HERZBLUT
08.07.2025 PersönlichFehlalarm
Plötzlich fällt die schwere Holztür zu. Und es piepst. Brennt es? Ich renne durch den Gang und schaue in die Zimmer mit ihren Kajütenbetten. Ich öffne die Tür, stürme hinaus ins Treppenhaus und nach unten. Es brennt nicht. Muss ...
Fehlalarm
Plötzlich fällt die schwere Holztür zu. Und es piepst. Brennt es? Ich renne durch den Gang und schaue in die Zimmer mit ihren Kajütenbetten. Ich öffne die Tür, stürme hinaus ins Treppenhaus und nach unten. Es brennt nicht. Muss ich den Alarm quittieren? Die Feuerwehr würde hier mit dem Heli kommen … Es wäre ein sehr teurer Fehlalarm. Drei Jahre ist es her, seit sich diese Szene zugetragen hat. Wir hatten eine neue Familientradition gegründet – oder eine alte wieder aufleben lassen: Wir Geschwister waren mit unserer Mutter endlich wieder für ein paar Tage in Wengen, unserer zweiten Heimat.
Ich hatte das Glück, dass meine Grosseltern ein Haus im Berner Oberland besassen, hoch oben über Wengen, ausserhalb der Zivilisation. Eine Steigung und zwei Kurven im Dorf und dann immer geradeaus auf der ansteigenden Strasse in Richtung Nordwesten. Oben 200 Meter Waldstrasse, ehe ein Zickzackweg zu unserem geliebten Chalet führte. Nie habe ich die Sterne so hell gesehen wie in Wengen … und nie hat mir der Nach-Hause-Weg so gestunken.
Darum konnte und kann es nicht ein Wochenende irgendwo in den Bergen sein. Wengen ist Pflicht, obwohl ich seit Langem nicht mehr Ski gefahren bin. Es tut den Erinnerungen keinen Abbruch, die wach werden, wenn ich aus dem Züglein aussteige und in die Dorfstrasse einbiege.
Doch ein Wochenende in Wengen bringt Tücken mit sich. Das Chalet ist nicht mehr in der Familie – und aus uns 4 Kindern sind 4 erwachsene Paare mit insgesamt 6 Kindern zwischen 2 und 10 Jahren geworden. Ein Glück, dass an der langen, ansteigenden Strasse ein Lagerhaus steht. Ich habe die Kinder, die dort schliefen, immer beneidet, weil ihnen die letzten paar Meter und vor allem Höhenmeter zu unserem Chalet erspart blieben. Heute ist es auch unser Lagerhaus: Wir dürfen das Monster mit seinen 55 Schlafplätzen auch nur zu elft oder fünfzehnt nutzen und haben dies jüngst zum vierten Mal getan.
Auf der Wiese vor dem Haus wird herumgetollt, die Grillstelle wird intensiv bewirtschaftet, Pingpongtisch bei gutem und Töggelikasten bei schlechtem Wetter bringen Ablenkung. Heuer wurde ein Teil des Speisesaals zur Puzzle-Zone, ein anderer für das EM-Spiel der Schweizerinnen zur Public-Viewing-Area. Eine letzte Tücke ist die eingangs erwähnte Alarmanlage. Ich muss lachen, wenn ich an den ersten Alarm damals denke, nach dem ich mit hohem Puls durch das Haus gestürzt bin. Vergangene Woche hat es sicher zehnmal gepiepst. Zehnmal ist die Holztür zugefallen. Denn es hat sich herausgestellt, dass die Anlage auf Geschrei reagiert und die Brandschutztüre zum Treppenhaus zufallen lässt. Und Kindergeschrei bringen wir jeweils mehr als genug mit.
Wir reagieren mittlerweile entspannt auf das Gepiepse und wissen, dass wir keinen Alarm quittieren müssen. Vielmehr überlege ich mir ab und zu, wenn das Kindergeschrei zu Hause wieder eine für unmöglich gehaltene Lautstärke und Dauer annimmt: Warum haben wir nicht eine schwere Holztür, die automatisch zufällt? Ich sehne mich nach dem Piepsen.
Sebastian Wirz, Sportredaktor «Volksstimme»