damit verdreifacht sich das Sparkapital. Es lohnt sich somit dreifach, in der beruflichen Vorsorge versichert zu sein. Dank der BVG-Reform werden rund 100 000 Einkommen in der Schweiz neu BVG-versichert. Die neu versicherten Personen und ihre Kinder sind dann auch bei Invalidität und Tod abgesichert, ein weiterer Mehrwert.
Zweitens verbessert sich die Situation für ältere Arbeitskräfte. Sie werden für den Arbeitsmarkt attraktiver. Heute sind sie im BVG-Obligatorium teurer als Jüngere, weil die Altersgutschriften ab dem 55. Altersjahr signifikant höher sind. Mit der Reform werden die Altersgutschriften angepasst, sodass bereits in jüngeren Jahren mehr fürs BVG angespart wird. Damit können Arbeitgeber es sich künftig eher leisten, ältere, erfahrene Arbeitskräfte anzustellen.
Drittens schafft die BVG-Reform mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen, indem sie der heutigen Umverteilung von der erwerbstätigen zur pensionierten Bevölkerung entgegenwirkt. Denn die Lebenserwartung steigt und damit auch die Zeit, in der eine Rente bezogen wird, was ja grundsätzlich erfreulich ist. Da es um eine Anpassung im Obligatorium geht und viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihre Angestellten überobligatorisch versichern, sind 85 Prozent der Erwerbstätigen von dieser Anpassung nicht betroffen. Auch bestehende Renten sind nicht betroffen. Für die Übergangsgeneration der über 50-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sieht die Reform einen grosszügigen Rentenzuschlag vor.
Mit der ausgewogenen Reform legen wir den Grundstein dafür, dass möglichst viele Menschen eine gute berufliche Vorsorge und damit eigenes Vermögen fürs Alter aufbauen können. Deshalb sage ich überzeugt Ja zur BVG-Reform.
DARUM STIMME ICH NEIN
Mehr Rente statt weniger: Warum die Reform ein schlechter Deal ist
Nils Jocher, Präsident SP Baselland, Liestal
Man könnte meinen, dass die Altersvorsorge bei Menschen unter 30 nicht unbedingt ein beliebtes Thema sei. Meine Erfahrung ist eine andere. Das mögliche Nein zum «Renten-Bschiss» in der zweiten Säule diesen September mobilisiert und bewegt. In meinem Umfeld schliessen gerade viele ihr Studium ab, wechseln den Job, sammeln Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt und sind das erste Mal über eine längere Dauer mit einem Lohn konfrontiert, der für mehr als nur das Nötigste reicht. Das führt dazu, dass die Themen rund um Altersvorsorge, Steuern oder die steigenden Lebenshaltungskosten aktuell hoch im Kurs sind.
Mit Freunden und Freundinnen war ich diesen Sommer mit dem Zug in Südpolen unterwegs und habe neben der feinen schlesischen Küche (Kluski slaskie, Pierogi, usw.) und spannenden Museen auch die Gespräche im Freundeskreis sehr geschätzt. Immer wieder kamen wir auf die dritte Säule, das hohe Rentenalter oder eben die anstehende BVG-Reform zu sprechen. Die Faktenlage ist dabei klar: Fast alle müssten mehr bezahlen und bekämen dafür weniger Rente. Vor dem Hintergrund, dass die Pensionskassenrenten sowieso seit Jahren sinken, ist dies wahrlich ein «BVG-Bschiss». Besonders betroffen wären Arbeitnehmende ab 50. Durch die Erhöhung der obligatorischen Lohnabzüge müssten aber auch junge Beschäftigte während des ganzen Berufslebens höhere Beiträge bezahlen. Das ist vor allem für Menschen mit tiefen Löhnen besonders hart. Genau diese leiden bereits jetzt stärker unter steigenden Mieten, Heiz- und Energiekosten, teureren Lebensmitteln oder höheren Prämien.
Man weiss auch, dass Banken, Manager und Makler jährlich mehr als 8 Milliarden (!) aus den Pensionskassen abzweigen. Die Vorlage, über die wir abstimmen, würde an dieser teuren Verwaltung nichts ändern – im Gegenteil. Der Topf würde immer grösser, und die Leistungen bei den Versicherten – also der breiten Bevölkerung – immer kleiner.
Dazu kommt, dass die Reform keine Lösungen für Teilzeitarbeit oder familienbedingte Erwerbsunterbrüche beinhaltet. Faktisch werden also vor allem Frauen zur Kasse gebeten, ohne dass im Gegenzug eine höhere Rente wartet. Zusammengefasst ist dies das Hauptproblem dieses «BVG-Bschisses»: Mehr bezahlen und trotzdem weniger Rente bekommen. Das ist ein schlechter Deal für alle Beteiligten. Und ja, es gäbe Probleme anzupacken in der zweiten Säule, beispielsweise bei den Frauenrenten oder den sehr hohen Beiträgen kurz vor der Pension. Tatsache ist aber, dass Lösungsansätze, die eben nicht dazu führen, dass am Ende weniger Rente übrig bleibt, im Parlament von bürgerlicher Seite abgelehnt wurden. Was bleibt, ist eine Vorlage, die keine Probleme löst. Eine Vorlage, die mehr kostet, als sie nützt und eine Vorlage, die ich überzeugt ablehne. Denn wenn das Ziel ein würdevolles Leben im Alter ist – und das muss der Anspruch sein –, dann braucht es mehr und nicht weniger Rente.