HERZBLUT
21.01.2025 GesellschaftDer Wilde Westen
Es ist der 2. Januar, ein ganz normaler Donnerstag. Wie so oft möchte ich abends nach der Arbeit im Fitnessstudio mein Krafttraining machen. Abends ist das Fitnessstudio logischerweise immer gut besucht und man muss zum Teil mit Wartezeiten für ...
Der Wilde Westen
Es ist der 2. Januar, ein ganz normaler Donnerstag. Wie so oft möchte ich abends nach der Arbeit im Fitnessstudio mein Krafttraining machen. Abends ist das Fitnessstudio logischerweise immer gut besucht und man muss zum Teil mit Wartezeiten für einzelne Geräte rechnen. Doch an diesem Abend ist es anders: Schon mein Weg in die Garderobe führt durch ein wahres Meer von Menschen. Das Januar-Phänomen ist nicht zu übersehen: eine Horde von Neujahrsvorsatz-Kriegern, die entschlossen ist, ihre Neujahrsideale endlich in die Tat umzusetzen.
Sie kommen in Massen, fröhlich, aber auch ein bisschen unsicher, als wären sie in einem Land ohne jegliche Orientierung. Sie wissen, dass sie sich «jetzt» ändern müssen – und das Fitnessstudio ist ihr Tempel.
Man erkennt die Neuankömmlinge sofort, sie kommen nämlich in Gruppen. Da gibt es die jungen Männer und Jugendlichen, die sich zu fünft um eine Langhantelbank drängen, um ihrem Traum vom Muskelprotz näherzukommen. Das Pendant gibt es auch in weiblich: Grüppchen mit zwei bis drei jungen Frauen und Mädchen, die sich an den Bauch-/Beine-/Po-Geräten gegenseitig motivieren, um im neuen Jahr ihren Traumkörper mit Sanduhrfigur und muskulösem Hinterteil zu erschaffen. Und dann gibt es die mittelalten Frauen, die sich beim Zumbakurs anmelden, um «wieder einmal etwas zu tun». Dort kommen sie sich aufgrund zu vieler Tänzerinnen auf engem Raum aber so in die Quere, dass nur ein bisschen mitgesteppt werden kann.
Auch wenn es natürlich toll ist, dass sich Menschen bewegen und etwas für ihre Gesundheit tun wollen, sind die ersten Januar-Tage im Fitnessstudio wie der Wilde Westen. Die Geräte sind überfüllt, vor der Toilette bilden sich meterlange Warteschlangen, die Garderobenkästchen sind alle voll und der Parkplatz ein einziges Schlachtfeld. Doch es ist auch jedes Jahr wieder faszinierend zu beobachten, wie sich diese Neujahrsvorsatz-Menschen selbst immer wieder auf einen Stichtag hin motivieren. Wilder Optimismus und Euphorie scheinen nur im Januar zu existieren.
Was auf Ganzjahres-Trainierende wie mich etwas verstörend wirkt, ist für die Fitnessbranche eine wahre Goldgrube. Zahlreiche Fitnessabos werden im Januar abgeschlossen. Aber man weiss, dass die erste Woche nach dem Jahreswechsel nur die Vorspeise ist. Ab Woche drei oder vier leert sich der Fitnessbereich merklich, die Cardio-Geräte sind wieder in der Überzahl, und die «Vorsatz-Krieger» verschwinden langsam in ihren Alltag. Das Abo ist jedoch für das ganze Jahr bezahlt und die Betreiber haben so nur Anfang Jahr mit den neuen Fitness-Mitgliedern zu tun. Was gibt es für einen Geschäftsbetreiber Besseres?
Aber irgendwie bleibt das Gefühl, dass wir alle mit den besten Absichten unsere Fitness-Karriere gestartet haben. Doch wer weiss – vielleicht bleibt der eine oder andere am Ende doch dran. Ein bisschen Hoffnung bleibt immer.
Luana Güntert, Sportredaktorin «Volksstimme»